Beta
Logo of the podcast PinG-Podcast "Follow the Rechtsstaat"

PinG-Podcast "Follow the Rechtsstaat" (Prof. Niko Härting)

Explorez tous les épisodes de PinG-Podcast "Follow the Rechtsstaat"

Plongez dans la liste complète des épisodes de PinG-Podcast "Follow the Rechtsstaat". Chaque épisode est catalogué accompagné de descriptions détaillées, ce qui facilite la recherche et l'exploration de sujets spécifiques. Suivez tous les épisodes de votre podcast préféré et ne manquez aucun contenu pertinent.

Rows per page:

1–50 of 208

DateTitreDurée
20 Jul 2023Follow the Rechtsstaat Folge 3600:45:33
Stefan Brink war kürzlich zu Gast beim Europarat in Straßburg mit einem Vortrag zum Datenschutz und zum Schutz der Privatsphäre bei Anti-Doping-Maßnahmen. Im Gespräch mit Niko Härting erläutert Stefan Brink die Rolle und Funktion des Europarats und berichtet über die eklatanten Eingriffe in Persönlichkeitsrechte der Leistungssportler, die im Zeichen des Kampfes für einen „sauberen Sport“ zu deren beruflichem Alltag gehören. All dies auf der Basis – angeblich – „freiwilliger“ Einwilligungen der Sportlerinnen und Sportler. Ab Minute 12:20 : Martin Eifert, Professor für öffentliches Recht und Verwaltungsrecht an der Humboldt-Uni Berlin ist seit Februar 2023 (auf Vorschlag der „Grünen“) Richter des 1. Senats des BVerfG. Im April erschien in der JuristenZeitung ein Aufsatz, den Eifert gemeinsam mit Nora Wienfort verfasst hat (JZ 2023, 270 ff.). Es geht um „Hassrede als Gefährdung der verfassungsrechtlich geschützten offenen Kommunikation unter Freien und Gleichen“. In diesem Aufsatz wird versucht, die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) durch einen „Schutz der Entschließungsfreiheit zur sozialen Exponierung“ als Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu ergänzen, um auf diese Weise „Einschüchterungseffekte“ von „Hassrede“ verfassungsrechtlich zu erfassen. Dies läuft auf eine Einschränkung der Meinungsfreiheit im Zeichen des Schutzes des „öffentlichen Diskurses“ hinaus und liegt auf einer Linie mit der Rhetorik, die man seit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) verwendet, um gegen „lawful but awful speech“ vorzugehen. Tendenziell schränkt man die Meinungsfreiheit lautstarker Minderheiten im Interesse des ungestörten „öffentlichen Diskurses“ der Mehrheit ein. Ab Minute 30:10 : Ferdinand Kirchhof, emeritierter Professor für öffentliches Recht und von 2010 bis 2018 Vizepräsident des BVerfG, hat sich in der NJW unlängst mit dem „Wirkungsbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit“ befasst (NJW 2023, 1922 ff.). Kirchhof ist ein Konservativer. Anders als der linksliberale Eifert sieht er die Meinungsfreiheit weniger bedroht durch „Hassrede“ als durch „Zensur aus den Reihen der Gesellschaft“, „Political Correctness“, „Cancel Culture“ und das, was Kirchhof unter „Wokeness“ versteht. Ähnlich wie Eifert sieht Kirchhof die Meinungsfreiheit weniger durch den Staat bedroht als durch „durchsetzungsstarke Minderheiten“. Ähnlich wie Eifert beklagt er einen unzureichenden Schutz des „Publikums“ vor lautstarken Minderheiten. Die Ähnlichkeit des Denkens von Eifert und Kirchhoff ist frappierend.
10 Nov 2020Corona im Rechtsstaat Folge 3700:31:52
Bereits in Folge 4 hatte sich Niko Härting Anfang April mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger über die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit unterhalten. Schon damals ging es um die unzureichenden Rechtsgrundlagen der Corona-Maßnahmen und um fehlende Regelungen zur Entschädigung der Betroffenen. 7 Monate später unterhält sich Niko Härting mit unser früheren Bundesjustizministerin über die Gründe, weshalb die bereits damals erkannten rechtsstaatlichen Defizite immer noch nicht behoben worden sind. Was ist von dem IfSG-Änderungsvorschlag, den die Große Koalition in der letzten Woche in den Bundestag eingebracht hat, zu halten? Und warum wehren sich Datenschützer so wenig gegen eine umfassende Sammlung von Kontaktdaten auf unzureichender gesetzlicher Grundlage?
27 Jan 2022Corona im Rechtsstaat Folge 8500:36:37
Mit dem Historiker und Publizisten René Schlott sprach Niko Härting bereits in Folge 23 und Folge 51. In der neuen Folge geht es um den Begriff der Freiheit unter pandemischen Bedingungen. Hat Freiheit heute noch einen guten Namen oder steht sie unter Egoismusverdacht? Kann man überhaupt über Freiheit reden, ohne deren Schranken gleich mitzudenken? Wie kommt es, dass Solidarität und Gemeinsinn heute oft höher gewichtet werden als die Freiheit des einzelnen Bürgers? Was ist von dem „gesellschaftlichen Konsens“ zu halten, von dem oft die Rede ist? Um die Balance zwischen Freiheit und Verantwortung geht es auch in der aktuellen Debatte um Impfpflichten. Was ist dabei maßgebend – „der kleine Pieks“, das objektive Gewicht des Eingriffs, oder das subjektive Empfinden von Bürgerinnen, die eine Impfpflicht als gravierenden körperlichen Eingriff oder gar als einen „Tabubruch“ wahrnehmen? Lässt sich eine Impfpflicht nur zum Selbstschutz rechtfertigen? Oder kann auch der Fremdschutz eine solche Pflicht legitimieren? Kann es richtig und verantwortbar sein, dass sich Junge zum Schutz der Alten gegen Corona impfen lassen müssen? Am Schluss des Gesprächs geht es um die Versammlungsfreiheit. René Schlott kritisiert die verbreiteten Verbote von Demonstrationen und Spaziergängen und betont den hohen Rang, der der Versammlungsfreiheit nach dem Willen der Mütter und Väter des Grundgesetzes zukommt.
31 Aug 2023Follow the Rechtsstaat Folge 4200:50:04
„Privacy in Germany“ (PinG) wird 10 Jahre alt. Eingangs werfen wir in dieser Folge mit Schriftleiterin Iris Phan einen Blick in die Jubiläumsausgabe der PinG, die Anfang September erscheint. Ab Minute 4:30 geht es dann um „Rechtliche und ethische Implikationen Künstlicher Intelligenz am Beispiel des Sexroboters“ – Iris Phans langjähriges Forschungsthema als Juristin und Philosophin, über das sie mit Stefan Brink und Niko Härting spricht. Sensoren, Sprach-, Bild- und Mustererkennung im nachgebildeten Intimbereich gehören zum Standard moderner Sexroboter. In ihrer „Grundausstattung“ werden sie mit Trainingsdaten aus Pornofilmen trainiert. Iris Phan erklärt zunächst, wie Sexroboter, die es in weiblichen und männlichen Varianten gibt, funktionieren und aussehen. Die Roboter passen sich durch Machine Learning an ihre Benutzerinnen und Benutzer an. Ziel: „ein synchron-künstlicher Orgasmus“. Iris Phan berichtet, wie Sexroboter von ihren Besitzerinnen und Besitzern „vermenschlicht“ werden. Da sitzt der Roboter dann gerne auch einmal hübsch bekleidet am Frühstückstisch und sagt „Hey Chuck, wie geht es dir heute?“ Als Datenschutzthema kommen Sexroboter und Sextoys bislang so gut wie nicht vor. Dies obwohl es auf der Hand liegt, dass besonders sensible Personendaten verarbeitet werden (Art. 9 DSGVO: „Daten zum Sexualleben“) und Datenschutz-Folgeabschätzungen (Art. 35 DSGVO) an der Tagesordnung sein sollten. Auch „Privacy by Design“ (Art. 25 Abs. 1 DSGVO) ist bislang kein Thema. Datenschutzbeschwerden über Sexroboter gab es in Stefan Brinks Amtszeit als baden-württembergischer Datenschutzbeauftragter nicht. Stefan Brink meint daher, es gebe noch viel Aufklärungsarbeit: „Wir müssen Sachverhalt produzieren“. Über das Thema der Sexroboter gelangt man auch zu Grundfragen des Datenschutzrechts – etwa zu Fragen der Profilbildung und der Diskriminierung: „Das Mikrofon hört immer mit.“ „Creepy“ laut Iris Phan auch die Frage, inwieweit Prominente dagegen geschützt sind, dass das Gesicht eines Sexroboters einem prominenten Gesicht nachgebildet wird.
02 Dec 2021Corona im Rechtsstaat Folge 7900:44:42
Mit seinem Mitherausgeber, dem Würzburger Staatsrechtler Prof. Kyrill-Alexander Schwarz unterhielt sich Niko Härting bereits in den Folgen 16 und 41. In der neuen Folge geht es um die Entscheidung des BVerfG „Bundesnotbremse I“. Was erfahren wir in der Entscheidung über die Expertengutachten, die der Entscheidung zugrunde liegen? Wie grenzt das Gericht die Schutzbereiche verschiedener Grundrechte ab? Was versteht das Gericht noch unter Verhältnismäßigkeit? Wie grenzt es Zweck, Geeignetheit, Erforderlichkeit, Angemessenheit ab? Reicht dem Gericht für die Verhältnismäßigkeit eine Plausiblität? Wie genau wägt es ab? Und wie grenzt das Gericht Grundrechtseingriffe „durch Gesetz“ vom Eingriffen „auf Grund eines Gesetzes“ ab? Was ist von der teleologischen Reduktion des Freiheitsschutzes zu halten, den das Gericht vornimmt? Hat es dabei die historischen Erfahrungen der Mütter und Väter des Grundgesetzes hinreichend bedacht? Es geht auch um den Begriff der „Entscheidung unter Ungewissheiten“ und Ähnlichkeiten mit einer Rede der Bundesjustizministerin und darum, dass das Gericht von einer „äußersten Gefahrenlage“ spricht, ohne diesen Begriff abstrakt zu definieren.
27 Jun 2024Follow the Rechtsstaat Folge 8300:41:09
Niko Härting und Max Adamek sprechen mit Prof. Ulrich Kelber, dem scheidenden Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (BfDI). Kelber lobt die Juristen, die sich an das sehr technische Gebiet des Datenschutzes heranwagen. Dies unterscheide die Juristinnen und Juristen von Informatikern, die im Datenschutz „wie ein Fisch im Wasser schwimmen“. Kelber betont die besonders schnelle Entwicklung des Datenschutzrechts während der fünf Jahre seiner Amtszeit. Er moniert, dass die Digitalisierung von Verwaltungsprozessen viel zu langsam vorangeht, wofür er unter anderem fehlenden politischen Entscheidungswillen verantwortlich macht und die eine Scheu von Behörden vor neuen Technologien. Gefragt nach Bereichen, in denen die Digitalisierung stockt, nennt Kelber eine Vielzahl an öffentlichen und privaten Stellen. Eine Art „Digitalisierungsagentur“ hält er für genauso sinnvoll wie Vorschriften, die interne Abläufe digitalisieren. Spannendes berichtet Kelber von seiner Kontrollzuständigkeit gegenüber Bundesbehörden. Nicht nur mit der Bundespresseamt hat er sich angelegt, sondern auch mit dem Bundesinnenministerium (BMI) und jüngst mit dem Bundesnachrichtendienst (BND). Die Befugnisse des BfDI gegenüber den Nachrichtendiensten sind kaum bekannt – der BfDI ist insoweit eine „unterschätzte Aufsichtsbehörde“. Trotz des gelegentlich streitbaren Auftretens stellt Kelber klar, dass es Hauptaufgabe des BfDI ist, für Datenverarbeitung verantwortliche Stellen zu beraten. Anders als seine Nachfolgerin kam Kelber als Politiker ins Amt. Seine politische Erfahrung und seine Erfahrung mit Führungsaufgaben – zuletzt als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) kam Kelber nach eigener Einschätzung bei der Führung des Amts des BfDI zugute. Die beste Zuständigkeit für die Durchführung des AI Acts sieht Kelber ganz deutlich bei den Datenschutzbehörden. Anderenfalls entstünde ein zu vermeidender Flickenteppich bei der KI-Aufsicht. Kelber wartet – wie wir alle – auf das im Koalitionsvertrag der „Ampel“ versprochene Transparenzgesetz Der Bund brauche dringend ein „Update“ des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG). Die Gebühren müssen hinterfragt werden, es brauche weniger Versagungsgründe, eine anonyme Antragstellung und eine Pflicht zur „proaktiven Veröffentlichung“ in Transparenzportalen.
21 Mar 2024Follow the Rechtsstaat Folge 7000:46:17
Ein schwuler Anwalt spricht mit einer lesbischen Anwältin. Niko Härting unterhält sich mit Vizepräsidentin des Deutschen Juristinnenbundes Verena Haisch. Es geht um die Sichtbarkeit von queeren Anwältinnen und Anwälten. Haisch betont, dass die Anwaltschaft ein Abbild der Gesellschaft sein sollte. „Queere Menschen sind überall.“ Daher sollte es gerade auch für junge Juristinnen und Juristen eine Selbstverständlichkeit sein, dass queere Anwältinnen und Anwälte Gesicht zeigen. Warum aber gibt es eigentlich in der Anwaltschaft so wenige queere Kolleginnen und Kollegen, „die man kennt“? Warum gibt es in den Anwaltsorganisationen beispielsweise keine Präsidentinnen oder Präsidenten, die offen schwul oder lesbisch sind? Warum sind weite Teile der Anwaltschaft nach wie vor sehr weiß, überwiegend männlich und heterosexuell? Die Frage nach Ehepartnerin und Kindern, wie geht man als Lesbe oder Schwuler mit einer solchen Frage um? Weicht man aus oder erzählt man sehr Persönliches („Ich bin lesbisch, und das ist gut so“)? Verena Haisch berichtet, wie ihr bei der Frage nach dem Ehepartner auch heute noch „warm wird“ – Ausflucht, Outing oder Lüge? Härting und Haisch sprechen auch über „Diversity“ als Marketinginstrument in internationalen Unternehmen und Kanzleien. Wem gehört eigentlich „Diversity“? Unter jüngeren Anwältinnen und Anwälten lässt sich ein „Bedürfnis nach Vielfalt“ beobachten. Dies könnte erklären, warum sich der Deutsche Juristinnenbund keine Nachwuchssorgen machen muss, da Vielfalt dort laut Verena Haisch in jeder Hinsicht sichtbar ist.
13 Sep 2022Follow the Rechtsstaat Folge 700:23:36
Anna Kassautzki hat den Wahlkreis der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel in Vorpommern/Rügen und Greifswald I von ihr quasi übernommen und sitzt seit letztem Jahr als direkt gewählte Abgeordnete für die SPD im Deutschen Bundestag. Sie ist 28 Jahre alt, studierte Staatswissenschaften in Passau. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des parlamentarischen Ausschusses für Digitales und Mitglied im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft, sowie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. Max Adamek und Niko Härting sprechen mit Anna Kassautzki über digitalpolitische Schwerpunkte der SPD und des Ausschusses für Digitales. Es geht um Vorratsdatenspeicherung zur Bekämpfung von Kinderpornografie und Kindesmissbrauch. Kassautzki betont, dass Kinderschutz und Datenschutz sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern der Datenschutz den Kinderschutz begünstigt. Sie schlägt unter anderem präventive Maßnahmen wie Aufklärung und Schulungen zum „richtigen“ Verhalten im Netz vor, um Kinder effektiver zu schützen. Alternativ zu einer weitreichenden Vorratsdatenspeicherung komme ein Vorschlag des Vereins D64 in Betracht: die sog. „Log-in-Falle“, welche eine anlassbezogene Speicherung der IP-Adresse von Tätern ermöglicht. Die von der EU-Kommission geplante „Chat-Kontrolle“ lehnt Kassautzki entschieden ab. Anna Kassautzki berichtet, dass sie von Strafverfolgungsbehörden erfahren hat, dass es vor allem an Personal und leistungsfähiger Software mangelt, um Kinderpornographie zu bekämpfen. Kassautzki ist entschlossen: „Ich lehne Staatstrojaner in der Gesamtheit ab.“. In diesem Zusammenhang geht es auch um die im Koalitionsvertrag der „Ampel“ vorgesehene „Überwachungsgesamtrechnung“, welche übermäßig invasive Grundrechtseingriffe zugunsten der Bürger schmälern bzw. verhindern soll. Zum Abschluss berichtet Kassautzki von einigen Datenschutzthemen, die den Ausschuss aktuell beschäftigen. Unter anderem fordert Kassautzki eine bessere Einbindung des Bundesdatenschutzbeauftragten in Gesetzgebungsvorhaben.
21 Dec 2021Corona im Rechtsstaat Folge 8300:32:22
Prof. Oliver Lepsius lehrt Öffentliches Recht und Verfassungstheorie an der Universität Münster. In zahlreichen Publikationen in Fachzeitschriften und der Tagespresse hat er die Corona-Krise von Anfang an kritisch begleitet und kommentiert. In einem LTO-Beitrag kritisierte er am 3.12.2021 die BVerfG-Entscheidungen zur Bundesnotbremse und empfahl, die Entscheidung zu Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen als Ausreißer zu behandeln und in Grundgesetz-Kommentaren nicht zu zitieren. In einem weiteren Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom 10.12.2021 bezeichnete Lepsius die Karlsruher Entscheidungen als „rechtsstaatlich fahrlässig und unklug“. Im Gespräch mit Niko Härting legt Lepsius die Gefahren einer „Expertokratie“ dar. Das BVerfG reduziere das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf die Prüfung, ob es Experten gebe, auf die sich der Gesetzgeber stützen könne. Dabei verzichte Karlsruhe auf eine präzise Bezugnahme auf einen Maßnahmenzweck. Als Teil eines „Gesamtschutzkonzepts“ werde Ungeeignetes zudem verhältnismäßig. Lepsius wagt keine Prognose, wie das BVerfG über eine mögliche „allgemeine Impfpflicht“ entscheiden wird. Gleichwohl hält er es für dringend geboten, dass die verfassungsrechtlichen Parameter in der politischen Diskussion beachtet werden. Gegen das Argument, Leben zu riskieren, könne sich Politik nur durch die Berufung auf Recht schützen. Dies könnte dazu führen, dass man eine Impfpflicht auf bestimmte Einrichtungen und Personengruppen beschränkt. In dem Gespräch geht es auch um die Menschenwürde und den Körper als Tabuzone und um mögliche Sanktionen einer Impfverweigerung. Ist eine Durchsetzung per unmittelbarem Zwang denkbar –ähnlich einer Blutentnahme zur Alkoholmessung? Wie sollte man Bußgelder bemessen? Und steht das Datenschutzrecht der Einrichtung eines „Impfregisters“ im Wege? Ist ein solches „Impfregister“ überhaupt praktisch vorstellbar? Wird es Begehrlichkeiten nach einer umfassenden Nutzung der Daten zur Kontrolle des öffentlichen Raums durch Zutrittskontrollen wecken?
24 Jun 2024Follow the Rechtsstaat Folge 8200:38:34
Neuer Podcast, alte Bekannte: Niko Härting und Stefan Brink pflügen zunächst (ab Minute 02:40) Querbeet: Die Datenschutzkonferenz hat einen Leitfaden zur Nutzung von KI in Behörden und Unternehmen veröffentlicht (Mai 2024). Die Orientierungshilfe richtet sich in erster Linie an die Verantwortlichen, die KI‐Anwendungen einsetzen möchten. Zudem hat sich das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit der Frage befasst, ob gegen eine (drohende) Verletzung der DS-GVO mit einem Unterlassungsanspruch reagiert werden kann. Es kam zum Schluss: Art. 79 Abs. 1 DS-GVO schließt die Geltendmachung eines öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs gegen die Datenverarbeitung im Bereich der kommunalen Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge - hier durch Videoüberwachung einer als öffentliche Einrichtung gewidmeten Grünfläche - nicht aus. Abschließend noch ein kurzer Hinweis auf die „Feiertage“ zur Informationsfreiheit, den mittlerweile 5. IFG-DAYS des LfDI Baden-Württemberg (https://www.baden-wuerttemberg.datenschutz.de/5-ifg-days/) – alle Beiträge demnächst im Netz. Ab Minute 13:47 geht es dann um den EuGH (Rechtssache 662 ff/2022 vom 30.5.2024, Vorabentscheidungsverfahren): Online-Dienste-Anbieter wie Google, aber auch Amazon, Expedia u.a. klagten gegen das italienische Transparenz-Gesetz „zur Umsetzung“ der EU-VO 2019 zur Förderung von Transparenz und Fairness für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten. Die Kläger haben ihren Sitz in Irland bzw. Luxemburg und beklagten einen erhöhten Verwaltungsaufwand in Italien als Verstoß gegen Dienstleistungsfreiheit innerhalb der EU (Art 56 AEUV). Der EuGH sprach sich klar gegen nationale Erhöhungen der Schutzstandards aus, selbst bei „nützlichen“ Verschärfungen im Sinne einer EU-VO: „Somit darf Italien in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Anbietern dieser Dienste keine zusätzlichen Verpflichtungen auferlegen, die für die Erbringung der fraglichen Dienste nicht im Niederlassungsmitgliedstaat, wohl aber in Italien vorgesehen sind.“ Mit den Grenzen der Informationstätigkeit von Datenschutz-Aufsichtsbehörden befasst sich ein Aufsatz von Christine Dieterle, Ministerialrätin und Referatsleiterin im Bayerischen Staatsministerium der Justiz in München (ZD 2024, 241) – und Stefan und Niko mit diesem Aufsatz (ab Minute 20:32): Genügt Art. 58 Abs. 3 lit. b DS-GVO, der es den Datenschutzaufsichtsbehörden gestattet, von sich aus oder auf Anfrage Stellungnahmen an das nationale Parlament, die Regierung sowie an die Öffentlichkeit zu richten, für Eingriffe in die Gewerbefreiheit? Denn namentliche Nennungen von Beteiligten an Bußgeldverfahren in Pressemitteilungen oder Tätigkeitsberichten greifen sicherlich in deren Rechte ein. Naming – Blaming – Shaming durch Datenschutzbehörden - ein kontroverses und hoch aktuelles Thema!
09 Apr 2020Corona im Rechtsstaat Folge 600:34:17
Die Oster Edition: Niko Härting unterhält sich mit dem baden-württembergischen Datenschutzbeauftragten Stefan Brink in einer besonders lebhaften Folge über Datenschutz und Bürgerrechte in Zeiten von Corona. Wie arbeitet eigentlich eine Datenschutzbehörde in Krisenzeiten? Verlangt der Gesetzgeber auch in diesen Zeiten Gehorsam von der Exekutive? Darf die Polizei zum eigenen Schutz erfahren, wer bei den Gesundheitsämtern als Corona-Infizierter registriert ist? Ist der Datenschutz eine Einzelsportart oder nur ein Teamplayer in der Mannschaft der vernetzten Bürgerrechte?
13 May 2024Follow the Rechtsstaat Folge 7700:47:47
In dieser neuen Podcast-Folge schauen sich Niko Härting und Stefan Brink (ab Minute 01:09) zunächst eine etwas zu aktuelle Entscheidung des BGH an: In Querbeet analysieren sie den Beschluss des Bundesgerichtshofs, wonach auch die am 1. April in Deutschland in Kraft getretene Cannabis-Teillegalisierung nichts an der Bestimmung einer „nicht geringen Menge“ Tetrahydrocannabinol (THC) ändere (Beschl. v. 18.04.2024, Az. 1 StR 106/2). Wird jemand mit dieser Menge erwischt, wirkt sich das massiv strafverschärfend aus. Anders als der Gesetzgeber geht der BGH dabei davon aus, dass sich an der Risikobewertung bei Cannabis nichts geändert habe – ziemlich steil. Der wohl wegen der Liberalisierung der Rechtslage übereilte Beschluss wies zudem formale Fehler auf, welche der BGH kurzerhand glattzog. Auch das Landgericht Hamburg brütet aktuell über einem spannenden Fall: Weil die Rechtsprechungs-Datenbank OpenJur ein Gerichtsurteil mitsamt dem Klarnamen eines Rechtsanwalts veröffentlichte, fordert dieser nun immateriellen Schadensersatz. Die Plattform veröffentlichte 2022 ein VG-Urteil – mitsamt Angaben über die klammen finanziellen Verhältnisse und dem Namen des Mannes. Mit der Frage: Ist Saal-Öffentlichkeit auch die Internet-Öffentlichkeit? und einer möglichen Presse-Ausnahme nach Art. 85 DS-GVO zugunsten Openjur befasst sich nun das LG. Im Zentrum des Podcasts stehen dann (ab Minute 23:02) zwei hochkarätige Entscheidungen zum Datenschutz: Mit der Festlegung von Mindestsicherheitsstandards und der Aufnahme biometrischer Daten in Personalausweise (es geht um Fingerabdrücke unbescholtener BürgerInnen) befasste sich der EuGH (Urteil vom 21. März 2024 – C-61/22) - und rügte zwar das nach AEUV ungeeignete Gesetzgebungsverfahren, befand die Fingerabdruckpflicht in § 5 PersonalAusweisG aber für angemessen. Die Fingerabdrücke würden ja nur auf dem Personalausweis im Besitz des Betroffenen gespeichert und nicht in einer staatlichen Datenbank; ein Rückgriff auf die Abdrücke erfolge nur, falls das Gesichtsbild bei einer Kontrolle noch Zweifel lasse und dies diene auch dem Schutz vor Identitätsdiebstahl, sei also im Interesse des Betroffenen. Eine sehr grundsätzliche Frage klärte der BGH (2. Zivilsenat, Beschluss vom 23.01.2024 - II ZB 7/23, ab Minute 29:40): In meisterlicher Ausführlichkeit beantwortet der BGH die Frage, warum der Geschäftsführer einer GmbH keinen Anspruch aus Art. 17 Abs. 1 DS-GVO auf Löschung seines Geburtsdatums und seines Wohnorts aus dem Handelsregister hat. Datenschutzkönnen beweist das Gericht auch wenn es darlegt, warum selbst „gefährdete“ Personen kein Widerspruchsrecht nach Art. 21 DS-GVO haben: Wegen der Rechtspflicht der Registergerichte zur Verarbeitung der personenbezogenen Daten von Geschäftsführern nach Art. 6 Abs. 1 lit. c DS-GVO scheidet ein Widerspruchsrecht aus, das nur bei Verarbeitungen nach Art. 6 Abs. 1 lit. e und f DS-GVO greift. Wer kann, der kann.
06 Apr 2020Corona im Rechtsstaat Folge 300:34:25
Am 11.9.2001 war Brigitte Zypries Staatssekretärin im Bundesinnenminsterium unter Otto Schily. Später war sie Justiz- und Wirtschaftsministerin. Wir sprechen darüber, warum sie pessimistisch ist, wenn sie an die Folgen der Coronakrise für die deutsche Wirtschaft denkt, und warum sie sich eine schnellstmögliche Lockerung der derzeitigen Schließungen und Beschränkungen wünscht. Zudem geht es um Parallelen zu 9/11 und darum, wie Brigitte Zypries aus heutiger Sicht die damaligen Anti-Terror-Gesetze bewertet. Zudem sprechen wir über Buchläden, Theaterstücke und Pizzerien.
26 Apr 2023Follow the Rechtsstaat Folge 2500:59:00
Querbeet (ab Minute 0:53): Stefan Brink und Niko Härting sprechen über den Entwurf eines neuen Arbeitszeitgesetzes, das Bundesarbeitsminister Hubertus Heil kürzlich vorgelegt hat. Wie verträgt sich Vertrauensarbeitszeit mit dem geplanten neue Gesetz? Und wo bleibt eigentlich der Datenschutz, wenn Arbeitszeiten akribisch aufgezeichnet werden? Querbeet (ab Minute 10:45): Das OLG Brandenburg meint, es sei rechtsmissbräuchlich, Auskunftsansprüche nach Art. 15 DSGVO gegen einen Versicherer geltend zu machen, wenn es dem Versicherten ausschließlich darum geht, Fehler in der Berechnung seiner Versicherungsprämien aufzudecken (Urteil vom 14.4.2023, Az. 11 U 233/22). Was ist von dieser Entscheidung zu halten? Querbeet (ab Minute 16:52): In einem ganzseitigen FAZ-Beitrag plädieren Marit Hansen (Datenschutzbeauftragte Schleswig-Holstein), Tobias Kerber (designierter neuer Datenschutzbeauftragter Baden-Württemberg), Rolf Schwartmann (FH Köln) und Stephan Rixen (Universität Köln) für regulatorisches Augenmaß beim Umgang mit ChatGPT. Welche Rolle spielt der Datenschutz bei der Debatte um ChatGPT? Und sollte man ein datenschutzrechtliches Verbot tatsächlich ausschließen? Schwerpunkt (ab Minute 26:10): Der Verfassungsrichter Henning Radtke hat in einem SWR-Interview mit Klaus Hempel die Corona-Entscheidungen des BVerfG erläutert (https://www.ardaudiothek.de/episode/die-justizreporter-innen/verfassungsrichter-henning-radtke-im-gespraech/swr/12546483/). Stefan Brink und Niko Härting nehmen das Interview und die kürzlich in der FAZ veröffentlichte Abschiedsrede des Verfassungsrichters Peter M. Huber zum Anlass, die Rolle und Funktion des BVerfG zu diskutieren. Sie lassen Leuchtturm-Entscheidungen wie das „Volkszählungsurteil“ Revue passieren und erinnern an herausragende Richterpersönlichkeiten wie Ernst-Wolfgang Böckenförde. Halten die heutigen Karlsruher Richterinnen und Richter den Maßstäben stand, die ihre Vorgängerinnen und Vorgänger gesetzt haben? Wie ordnen sich jüngste Entscheidungen zum Klimaschutz und zur „Bundesnotbremse“ in die vielen Bände der BVerfG-Entscheidungen ein? Warum eigentlich werden die Karlsruhe Richterinnen und Richter – ähnlich wie Päpste – hinter verschlossenen Türen in streng geheimen Verhandlungen ausgewählt? Wie viel Transparenz verträgt Karlsruhe?
16 Nov 2021Corona im Rechtsstaat Folge 7400:31:57
Ellis Huber kritisiert die Corona-Politik und meint, eine „Politik der Befähigung der Menschen zum eigenen Handeln und zur Selbstorganisation der Pandemiebekämpfung wäre wirksamer als die derzeitige Rohrstockpolitik, die mit Drohungen und Beschimpfungen agiert“. Man setze auf „Zwang und Bevormundung“ statt auf eine „respektvolle, einfühlsame und individuelle Unterstützung“. Im Gespräch mit Niko Härting geht es um die Folgen der zunehmenden Ökonomisierung der Gesundheitspolitik. Wenn es privaten Klinikketten ein erster Linie um „Shareholder Value“ geht, verwundert es nicht, dass Krankenhäuser in der Corona-Krise staatliche „Freihaltepauschalen“ in Höhe von 15 Milliarden EUR kassieren und zugleich Rekordgewinne verbuchen. Ellis Huber kritisiert, dass es nicht einmal Auflagen gibt, dass staatliche Gelder zur Schaffung von zusätzlichen Kapazitäten und zu einer besseren Bezahlung des Personals verwendet werden. Auch gegen den Pflegenotstand werde viel zu wenig unternommen. Man lasse es zu, dass viele Pflegekräfte ausgebildet werden, die dann aber nur kurz im Beruf bleiben, weil sie nicht nur mäßig bezahlt werden, sondern auch noch Reglements unterworfen werden, die für jeden Handgriff ein genaues Zeitlimit vorschreiben. Dass mitten in der Corona-Krise Betten abgebaut werden und Pflegekräfte abwandern, seien Symptome einer völlig verfehlten Gesundheitspolitik.
29 Jan 2021Corona im Rechtsstaat Folge 5100:34:50
Mit dem Potsdamer Historiker René Schlott sprach Niko Härting bereits im Juni 2020 in Folge 23. Was hat sich seit Juni getan? Wie haben sich Politik, Gesellschaft, Opposition und die Medien seitdem entwickelt in den fortlaufenden Diskussionen rund um die Corona-Krise? Und was hält ein Historiker, der im Osten Deutschlands groß geworden ist, von einer Bundeskanzlerin, die aktuell erneut Grenzschließungen fordert? René Schlott spricht von einer "Bunkermentalität" (BKK-Chef Franz Knieps, ehem. Abteilungsleiter im BMG) und von sehr wenigen (und oft einseitigen) Beratern, denen die Kanzlerin vertraut, und er zieht parallelen zu den späten Tagen der "ewigen" Kanzler Adenauer und Kohl.
27 Oct 2020Corona im Rechtsstaat Folge 3400:30:40
Henning Tillmann ist derzeit ein gefragter Mann. Denn er hat sich intensiv mit der CoronaWarnApp befasst, die ein wichtiger Baustein bei der Strategie der „Kontaktnachverfolgung“ sein soll. Ende April begann die Diskussion um „die App“. In Folge 13 erklärte uns Henning Tillmann den damaligen Stand und erläuterte die Vor- und Nachteile einer Bluetooth-Lösung. Ein halbes Jahr später zieht Henning Tillmann im Gespräch mit Niko Härting eine Zwischenbilanz. Die App funktioniert, wird aber nicht fortentwickelt. Die Zahl der Infektionen, die über die App gemeldet werden, ist zudem ernüchternd niedrig. Sobald die App rot warnt, werden die Abläufe oft mühsam, der Weg zum Test führt meist über eine Telefon-Hotline.
22 Oct 2020Corona im Rechtsstaat Folge 3300:24:24
Die Diskussion um den "Parlamentsvorbehalt" und das Ende der "Stunde der Exekutive" hat den Deutschen Bundestag erreicht. Dies ist auch ein Verdienst von Johannes Fechner, dem rechtspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Staatsrechtler bemängeln schon seit langem die verfassungsrechtlichen Defizite der Corona-Verordnungen (u.a. in zahlreichen unserer Podcasts). Jetzt ergreift die SPD-Fraktion die Initiative, indem sie eine Expertenrunde beauftragt, kurzfristig einen Reformvorschlag für das Infektionsschutzgesetz (IfSG) zu erarbeiten mit Vorgaben für Grundrechtseingriffe der Länder und Kommunen. Dies engt die Handlungsspielräume der Länder ein und sorgt dadurch für mehr Einheitlichkeit. Zugleich sollen Spielräume bestehen bleiben, um den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten Rechnung zu tragen.
05 May 2023Follow the Rechtsstaat Folge 2600:42:17
Österreichische Post und Österreichische Datenschutzbehörde, Schadensersatz (Art. 82 DSGVO) und Recht auf Kopie (Art. 15 Abs. 3 DSGVO). In dieser Folge geht es um die beiden Entscheidungen des EuGH vom 4.5.2023 (C-300/21, https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=273284&pageIndex=0&doclang=de&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=3553780; C-487/21, https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf;jsessionid=0BDA73FF2A316FF3152E8D2779EB1480?text=&docid=273295&pageIndex=0&doclang=de&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=3553600). Österreichische Post (ab Minute 1:45): Stefan Brink und Max Adamek sprechen darüber, wie der EuGH den Begriff des „immateriellen Schadens“ versteht. Eine „Erheblichkeitsschwelle“ gibt es bei Art. 82 DSGVO nach Auffassung des EuGH nicht, wohl aber muss der Kläger nachweisen, dass er durch einen Datenschutzverstoß einen „immateriellen Schaden“ erlitten hat. Wie die Höhe des Schadensersatzes genau festgesetzt wird, bleibt den nationalen Gerichten überlassen, die allerdings bei der Bemessung der Höhe „die unionsrechtlichen Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität“ zu beachten haben. Wird die Entscheidung des EuGH den deutschen Zivil- und Arbeitsgerichten die Arbeit bei Schadensersatzprozessen erleichtern? Österreichische Datenschutzbehörde (ab Minute 21:00): Niko Härting und Stefan Brink ordnen die Entscheidung ein. Gibt es nach Auffassung des EuGH ein eigenständiges „Recht auf Kopie“? Oder sind „Kopien“ jetzt verpflichtend, sobald bei einem Unternehmen oder einer Behörde ein Auskunftsersuchen nach Art. 15 DSGVO eingeht? Und wie weit geht der Begriff der „Kopie“? Wenn der EuGH jetzt keine umfassenden Kopien großer Datenbestände verlangt, wie geht ein Unternehmen oder eine Behörde damit um, dass der EuGH es zugleich die „Reproduktion von Auszügen aus Dokumenten oder gar von ganzen Dokumenten oder auch von Auszügen aus Datenbanken“ für erforderlich hält, „wenn die Kontextualisierung der verarbeiteten Daten erforderlich ist, um ihre Verständlichkeit zu gewährleisten.“ Ist ganz neuer Streit um das „Recht auf Kopie“ vorprogrammiert?
02 Nov 2023Follow the Rechtsstaat Folge 5100:40:58
Frau Prof. Dr. Dr. h.c. Gertrude Lübbe-Wolff war von 2002 bis 2014 Richterin am Bundesverfassungsgericht und hat kürzlich eine Studie veröffentlicht mit dem Titel „Beratungskulturen - Wie Verfassungsgerichte arbeiten und wovon es abhängt, ob sie integrieren oder polarisieren“. Die Studie hat 800 Seiten und vergleicht die Arbeit von Verfassungsgerichten in der ganzen Welt (https://www.kas.de/documents/252038/16166715/Beratungskulturen.+Wie+Verfassungsgerichte+ar beiten%2C+und+wovon+es+abh%C3%A4ngt%2C+ob+sie+integrieren+oder+polarisieren.pdf/a6832 3e0-dd86-6b7b-202e-bd4130edb511?version=1.3&t=1683291883575) Im Gespräch mit Niko Härting geht Gertrude Lübbe-Wolff auf den ersten Teil der Veröffentlichung ein, welcher thematisiert, wie Entscheidungen und Mehrheiten bei Entscheidungen zustande kommen. Dabei werden (ab Minute 5:05) der US Supreme Court und das Bundesverfassungsgericht in ihren historischen Wurzeln verglichen. Bezug wird insbesondere auf das seriatim-Modell und dem per-curiam-Modell genommen. Beide werden näher von Gertrude Lübbe-Wolff erläutert und miteinander verglichen. Dabei berichtet Gertrude Lübbe-Wolff immer wieder aus der Praxis beim Bundesverfassungsgericht. Ferner werden (ab Minute 14:34) Annäherungstendenzen der beiden Systeme diskutiert. Insbesondere geht es um die Bedeutung von Sondervoten und die Rolle der Berichterstatter. Welche Bedeutung kommt Sondervoten bei Entscheidungen des BVerfG zu? Gertrude Lübbe-Wolff kommt im Laufe des Gespräches auf die Persönlichkeiten von Richterinnen und Richtern zu sprechen mit kritischen Beispielen aus Brasilien (wo Richter nicht im stillen Kämmerlein, sondern vor laufender Kamera beraten, ab Minute 29:15). Ab Minute 32:55 geht es um den „Fanhype“ um US-Verfassungsrichter wie Ruth Bader Ginsburg, Sonia Sotomayor und Antonin Scalia. Trägt die Prominenz einzelner meinungsfreudiger Richterinnen und Richter zu mehr Transparenz der Entscheidungsfindung bei? Nährt die Tendenz zur Anonymität in Entscheidungen des BVerfG eine Illusion, indem Einigkeit der Richterinnen und Richter inszeniert wird, obwohl das Gericht bei der Beratung oft heftig streitet? Gertrude Lübbe-Wolff ist gegenüber jedem „Fanyhpe“ skeptisch und betont die Vorteile der deutschen Praxis.
12 Apr 2023Follow the Rechtsstaat Folge 2300:56:13
In dieser Folge unterhält sich der Ex-Oberdatenschützer Baden-Württembergs Stefan Brink mit Niko Härting über neue Entscheidungen des EuGH und des BVerfG sowie über das italienische ChatGPT-Verbot. Zunächst geht es um Art. 88 DSGVO. Hessische Lehrer hatten dagegen geklagt, dass nur Schülerinnen und Schüler nach ihrem Einverständnis gefragt werden bei der Nutzung von Video-Apps für den Unterricht. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden legte den Fall dem EuGH vor, der am 30.3.2023 (Az. C34/21) entschied, dass die Norm des hessischen Datenschutzrechts, auf die sich Hessen stützte, nicht den Anforderungen der DSGVO entspricht. Welche Folgen und welche Tragweite hat die Entscheidung des EuGH? Härting und Brink setzen unterschiedliche Akzente. Ab Minute 19 geht es um ChatGPT und das Verbot, das die italienische Datenschutzbehörde ausgesprochen hat. Dies mit einer Begründung, die nicht in allen Punkten überzeugt. Härting und Brink erläutern die Entscheidung und diskutieren mögliche Folgen für diese und ähnliche AI-Anwendungen in Deutschland. Zu guter Letzt geht es ab Minute 41 um das Neueste zur Vorratsdatenspeicherung. Das BVerfG hat mehrere Verfassungsbeschwerden für unzulässig erklärt (BVerfG. vom 14.2.2023 und 15.2.2023 Az. 1 BvR 141/16 u.a.). Härting hat an einer der Verfassungsbeschwerden mitgewirkt und ist - wenig überraschend - nicht zufrieden. Aber auch Brink kritisiert die Entscheidungen deutlich und sieht in ihnen die Erfindung einer neuen „Prozessbeobachtunngspflicht“ der Beschwerdeführer in Karlsruhe, die den Rechtsschutz erheblich verkürzen kann.
23 Nov 2021Corona im Rechtsstaat Folge 7600:51:10
Mit Matthias Schrappe unterhielt sich Niko Härting bereits in Folge 68. Schon damals ging es um das „hilflose Unterfangen“, die Corona-Politik an „Inzidenzen“ zu orientieren. Auch die seit Ende August/Anfang September im Infektionsschutzgesetz (IfSG) vorgesehene Ausrichtung an einer „Hospitalisierungsrate“ hält Schrappe für eindimensional und verfehlt. Epidemien seien ein komplexes Geschehen, das sich nicht mit einem Zahlenwert erfassen lasse. Man agiere nach wie vor „im Blindflug“, es fehle an grundlegenden Erkenntnissen über die Verbreitung des Virus und Ansteckungsrisiken der Geimpften und Ungeimpften. Niemand habe Kohortenstudien in Auftrag gegeben und Menschen aus beiden Personengruppen eine Zeit lang systematisch beobachtet. Stattdessen bilde man willkürliche Kategorien wie die Kategorie der „Impfdurchbrüche“, zu denen man infizierte Geimpfte nur dann zählt, wenn sie Corona-Symptome zeigen. Schrappe übt Kritik an der politischen Steuerung des Robert-Koch-Instituts (RKI) und des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) und an deren „bürokratischer Arbeitsweise“, die nicht mehr zeitgemäß sei. Auch die Gesundheitsämter befassten sich viel zu wenig mit der Situation vor Ort - insbesondere in sozial-ethnischen Problemvierteln, stattdessen werden Beamte angewiesen, „aus dem Sessel“ mit großem Aufwand und fraglichen Ergebnissen „Kontakte nachzuverfolgen. Seit Februar/März 2020 habe man zudem um die großen Gefahren für Alten- und Pflegeheime gewusst. Die Weigerung, bei der Corona-Politik den Schutz vom Risikogruppen in den Mittelpunkt zu stellen, sei einer der größten Fehler gewesen. Schrappe, der prägende Jahre seiner frühen Berufszeit mit der AIDS-Krise in der Kölner Universitätsklinik befasst war, versteht nicht, warum man aus der damaligen Zeit keine Lehren gezogen hat und bis heute nicht weiß, aus welchen Bevölkerungsgruppen die Menschen stammen, die an Corona schwer erkranken. Prävention ist mehr als „Kontaktbeschränkung“. Am Schluss des Gesprächs geht es um die Gründe, weshalb während der Corona-Krise trotz Subventionen in einer Größenordnung vom 15 Milliarden EUR bundesweit nur noch rund 22.000 statt (im Sommer 2020) rund 35.000 Intensivbetten als „betreibbar“ ausgewiesen werden. 2020 war das wirtschaftlich erfolgreichste Jahr einiger Klinikketten. Subventionen flossen in die Taschen der Anteilseigner, da es zu wenig Auflagen und zu wenig Kontrollen gab, um sicherzustellen, dass die Gelder zur Bekämpfung des Klinik- und Pflegenotstands verwendet werden.
26 Aug 2021Corona im Rechtsstaat Folge 6700:27:09
Mit seinem Berliner Kollegen Ulrich Schellenberg führt Niko Härting ein Gespräch von Anwalt zu Anwalt. Wie hat Schellenberg die Corona-Krise erlebt? Schellenberg berichtet, dass die „Bundesnotbremse“ und die Ausgangssperre im April 2021 der Punkt war, an dem er der Corona-Politik der Regierenden nicht mehr folgen konnte und wollte. Stets um eine starke Anwaltschaft als Stimme und Verteidigerin des Rechtsstaats bemüht, hält es Schellenberg für die selbstverständliche Pflicht von Anwältinnen und Anwälten, für die Rechte von Bürgern zu streiten, deren Grundrechte in den letzten 18 Monaten eingeschränkt wurden. Dass man sich als Anwältin für ein solches Engagement nicht rechtfertigen muss, ist selbstverständlich.
21 May 2024Follow the Rechtsstaat Folge 7801:02:05
In dieser außergewöhnlichen Podcast-Folge wenden sich Niko Härting und Stefan Brink zwei außergewöhnlichen Jubiläen zu: Vor 175 Jahren, genauer am 28. März 1849, trat die erste Verfassung des deutschen Reiches, auch Frankfurter Reichsverfassung (FRV) oder Paulskirchenverfassung genannt, in Kraft. Und vor 75 Jahren, am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz vom Präsidenten des Parlamentarischen Rates ausgefertigt. Zwar war der Paulskirchenverfassung kein großer Erfolg beschieden und auch ihr epochaler Grundrechte-Katalog wurde schon 1851 wieder kassiert, dennoch finden sich dort zahlreiche jener qua Verfassung garantierten Individualrechte gegen den Staat, derer wir uns heute noch erfreuen: Von der „Preßfreiheit“ über Justiz-Grundrechte bis zu sozialen Grundrechten (Volksschulen wurden vom Schulgeld befreit) findet sich in der FRV jenes liberale Gedankengut, das die Märzrevolution von 1848 vorangebracht hatte. Die Weimarer Reichsverfassung von 1919 nahm sich am Frankfurter Grundrechtekatalog ebenso Vorbild wie die Väter und Mütter des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat. Dennoch gibt es mit der Abschaffung des Landeskinderprivilegs, der Bindung der Religionsausübungsfreiheit an die Strafgesetze und dem Verbot der Ministerialjustiz in der FRV einige Freiheitsgarantien, die selbst nach 175 Jahren nicht vollständig in unserer gelebten Verfassung angekommen sind. Die provisorische Verfassung vom Mai 1949, unser Grundgesetz (ab Minute 31:30), hat zwar nie – auch nicht mit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 - eine Annahme durch Volksabstimmung erlebt; mit der Bindung aller Staatsgewalt an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) und an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG), der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) zu unabhängigen Gerichten (Art. 97 GG) und auch materiellen Gewährleistungen des Rechtsstaats (Menschenwürde und Gleichheit, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit) hat es aber für uns besonders wichtige Garantien geschaffen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Grundgesetz über die Jahrzehnte hinweg durchaus unterschiedlich mit Leben gefüllt, aber trotz einiger Belastungsmomente dürfen wir uns freuen, das GG „in guter Verfassung“ zu erleben. Und daran mitwirken, dass dies auch so bleibt.
11 Feb 2021Corona im Rechtsstaat Folge 5200:37:46
Niko Härting unterhält sich mit Klaus Stöhr über covid-strategie.de – eine neue Initiative für eine Langzeitstrategie bei der Corona-Bekämpfung, bei der Stöhr eine federführende Rolle einnimmt. Stöhr kritisiert die zu starke Ausrichtung der Corona-Politik auf „Inzidenzen“. Er ist der Überzeugung, dass es besserer Kompromisse bedarf zwischen den gesundheitlichen Auswirkungen einer Erkrankung, den Kollateralschäden für andere Gesundheitsbereiche, für die Gesellschaft und den Einzelnen durch die verordneten Maßnahmen, die wirtschaftlichen Effekte und notwendigen freiheitlichen Einschränkungen zu finden. Klaus Stöhr mahnt, stärker auf die Erfahrungen mit vergangenen Pandemien und mit anderen Coronaviren zu vertrauen. Ob durch eine Impfung oder auch durch die Immunisierung von Menschen, die bereits mit dem Virus infiziert waren: Dass das Virus hierzulande heimisch – endemisch – wird, sei sicher. Daher gehe es nicht darum, das Virus aus Deutschland oder Europa zu verbannen, sondern Wege zu finden, mit dem Virus zu leben und Schäden in allen Lebensbereichen gering zu halten. Klaus Stöhr hält es zudem für verfrüht, da nicht evidenzbasiert, vor den Gefahren einzelner „Mutationen“ zu warnen. Es sei völlig normal, dass ein Virus zahlreiche „Varianten“ entwickelt, und die Entwicklungen in Großbritannien und Irland ließen nicht darauf schließen, dass mit den von vielen befürchteten verheerenden Konsequenzen zu rechnen sei.
26 Oct 2023Follow the Rechtsstaat Folge 5000:45:35
Um den Datenschutz haben Finanzämter und -Gerichte in Deutschland traditionell einen großen Bogen gemacht – jetzt kommen sie aber nicht mehr umhin, sich mit dem Thema Datenrecht auseinanderzusetzen. In der Rubrik „Querbeet“ stellt Stefan Brink (ab Minute 01:05) eine Klage des US-Adressdaten-Händlers Acxiom gegen die hessische Datenschutz- Aufsichtsbehörde vor. Acxiom möchte die Gewährung von Akteneinsicht an den Beschwerdeführer noyb (Max Schrems) verhindern. Das BVerfG (Az. 2219/20, Beschluss vom 25. September 2023, 1. Kammer BVerfG) beschäftigt mal wieder FTR: Die Präsidenten-Kammer erklärt die Verfassungsbeschwerde eines Profs, der sich gegen die Beschlagnahme von Forschungsunterlagen wendet und sich in seiner Forschungsfreiheit verletzt sieht, wegen angeblicher Begründungsmängel für unzulässig – obwohl die Frage der Einhaltung der Monatsfrist einfach zu klären gewesen wäre. Und macht so die Arbeit zahlreicher zuvor Angehörter (vom Bundestag bis zu kriminologischen Vereinen) zunichte. Sodann erklärt die Kammer ausführlich, warum die Beschwerde gute Aussichten auf Erfolg gehabt hätte: In dem universitären Forschungsprojekts zur „Islamistischen Radikalisierung im Justizvollzug“ wurden Inhaftierte interviewt, vorab wurde ihnen Vertraulichkeit zugesichert. Bei einer Durchsuchung der Räumlichkeiten des Lehrstuhls wurden Forschungsunterlagen der Interviews beschlagnahmt, weil gegen eine im Rahmen des Projekts interviewte Person der Verdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland bestünde. In der Sache bestehen auch aus Sicht des BVerfG erhebliche Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen, das Beschwerdegericht habe Gewicht und Reichweite der Forschungsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) nicht angemessen berücksichtigt. Zwei aktuelle finanzgerichtliche Entscheidungen verdienen danach (ab Minute 24:12) besondere Aufmerksamkeit: Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 9.3.2023 zur Frage der Schadenersatzpflicht eines Finanzamtes aus Art. 82 DS-GVO (ablehnend) entschieden und eine beharrliche Fehde mit der Klägerin, die wegen der Weitergabe der Telefonnummer ihres angestellten Ehemanns an die Senatsverwaltung für Finanzen 100 € Schadenersatz begehrte, vorläufig beendet. Dies wird sich der Bundesfinanzhof ebenso näher anschauen müssen wie das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg (vom 26. Juli 2023 – 10 K 3159/20 ab Minute 34:37), welches ein Recht auf Akteneinsicht in die Prüferhandakte während der laufenden Betriebsprüfung aus der DSGVO (Art. 15) mit wenig überzeugenden Gründen ablehnt. In beiden Fällen wird sich der BFH auch mit der Frage beschäftigen müssen, warum jeweils keine Vorlage an den EuGH (der ja laut BVerfG auch gesetzlicher Richter sein kann) erfolgte. Spaßiger Weise hielt das Finanzgericht Baden-Württemberg seinen Fall für einen „acte clair“ – der EuGH entschied allerdings in der Zwischenzeit genau umgekehrt. Tja.
26 Apr 2024Follow the Rechtsstaat Folge 7500:51:06
Stefan Brink und Niko Härting freuen sich in der neuen Podcast-Folge (ab Minute 00:39) zunächst über eine aktuelle Entscheidung: In Querbeet begrüßen sie die Wahl von Christina Rost zur neuen Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit in Sachsen-Anhalt – das wurde nach fast sechs Jahren Sedesvakanz ja auch Zeit! Dann betrachten sie die Schlussanträge des EU-Generalanwalts in der Rechtssache C-768/21 zur Handlungspflicht einer Datenschutzbehörde, der eine begründete Beschwerde vorliegt und gehen auf die Replik zu Stefans Beitrag „Warum der Bundeskanzler nicht auf TikTok tanzen darf“ in FAZ Einspruch ein. Im Zentrum des Podcasts stehen dann (ab Minute 28:45.) zwei sehr unterschiedliche Entscheidungen des BVerfG: Im Beschluss vom 11. April 2024 - 1 BvR 2290/23 – gibt die 1. Kammer der Verfassungsbeschwerde von Ex-Bild-Chef Julian Reichelt statt. Im August 2023 twitterte Reichelt wenig sachlich: „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!). Wir leben im Irrenhaus, in einem absoluten, kompletten, totalen, historisch einzigartigen Irrenhaus. Was ist das nur für eine Regierung?!“. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit mahnte Reichelt daraufhin wegen falscher Tatsachenbehauptung ab: Es sei kein Euro an die Taliban geflossen, sondern an Nichtregierungsorganisationen und die Vereinten Nationen. Zwar wies das LG Berlin das Ansinnen des BMZ zurück, da juristische Personen des öffentlichen Rechts keinen Ehrenschutz genössen und der Tweet von der Meinungsfreiheit gedeckt sei, das Kammergericht erließ jedoch am 14.11.23 eine Untersagungsverfügung gegen Reichelt: Auch das BMZ könnte Ehrenschutz erlangen, wenn das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Funktionsfähigkeit einer Institution gefährdet sei. Dem widersprach das BVerfG und gab Reichelt Recht: Dem Staat komme kein grundrechtlich fundierter Ehrenschutz zu, er müsse auch scharfe und polemische Kritik aushalten. Erstaunlich nur: Über die offenkundig nicht gegebene Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde – es standen Reichelt noch Rechtsbehelfe, auch in der Hauptsache – zur Verfügung, geht Karlsruhe mit einem Halbsatz hinweg. Damit agiert es zunehmend unberechenbar – und völlig anders als bei der Verfassungsbeschwerde des (CUM) EX-Bankers Christian Olearius (Beschluss vom 10.4.2024 1 BvR 2279/23 – ab Minute 44:17), wo die Anforderungen an eine schlüssig begründete Verfassungsbeschwerde äußerst hoch gehängt werden: Die Beschwerde ließe „eine substantiierte Auseinandersetzung mit der seitens des Bundesgerichtshofs herangezogenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vermissen“ – weswegen gravierende Fragen zum Schutz von Tagebuchaufzeichnungen und zu § 353d Nr. 3 StGB unbeantwortet bleiben. Karlsruhe praktiziert also ein „freies Annahmeverfahren bei Verfassungsbeschwerden“ – schade nur, dass dies so nicht im Gesetz steht.
25 Jan 2024Follow the Rechtsstaat Folge 6100:46:52
In dieser Podcast-Folge geht es in Querbeet (ab Minute 01.08) zunächst um die unendliche Geschichte der Wahl eines Bundesbeauftragten und ein Bußgeld, welches die französische Aufsichtsbehörde CNIL gegen Amazon wegen Verletzung des Beschäftigtendatenschutzes verhängt hat. Danach besprechen Niko Härting und Stefan Brink die ablehnende Entscheidung des rheinland-pfälzischen Datenschutzbeauftragten (ab Minute 07.38), Unterlagen zu Funktion und Entwicklung des Textgenerators ChatGPT herauszugeben. Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten der Länder und des Bundes DSK hatte bei OpenAI entsprechende Auskünfte zu ChatGPT eingeholt, allerdings lehnte der LfDI RLP einen darauf zielenden Informationszugangsantrag mit der Begründung ab, die Unterlagen enthielten sämtlichst Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse von OpenAI – und dessen Schutzinteresse überwiege das öffentliche Interesse an einem demokratischen Diskurs über den Einsatz von KI. In einer weiteren Entscheidung des OVG Hamburg (3 Bs 146/23 vom 29.11.2023, ab Minute 17:30), ging es um die Pflicht zum Vermerk des Geburtsdatums auf dem Kandidaturbogen für die Wahl zum Studierendenparlament. Hatte das VG Hamburg die Kandidatur noch mangels Angabe des geforderten Geburtsdatums für unwirksam gehalten, verwarf das OVG die Pflicht zur Angabe des Datums unter Hinweis auf den Grundsatz der Datenminimierung in der DS-GVO. Dieser schließe auch verfrühte Datenerhebungen aus. Schließlich werfen Niko und Stefan einen leicht verwunderten Blick auf die Pressemitteilung des BVerwG (zum Verfahren 10 C 3.22 vom 19.12.2023), das die im Jahr 2018 in Kraft getretene Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern (AGO) „absegnete“: Nach dieser Vorschrift ist im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar ein Kreuz anzubringen (ab Minute 33:03). Nach dem Kontext und Zweck der Verwendung des Kreuzessymbols identifiziere sich der Freistaat Bayern durch die Aufhängung von Kreuzen keineswegs mit christlichen Glaubenssätzen. Seine Anbringung im Eingangsbereich von Behörden stehe der Offenheit des Staates gegenüber anderen Bekenntnissen und Weltanschauungen nicht im Weg. Aha – warten wir mal auf die Eingebungen, welche uns in den schriftlichen Urteilsgründen präsentiert werden.
22 Apr 2021Corona im Rechtsstaat Folge 6001:16:33
In einem XXL-Podcast unterhalten sich Ulrike Guérot und Niko Härting über die "Bundesnotbremse", die Bundestag und Bundesrat diese Woche verabschiedet haben. Warum nimmt das linksprgressive Spektrum Freiheitsbeschränkungen auch im zweiten Jahr der Corona-Krise mehrheitlich ohne größeren Widerspruch hin? Warum verlagert sich die Kritik weitgehend in Soziale Medien und Online-Publikationen, weshalb liegen TAZ, FAZ und SZ meist auf einer Linie? Wie lässt es sich erklären, dass man nur noch von "Daten" spricht, wenn man die Realität beschreibt? Weshalb glaubt man lieber an "Modelle", Prognosen und Rechenkünste als an Vernunft und Erfahrung? Wieso spricht man von "der Wissenschaft", wenn man die Ansichten einzelner Wissenschaftler meint? Was ist aus dem wissenschaftlichen Diskurs geworden, aus dem fruchtbaren Austausch zwischen einer "herrschenden Meinung" und abweichenden Auffassungen? Hat man auf der linken Seite des politischen Spektrums den Widerstandsgeist verloren? Unterscheidet man nicht mehr zwischen Regierenden und Regierten, sondern nur noch zwischen "uns" und "rechts"?
07 Jan 2025Follow the Rechtsstaat Folge 10800:47:08
Im neuen Podcast sprechen Stefan Brink und Niko Härting mit der Berliner Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Meike Kamp. Zunächst geht es (ab Minute 02:30) um die Situation des Datenschutzes in Berlin und Deutschland, auch die Lage der Konferenz der Datenschutzbeauftragten der Länder und des Bundes wird kritisch hinterfragt. Meike Kamp betont dabei die erzielten Fortschritte und verweist auf die erhebliche Beschwerdelast der Aufsicht. Dann geht der Blick auf die europäische Ebene (ab Minute 28:50), der Europäische Datenschutzausschuss EDSA ist ebenso wie der Europäische Gerichtshof EuGH ein zentraler Player im „neuen Datenschutz“ der DS-GVO. Aus Sicht von Meike Kamp haben die Institutionen ihre Rolle inzwischen gefunden – es bleint also spannend. Abschließend (ab Minute 44:21) stellt Meike Kamp die Schwerpunkte ihres Vorsitzjahres 2025 bei der DSK vor – lauter Neuigkeiten also von der Berliner Aufsicht!
19 Dec 2024Follow the Rechtsstaat Folge 10701:03:53
„Die schönsten Träume von Freiheit werden im Kerker geträumt“ heißt es bereits bei Friedrich Schiller. Der vormalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier betont die freiheitssichernde Funktion des Staates: „Zweck des Staates ist die Gewährleistung der Freiheit.“ Aus seiner Zeit am Bundesverfassungsgericht berichtet Papier vom ständigen Kampf um die richtige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit: „Damals hieß es immer, ohne Sicherheit sei die Freiheit nichts und deshalb könnten Maßnahmen für die Sicherheit die Freiheit gar nicht einschränken. Dieser Aussage ist das BVerfG damals nie gefolgt.“ In der Corona-Zeit gerieten Freiheit und Sicherheit bisweilen aus dem Gleichgewicht: „Ich habe von Anfang der Pandemie an, seit 2020 immer gesagt: Prüft bitte eingehend die Verhältnismäßigkeit. Es wurde aber immer gesagt, es ginge um den Gesundheitsschutz und etwas Höherrangiges gäbe es ja nicht.“ Auch bei der Meinungsfreiheit sieht Papier kritische Entwicklungen, die weniger vom Staat als von privaten Akteuren ausgehen: „Es gar nicht erst zulassen, dass Freiheitsrechte real nicht mehr ausgeübt werden, weil es starken gesellschaftlichen Gruppierungen nicht passt.“ Wenig hält Papier von markigen Politikersprüchen zur „Härte“ des Rechtsstaats: „Die Aussage von Politikern nach einem schrecklichen Verbrechen, man würde mit aller Härte des Rechtsstaats vorgehen, ist schon fast peinlich, da sie den Anschein erwecken könnte, der Rechtsstaat hätte in anderen Kriminalitätsbereichen schon abgedankt.“
11 Jan 2024Follow the Rechtsstaat Folge 5900:46:57
Die erste Podcast-Folge des Jahres widmet sich zunächst in Querbeet (ab Minute 1.30) zwei Aktivitäten der EU-Kommission: Um den für alle lästigen Cookie-Bannern zu entkommen startete die Kommission eine Initiative, Webseiten-Anbieter zum Verzicht auf die Abfrage einer Einwilligung zu bewegen und hat dazu den Entwurf von Verpflichtungsgrundsätzen für die digitale Werbeindustrie vorgelegt, der eine Alternative zum „Pay oder Okay“-Modell bietet. Zudem hat die EU-Kommission im Rahmen des Gesetzes über digitale Dienste (Digital Services Act DSA) ein förmliches Verfahren gegen X eingeleitet (ab Minute 9.27) Gegenstand der Untersuchung ist, ob X in Bereichen wie Risikomanagement, Moderation von Inhalten, Dark Patterns, Transparenz, Werbung und Datenzugang für Forscher möglicherweise gegen das Gesetz über digitale Dienste verstoßen hat. Dann sprechen Niko Härting und Stefan Brink eingehend über die Vorlageentscheidung des EuGH vom 14.12.2023 (C-340/21, ab Minute 21.28): Der EuGH beantwortet Fragen eines bulgarischen Gerichts zum Anspruch auf Ersatz eines immateriellen Schadens wegen der Verletzung technischer oder organisatorischer Maßnahmen nach Art 24 und 32 DS-GVO. Der EuGH legt Art. 82 Abs. 1 DS-GVO so aus, dass allein die Befürchtung einer betroffenen Person, dass ihre personenbezogenen Daten durch Dritte missbräuchlich verwendet werden könnten, einen „immateriellen Schaden“ im Sinne dieser Bestimmung darstellen kann. Das sorgt sicherlich für ganz erheblichen Diskussionsbedarf – ab Minute 38.24 denken Niko und Stefan daher über mögliche Kriterien für Schadenersatzklagen nach Art. 82 DS-GVO im Jahre 2024 nach. Wir freuen uns auf ein spannendes neues Jahr 2024 – und Euer geschätztes Feedback!
11 May 2023Follow the Rechtsstaat Folge 2700:59:48
Von dem Vorhaben der „Ampel“, Cannabis in Deutschland weitestgehend zu liberalisieren, scheint wenig übrig zu bleiben. Gesundheitsminister Karl Lauterbach begründet dies mit Bedenken aus Brüssel. Was ist von diesen Bedenken zu halten? Ist die Kehrtwende der Ampel wirklich „alternativlos“? Niko Härting spricht mit Kai Ambos, Professor für Straf- und Strafprozessrecht, Rechtsvergleichung, internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Georg-August-Universität Göttingen. Ambos und Härting besprechen die internationalen und europäischen Abkommen und Rechtsakte, die bei einer Freigabe von Cannabis zu beachten sind. Die Rechtslage ist komplex, erlaubt jedoch nach Ambos‘ Überzeugung eine deutlich weitergehende Legalisierung, als dies jetzt von Lauterbach geplant wird, wenn es einen entsprechenden politischen Willen gäbe. Es geht unter anderem um folgende Fragen: - Ist es üblich, dass die Bundesregierung zunächst einmal Gespräche mit der Europäischen Kommission führt, bevor sie einen Gesetzesentwurf vorlegt? - Gibt es Rechtsgrundlagen für ein solches Verfahren? - Wie vertragen sich Vorklärungen und Brüssel damit, dass Art. 38 GG nach der Rechtsprechung des BVerfG die Wahlbürger vor einem „ Substanzverlust ihrer verfassungsstaatlich gefügten Herrschaftsgewalt“ schützt? - Hätte man die „Eckpunkte“ einer Cannabis-Legalisierung nicht zunächst im Bundestag beraten müssen? - Konnte man im Gesundheitsministerium ernsthaft „grünes Licht“ aus Brüssel erwarten oder war es nicht vorhersehbar, dass allenfalls Bedenken geäußert würden? - Welche Zuständigkeiten hat die EU in der Drogenpolitik nach den Europäischen Verträgen? - Was ist von dem „Rahmenbeschluss“ der EU aus dem Jahre 2004 zu halten, der den Cannabishandel verbietet, solange es keine „Berechtigung“ gibt? - Warum soll sich eine solche „Berechtigung“ nicht durch ein deutsches Gesetz schaffen lassen? - Muss sich nicht der „Rahmenbeschluss“ an Art. 7 der EU-Grundrechte-Charta (Privatleben) messen lassen? - Die Politik der Cannabis Prohibition gilt allgemein als gescheitert. Lässt sich diese Politik dann verfassungsrechtlich wirklich noch als geeignet, erforderlich und im engeren Sinne verhältnismäßig bezeichnen, um Grundrechtseingriffe zu rechtfertigen? Anders als das europäische Recht schränken die seit 1961 bestehenden, mehrfach im Zeichen des „War on Drugs“ geänderten internationalen Abkommen nicht nur den Handel mit Cannabis, sondern auch den Konsum ein. Hier liegt nach Ambos‘ Auffassung eine größere Herausforderung als bei der Auslegung des europäischen Recht. Allerdings müsse man bei der Interpretation der Abkommen berücksichtigen, dass die Anschauungen sich seit den 60er-Jahren stark geändert haben. Der „War on Drugs“ ist Geschichte, und US-Staaten wie Kalifornien gehören zu den Vorreitern einer Cannabis-Legalisierung. Der Wortlaut der einschlägigen Normen der Abkommen eröffnet zudem Auslegungsspielräume, die eine Kontextualisierung erlauben und genutzt werden sollten.
02 Apr 2020Corona im Rechtsstaat Folge 100:32:45
Niko Härting unterhält sich mit Konstantin Kuhle (FDP-MdB, innenpolitischer Sprecher) über das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, die genauen Zwecke der Corona-Maßnahmen und darüber, ob es dem FDP-Politiker leicht gefallen ist, den Änderungen des Infektionsschutzgesetzes zuzustimmen. Wer hat zur Zeit das Sagen? Die Wissenschaft? Die Exekutive? Oder doch die Parlamente?
30 Aug 2022Follow the Rechtsstaat Folge 600:29:08
Prof. Dr. Günter Krings vertritt seit 2002 als direkt gewählter Abgeordneter den Wahlkreis Mönchengladbach im Deutschen Bundestag und zählt dort zu den profiliertesten und erfahrensten Juristen. Von 2013 bis 2021 war Krings Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium des Innern und für Heimat; seit 2009 ist er Vorsitzender des Bundesarbeitskreises Christlich Demokratischer Juristen (BACDJ). Seit der letzten Bundestagswahl ist er der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion. Max Adamek und Niko Härting sprechen mit Günter Krings über die rechtspolitischen Schwerpunkte seiner Fraktion. Es geht um die Bekämpfung von Kinderpornografie und Kindesmissbrauch, um Vorratsdatenspeicherung und den Staatstrojaner. Krings kritisiert die pauschale Ablehnung von Ermittlungsinstrumenten durch Vertreter der Regierungsfraktionen und plädiert stattdessen für strenge Regeln und eine sorgsame Abwägung im Einzelfall. Auch die Pläne der „Ampel“ zur Legalisierung von Cannabis und zur Entkriminalisierung des „Containerns“ und des Schwarzfahrens sieht Krings überwiegend kritisch. Er fordert verstärkte Anstrengungen zur Digitalisierung der Verwaltung und zur Bekämpfung von Hate Speech im Netz. Massive Kritik am Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) hält Krings für verfehlt; im fünften Jahr des Gesetzes zieht Krings eine positive Bilanz, da es endlich gelungen sei, die Einhaltung deutschen Rechts auf den großen Plattformen einzufordern und durchzusetzen. Günter Krings tritt engagiert für ein Sondertribunal für russische Kriegsverbrechen im Ukraine-Krieg ein und begründet dies aus völkerrechtlicher Perspektive. Abschließend geht es um den Unterschied zwischen Innen- und Rechtspolitik. Als Jurist wünscht sich Krings ein starkes Justizministerium mit vielen Zuständigkeiten, zu denen inhaltlich – anders als bisher – auch der Datenschutz zählen könnte. Allerdings gebe es in seiner Fraktion – anders als in anderen Parteien - kaum Gegensätze zwischen Rechts- und Innenpolitik.
07 Sep 2023Follow the Rechtsstaat Folge 4300:50:10
Roland Schimmel ist Rechtswissenschaftler und Hochschullehrer an der Frankfurt University of Applied Sciences. Bundesweit erregt er immer wieder als „Plagiatsjäger“ (nach eigener Beschreibung „Plagiatsförster“) Aufsehen - zuletzt durch einen NJW-Beitrag mit dem Titel „Deutschland, Deine Dissertationen“ (https://rsw.beck.de/aktuell/daily/magazin/detail/deutschland--deine-dissertationen). Max Adamek und Niko Härting sprechen mit Roland Schimmel, der seine eigene Doktorarbeit 1996 über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Homo-Ehe schrieb. Dies zu einer Zeit, zu der noch weitgehender Konsens bestand, dass Artikel 6 des Grundgesetzes Ehen nur zwischen Mann und Frau erlaubt. Ab Minute 26:34: Seit dem Plagiatsskandal um den damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor von Guttenberg vor 12 Jahren gibt es immer wieder Fälle, in denen Prominenten nachgewiesen wird, dass sie Teile ihrer Doktorarbeit abgeschrieben haben. Viele Plagiate wurden durch die Plattform „Vroniplag“ überführt. Roland Schimmel hat sich selbst bei „Vroniplag“ engagiert und erklärt, wie die Plattform nach dem „Wiki-Prinzip“ funktioniert. Was für Kriterien gibt es eigentlich bei der Abgrenzung erlaubter Zitate von echten Plagiaten? Welche Regeln gelten und wer legt diese fest? Was genau versteht man unter einem „Bauernopfer“? Und wann müssen Anführungszeichen gesetzt werden? Wozu taugt Plagiats-Software“? Und welchen Beitrag müsste der Wissenschaftsbetrieb leisten, um die „Plagiatsproduktion“ zu bremsen?
05 May 2020Corona im Rechtsstaat Folge 1500:31:09
Niko Härting spricht mit dem renommierten Staatsrechtler Ulrich Battis über die Verhältnismäßigkeit der Corona-Maßnahmen. Prof. Battis erklärt, weshalb er von der Verhältnismäßigkeit vieler dieser Maßnahmen – jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt – nicht (mehr) überzeugt ist. Er kritisiert zudem das Vorgehen auf dem Verordnungsweg. Die Grundrechtseinschränkungen werden weit überwiegend nicht durch die Parlamente, sondern durch die Landesregierungen beschlossen. In dem Gespräch geht es auch um den Lebensschutz. Für den Arzt, der den hippokratischen Eid leistet, ist der Lebensschutz das „höchste Gut“. Das Grundgesetz kennt dagegen keinen absoluten Schutz des einzelnen Lebens und verpflichtet Legislative, Exekutive und Judikative zu vielfältigen Abwägungen. Schon aus diesem Grund kann das „medizinisch Optimale“ nicht der alleinige Maßstab von Entscheidungen sein, wenn es um Grundrechtseinschränkungen geht.
20 Oct 2023Follow the Rechtsstaat Folge 4900:39:38
Der Datenschutz hat auch in Deutschland lange Zeit um Anerkennung ringen müssen – gerade Gerichte bezogen sich lieber auf das gut bekannte Allgemeine Persönlichkeitsrecht als auf dieses „neue Grundrecht“. Das beginnt sich mit der DSGVO zu ändern, allerdings lässt sich fragen, ob Gerichte dabei nicht manchmal übers Ziel hinausschießen. In der Rubrik „Querbeet“ stellt Niko Härting (ab Minute 00:57) die Überlegungen des Deutschen Anwaltvereins zu einem Vorschlag der EU Kommission vor, ein digitales gesetzliches Zahlungsmittel – den „digitalen Euro“ – einzuführen und was das für anonymes Bezahlen bedeutet. Zwei aktuelle Gerichtsentscheidungen verdienen danach (ab Minute 11:22) besondere Aufmerksamkeit: Das OLG Köln (Az. 15 U 3/23) wendet im Falle eines Sternekochs, der sich unversehens als Werbebotschafter für Kaviar in einem Verkaufskatalog wiederfand, den Art. 82 DSGVO an, betrachtet also die entgangene fiktive Lizenzgebühr als datenschutzrechtlichen Schaden. Stefan Brink und Niko Härting diskutieren, ob das ein Fehlgriff sein könnte, der Schule macht. Denn die Beweislasten sind im Zivilrecht für Kläger häufig ungünstiger verteilt als im Datenschutzrecht, das dem verantwortlichen Verarbeiter Nachweis- und Rechenschaftspflichten auferlegt. Das VG Frankfurt/Oder (Urteil vom 29.7.2023, Az. 2 K 1199/18 / ab Minute 20:05) fing sich von Niko Härting in der aktuelle Zeitschrift CR das Verdikt „krasses Fehlurteil“ ein, weil es Sachdaten aus einer Denkmalakte pauschal als personenbezogen einordnete. Der Personenbezug ist in Art. 4 Nr. 1 DSGVO (und seinem Erwägungsgrund 26) zwar äußerst weit gefasst, aber damit jedes Datum wegen seines Bezugs zum (Grundstücks-)Eigentümer für personenbezogen zu halten, überzeugt nicht recht. Abschließend (ab Minute 29:55) kommt ein Fehltritt der Stadt Köln zur Sprache, die auf dem kommunalen Open Data Portal mehr als 45.000 geblitzte Raser samt Kfz-Kennzeichen bloßstellte – eine evidente Datenpanne. Wie sich öffentliche Stellen in solchen Fällen zu verhalten haben und was ihnen an Sanktionen (nicht) droht, diskutieren die Hosts wie immer (fast) erschöpfend.
18 Dec 2021Corona im Rechtsstaat Folge 8100:58:36
Über den Alltag in den Krankenhäusern und Intensivstationen redet man viel, ohne viel zu wissen. Manche wollen über die Zustände in den Krankenhäusern gar nicht viel wissen, weil sie den Meldungen über eine Überlastung mistrauen. Andere meinen, man müsse die Menschen vor einem Krankenhausaufenthalt einfach schützen, dann lösten sich alle Probleme in den Kliniken von ganz allein. Genaues wissen wollen nur die wenigsten.
06 Jul 2023Follow the Rechtsstaat Folge 3400:29:07
Prof. Dr. Dennis-Kenji Kipker ist Hochschullehrer an der Hochschule Bremen und gehört zu den führenden deutsche Experten im IT-Sicherheitsrecht. Im Gespräch mit Stefan Brink und Niko Härting geht es um die wachsende Bedeutung des IT-Sicherheitsrechts, das allmählich aus dem Schatten des Datenschutzrechts heraustritt. Und es geht um das „Digitale Briefgeheimnis“, das Kipker aus deutschem und europäischem Verfassungsrecht ableitet. In einer neuen Studie, die Kipker für die Friedrich-Naumann-Stiftung erstellt hat (https://shop.freiheit.org/#!/Publikation/1481), zeigt Kipker Dimensionen eines „Digitalen Briefgeheimnisses“ auf, das sich nach Kipkers Auffassung sowohl aus Art. 10 GG als auch aus dem Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme („IT-Grundrecht“, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) ergibt sowie aus Art. 7 und 8 der EU-Grundrechtecharta. Das Grundrecht auf (Ende-zu-Ende-)verschlüsselte elektronische Kommunikation ist aus Kipkers Sicht nicht nur ein Freiheitsrecht, aus dem sich hohe Hürden für „Backdoors“ der Sicherheitsbehörden und für Verschlüsselungsbeschränkungen ableiten lassen. Kipker bejaht auch umfassende staatliche Schutzpflichten zur Förderung und Erleichterung verschlüsselter Nachrichtensysteme.
15 Nov 2021Corona im Rechtsstaat Folge 7300:34:24
In Folge 73 haben wir einen alten Bekannten aus Folge 40 zu Gast - Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit. Niko Härting und Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit unterhalten sich über Themen, die sich rund um das pandemische Geschehen in Deutschland drehen. Sind 2G und 3Gplus taugliche Konzepte? Gibt es einen Plan B? Wie verlässlich sind Schnelltests? Wie gut wirken die Impfstoffe wirklich? Niko Härting und Jonas Schmidt-Chanasit befassen sich eingangs mit dem Thema Corona-Impfung und ziehen ein kleines Resümee nach bald einem Jahr der Impfstoffverfügbarkeit. In dem Kontext erklärt Schmidt-Chanasit, wie sich geimpfte und ungeimpfte Personen hinsichtlich der Weitergabe von Coronaviren unterscheiden. Aufgrund der Zuspitzung des pandemischen Geschehens wird über die Sinnhaftigkeit aktueller Eindämmungsmaßnahmen gesprochen. Gerade im Zusammenhang mit aktuell eingeführten 3Gplus-Regeln wird ein Vergleich zwischen den Antigen-Schnelltest und PCR-Test gezogen. Thematisiert wird auch die Dauer des Genesenenstatus. Ist eine Dauer von sechs Monaten nach aktueller wissenschaftlicher Erkenntnis noch sinnvoll? Wie gut ist der Immunschutz vor einer Reinfektion im Vergleich zu geimpften Person? Abschließend geht es im Gespräch um die aktuelle Wiedereinführung der Maskenpflicht an Schulen in einigen Bundesländern.
28 Mar 2024Follow the Rechtsstaat Folge 7100:42:16
In der neuen Podcast-Folge gibt es wenig Licht, dafür einiges an Dunklem. Zunächst berichten Niko Härting und Stefan Brink (ab Minute 1:16) über die Neuigkeiten aus dem Bundesrat: Cannabis kommt, DDG auch, OZG eher nicht. Die BDSG-Novelle läuft, trotz Kritik an der neuen Regelung zu Kreditscoring, welche der SCHUFA am wenigsten Probleme bereitet. Und der x-te Angriff der CDU auf den betrieblichen Datenschutzbeauftragten wurde abgewehrt. Darüber hinaus haben in einem Offenen Brief an Bundesregierung und Ampel-Fraktionen u.a. CCC, noyb und wida/Berlin dringend dafür appelliert, den BfDI rasch nachzubesetzen, die Hängepartie zu beenden und ein transparentes Auswahlverfahren aufzulegen. Dann geht es um eine bedenkliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG 6 C 8.22, Urteil v. 20.3.2024, ab Minute 12:40) in Sachen Informationsfreiheit, wonach die Erhebung der Postanschrift des Antragstellers nach BIFG und § 3 BDSG zulässig sei. Das überrascht nicht nur wegen der kernigen Aussage, wonach das BIFG anonyme Anträge nicht zulasse (woraus ergibt sich das?), sondern auch wegen einer „innovativen“ Auslegung des Erforderlichkeitsprinzips der DS-GVO. Noch liegt nur eine Pressemitteilung dazu vor, die Urteilsgründe werden interessant werden… Schließlich werfen Stefan und Niko noch einen Blick auf ein IFG-Verfahren mit dem BVerfG (ab 25:39): Ein Bürger begehrt die Unterlagen eines Fachgesprächs des BVerfG mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), das BVerfG windet sich heraus mit dem Vorbringen, dass „die antragsgegenständlichen Informationen der Vertraulichkeit unterliegen“ und beruft sich u.a. auf den „Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung“ – überraschend. Dem BVerfG sei in diesen Fällen ein zudem ein Beurteilungsspielraum einzuräumen, wie er auch der Bundesregierung im Rahmen der Gefährdung außenpolitischer Interessen zustehe, schließlich stehe man im „Entscheidungsverbund“ mit anderen europäischen Gerichten. Auch das überrascht, galt das BVerfG bislang doch eher als dem EuGH und dem EGMR nachgeordnetes nationales Gericht. Wenn dann noch das „Erstveröffentlichungsrechts des Urhebers gemäß § 12 Urheberrechtsgesetz“ gegenüber dem Bürger in Stellung gebracht wird, muss befürchtet werden, dass Karlsruhe sich von der Idee eines „Bürgergerichts“ verabschiedet hat. Aber das Ideal eines transparenten Staates ist sicherlich stärker als solche Peinlichkeiten.
29 Oct 2020Corona im Rechtsstaat Folge 3500:33:38
„Neustart“ heißt das neue Programm des Kabarettisten Florian Schröder, mit dem er in Kürze auf Tour gehen wollte. Statt dem „Neustart“ heißt es jetzt „Lockdown“ und „Wellenbrecher“, alle Theater müssen erneut schließen. Vergeht einem Kabarettisten unter diesen Bedingungen der Humor? Niko Härting unterhält sich mit Florian Schröder über den Stellenwert der Kultur im Corona-Jahr. Welche Bedeutung hat Kultur für die Regierenden? Warum mussten die Theater im März als erstes schließen? Weshalb stehen sie jetzt erneut vor dem Aus, nachdem sie mit großem Aufwand Schutz- und Hygienekonzepte umgesetzt haben? Und was heißt es für einen Künstler, wenn er plötzlich auf Hartz IV angewiesen ist?
20 Nov 2023Follow the Rechtsstaat Folge 5300:54:14
Niko Härting spricht mit der Rechtspolitikerin Manuela Rottmann, seit 2017 für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag und bis Ende 2022 Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ein. Ab Minute 2:43 geht es um die Eckpunkte für ein Bürokratieentlastungsgesetz, die die Bundesregierung kürzlich beschlossen hat. Manuela Rottmann erläutert einige der Eckpunkte, betont jedoch zugleich, dass über weitergehende Maßnahmen zu diskutieren ist. Wer über Bürokratieabbau spricht, kommt nicht umhin, zugleich über Risikobereitschaft zu sprechen. Rottmann hält eine Wertedebatte für erforderlich und verweist auf Schwierigkeiten von Kleinunternehmern und Ehrenamtlern, die die bürokratischen Erfordernisse kaum bewältigen können. An Beispielen wie den verschärften Sicherheitsauflagen für Großveranstaltung seit dem Unglück in Duisburg 2010 zeigt Manuela Rottmann auf, dass Regelungen, die als bürokratisch empfunden werden, oft auf das Bedürfnis nach „mehr Sicherheit“ zurückzuführen sind. Wer Bürokratie abbauen möchte, komme daher nicht an einer Debatte darüber vorbei, wie viel Risiko die Gesellschaft in Kauf zu nehmen bereit ist. Ab Minute 11:10 legt Manuela Rottmann dar, dass Bürokratieabbau auch ein Umdenken in der Verwaltung erfordert. Es geht dabei um die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Manuela Rottmann erläutert Erfahrungen aus ihrer früheren Verwaltungspraxis. Die Sorge vor persönlicher Verantwortlichkeit, Haftung oder sogar Strafbarkeit sei ein wesentliches Problem. Führungskräfte ermutigen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur selten, Risiken einzugehen. Ab Minute 20:27 geht es um den Datenschutz. Mit ihren strengen Regeln wollte die DSGVO vor allem große US-Konzerne bändigen und europäischen Bürgern Sicherheit beim Umgang mit Personendaten verschaffen. Die Folgen des strengen Datenschutzes treffen jedoch in der Praxis vor allem kleine und mittelständische Unternehmen, Vereine oder Ehrenamtler. Viel zu wenig achten die Datenschutzbehörden darauf, dass nicht nach dem Prinzip „Vorschrift ist Vorschrift“ verfahren wird und richtige Schwerpunkte gesetzt werden. Der Versuchung, beim Gesetzesvollzug sich mit „Low Hanging Fruit“ zu begnügen, gibt es jedoch keineswegs nur beim Datenschutz. Manuela Rottmann verweist darauf, dass sich etwa beim Denkmalschutz ähnliche Beispiele finden lassen. Ab Minute 35:30 geht es um die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit. Während in vielen Bereichen Unglücksfälle, Pannen, Skandale mit Forderungen nach strengeren Gesetzen und „mehr Sicherheit“ beantwortet werden, nehmen wir mit dem Verzicht auf ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen Risiken ohne Weiteres in Kauf. Dies zeigt besonders deutlich, dass es bei der Balance zwischen Freiheit und Sicherheit immer um Wertentscheidungen handelt und es sich keineswegs so verhält, dass „Mehr Sicherheit“ immer die gesellschaftliche Antwort auf Lebensrisiken ist.
19 Jan 2021Corona im Rechtsstaat Folge 4700:30:27
Kultur ist die Seele der Gesellschaft und gerade in Zeiten wie diesen wichtig. Im Gespräch mit Niko Härting berichtet der Fernseh- und Filmregisseur Thomas Bohn über schwere Zeiten für Soloselbstständige und Kulturschaffende. Während Kinos und Theaterbetriebe gerade erst unter enormen Aufwand Hygienekonzepte entwickelt und umgesetzt haben, sind diese bereits wieder geschlossen. Dass Kultur allerdings auch dem Zusammenhalt der Gesellschaft dient, fällt nunmehr gänzlich untern Tisch. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass unsere Gesellschaft gerade vor einer massiven Spaltung steht. Seit Mai 2020 ist Thomas Bohn Mitglied des Stadtrates Landsberg am Lech als einziges Parteimitglied der FDP. Wobei er stinksauer auf die eigene Partei ist: Hier tut sich nichts. Dabei geht es gerade bei der FDP in der Corona-Krise um das Überleben.
04 Dec 2020Corona im Rechtsstaat Folge 4300:32:50
Christian Waldhoff lehrt Öffentliches Recht und Finanzrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin. Im Gespräch mit Niko Härting geht es um den Einfluss der Staatsrechtslehrer auf Politik und Öffentlichkeit. Weshalb hat es bis zum Herbst gedauert, bis die Kritik etlicher Staatsrechtler an den Grundlagen der Corona-Maßnahmen im Deutschen Bundestag ankamen, obwohl es kritische Stellungnahmen bereits im Frühling gab? Weshalb sieht man Mediziner, Ökonomen, Soziologen und Psychologen, aber keine Staatsrechtslehrer in den Talkshows der Nation? Was genau versteht man überhaupt unter „Staatsrecht“, ist dies nur ein Synonym für das Öffentliche Recht? Und was versteht man unter „Finanzrecht“? Was sagt ein Finanzrechtler zur „Schuldenbremse“ und deren Lockerung im Corona-Jahr?
02 Oct 2024Follow the Rechtsstaat Folge 9700:49:52
Im neuen Podcast werfen Stefan Brink und Niko Härting in Querbeet (ab Minute 01:06) einen Blick auf die ablehnende AfD-Entscheidung des BVerfG (https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2024/bvg24-079.html;jsessionid=BE701844D0B821CB32BE66961315558B.internet981). Die AfD-Fraktion im Bundestag rügte die Abwahl des ihrer Fraktion angehörenden Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages sowie die Ablehnungen weiterer Ausschussvorsitzender. Das BVerfG betrachtet die Abwahl – gemessen am alleinigen verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab des Willkürverbots – als nicht willkürlich. Ein Anspruch auf ein positives Wahlergebnis bestehe ebenfalls nicht. Sodann gilt ein kurzer Blick (ab Minute 08:03) der Unzufriedenheit mit der Ampel-Regierung, die Stefan in einem Beitrag auf Netzpolitik.org zum Ausdruck brachte (https://netzpolitik.org/2024/ampel-koalition-keine-ueberzeugung-nirgends/). Mangelnde Überzeugung und Orientierungslosigkeit der Ampel zeigt sich nicht nur bei der Migrationspolitik, wo Narrative der AfD übernommen werden, sondern auch beim sog. Sicherheitspaket. Im Mittelpunkt steht dann (ab Minute 12:58) die Entscheidung des BVerfG (1. Senat), mit dem das Hessische Verfassungsschutzgesetz teilweise für verfassungswidrig erklärt wird (Beschluss vom 17. Juli 2024 1 BvR 2133/22, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2024/bvg24-078.html). Im Hessischen Verfassungsschutzgesetz (HVSG) geregelte Datenerhebungs- und Übermittlungsbefugnisse des Landesamts für Verfassungsschutz sind mit dem Grundgesetz unvereinbar, weil sie in unverhältnismäßiger Weise in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen. Dann folgt ein kurzer Blick auf das Bundesverwaltungsgericht (ab Minute 19:58), das in seinem Urteil vom 13.6.2024 (1 C 2.23; https://www.bverwg.de/de/130624U1C2.23.0) anlässlich einer coronabedingten Einreiseverweigerung seine Rechtsprechung zum Fortsetzungsfeststellungsinteresse fortsetzt. Dieser waren wir schon in FTR Folge 84 begegnet (BVerwG 6 C 2.22 Urteil vom 24.04.2024), dort hatte sich ein Fußball-Ultra vor dem Revierderby ein befristetes Betretungs- und Aufenthaltsverbot gefangen. Ganz schön engherzig, dieser Rechtsstaat. Betrachtenswert dann (ab Minute 28:35) die Entscheidung des EuGH im Vorlageverfahren des Amtsgerichts München (EuGH 12.9.2024 Rechtssachen C 17/22 und C 18/22; https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=290003&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1). Es geht um die Reichweite des gesellschaftsrechtlichen Auskunftsanspruchs und dabei um die Frage, ob der Name von Mitgesellschaftern über Art. 6 Abs. 1 lit. b DS-GVO (was der EuGH in diesem Fall verneint) oder lit. f DS-GVO (was der EuGH bezweifelt, aber offenlässt) genannt werden kann – vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BGH, der in der Kenntnis von Namen und Anschrift seiner Mitgesellschafter einen „unverzichtbarer Kernbereich der Gesellschafterrechte“ sieht.
23 Nov 2023Follow the Rechtsstaat Folge 5400:41:14
Diese Podcast-Folge knüpft gleich zweimal an ärztliche Patientenakten an, allerdings mit zwei gänzlich unterschiedlichen Themen: Die Probleme mit der elektronischen Patientenakte ePA sind bekannt, sie wurde ohne hinreichende Wahlmöglichkeiten der PatientInnen eingeführt, setzt mit der Widerspruchsmöglichkeit auf eine wenig datenschutzfreundliche Lösung und bietet auch wegen ihrer schwachen Datensicherheit (2-Wege-Authentifizierung ist nicht vorgesehen) genügend Anlass für Streit zwischen Bundes-Gesundheitsminister Lauterbach und dem Bundes-Datenschutzbeauftragten Ulrich Kelber Das heikle an dieser Auseinandersetzung: BfDI Kelber steht nach 5 Jahren Amtszeit im Januar 2024 zur Wiederwahl – aber davon hört man offiziell nichts. Dafür wird hinter den Kulissen getuschelt, man sei in politischen Kreisen mit seinem energischen Eintreten für den Datenschutz unzufrieden. Und damit sind wir inmitten einer Debatte um die Unabhängigkeit der Datenschutz-Aufsicht, welche die DS-GVO gleichzeitig garantiert und voraussetzt. Würde da ein Wiederwahlverbot bei gleichzeitig verlängerter Amtsperiode (ähnlich den Richtern des Bundesverfassungsgerichts) helfen? Darüber diskutieren Niko Härting und Stefan Brink ausführlich. Auch um Patientenakten geht es beim zweiten Thema, einem aktuellen Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 26.10.2023 – Rechtssache C‑307/22 (ab Minute 20:40). Wieder steht die Reichweite des Auskunftsanspruchs aus Art. 15 DS-GVO zur Entscheidung, diesmal mit der Frage, ob davon auch ein Anspruch auf kostenlose Kopie der gesamten Patientenakte umfasst ist. Dies widerspricht nicht nur § 630g BGB, der einen Kostenerstattungsanspruch des Arztes vorsieht. Auch musste sich der EuGH mit der Frage befassen, ob der Anspruch auf Kopie der personenbezogenen Daten (Art. 15 Abs. 3 DS-GVO) zugleich ein Anspruch auf Kopie der gesamten Patientenakte ist. Hier hat sich der EuGH auf eine sehr datenschutzfreundliche Position gestellt, welche alle verantwortlichen Datenverarbeiter vor erhebliche Probleme stellen wird. Auch das lädt zur Diskussion ein!
28 Dec 2023Follow the Rechtsstaat Folge 5700:56:26
Die letzte Podcast-Folge des Jahres widmet sich zunächst in Querbeet (ab Minute 01.35) der Veranstaltung zum Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983, welche wir letzte Woche mit dem Erich Schmidt-Verlag in der Landesvertretung des Freistaats Sachsen beim Bund durchführen durften. Dann widmen sich Niko Härting und Stefan Brink eingehend der Vorlageentscheidung des EuGH zum Scoring der SCHUFA vom 7.12.2023 (ab Minute 06.44): Der EuGH hat bereits die Bildung eines Scorewertes, der eine Prognose zur Wahrscheinlichkeit der Erfüllung von Verbindlichkeiten durch eine bestimmte Person abgibt (vulgo: Bonität), als automatisierte Entscheidung gemäß Art. 22 DS-GVO eingeordnet – und damit nicht nur dieses Geschäftsmodell auf den Prüfstand des Datenschutzes gestellt, sondern auch die Rechte der Verbraucher:innen in Bezug auf die Transparenz der „involvierten Logik“ (Art. 15 Abs. 1 lit. h DS-GVO) massiv gestärkt. Danach (ab Minute 31.48) lassen Niko und Stefan das Podcast-Jahr 2023 Revue passieren und beleuchten die Bedeutung von EuGH, des BVerfG sowie der Aufsichtsbehörden und ihrer Leitungen für die Themenfelder Datenschutz und Informationsfreiheit – und natürlich erinnern sich beide an die besonderen Podcasts des ablaufenden Jahres. Wir freuen uns auf das neue Jahr 2024 – und Euer Feedback!
24 Aug 2021Corona im Rechtsstaat Folge 6600:45:39
Im Gespräch mit Niko Härting geht es um Ullmanns Perspektiven als Mediziner und Politiker. Von dem Alarmismus, den Ullmanns Abgeordnetenkollege Karl Lauterbach mit Mahnungen und Warnungen verkörpert, hält Ullmann wenig. Er plädiert für mehr Besonnenheit und Nüchternheit in der Corona-Krise. Ullmann erläutert, weshalb seine Fraktion diese Woche einer nochmaligen Verlängerung der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ nicht zustimmen wird. Zudem hält es Ullmann für geboten, Corona-Maßnahmen nicht mehr ausschließlich an „Inzidenzen“ zu orientieren und § 28a Infektionsschutzgesetz (IfSG) entsprechend zu ändern. Bei der Beurteilung der Pandemie spielen die „Inzidenzen“ nach Ullmanns Einschätzung eine untergeordnete Rolle. Skeptisch beurteilt Ullmann auch vorschnelle Rufe nach „Booster-Impfungen“. Für derartige Impfungen gibt es keine hinreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse, die breitflächige Drittimpfungen nahelegen. Am Ende des Gesprächs geht es um den Bundestagswahlkampf. Warum ist die Corona-Politik der FDP im Wahlkampf so wenig sichtbar?
23 Oct 2024Follow the Rechtsstaat Folge 10000:32:28
Follow the Rechtsstaat Folge 100 Viel hilft viel!? Im neuen Podcast schauen Niko Härting und Stefan Brink in Querbeet (ab Minute 00:40) zunächst auf einen Beitrag Hans Peter Bull in der FAZ zum Thema Verfassungsschutz und AfD. Er sieht die Politiker in der Bürokratiefalle, denn anstatt eine politisch-moralische Auseinandersetzung zu führen sollen jetzt die Verfassungsschutzbehörden „liefern“. Die bedrohe nicht nur die Meinungsfreiheit, amtliche „Verrufserklärungen“ hätten auch keine gesetzliche Grundlage. Letztlich fordert Bull eine gesetzliche Neuformulierung ihres Auftrags als Inlandsnachrichtendienste für Vorfeldermittlungen – das lässt sich hören. Dann werfen wir (mal wieder) einen Blick (ab Minute 14:50) auf die KollegInnen der LTO, die haben ein Interview mit Professor Friedrich Schoch geführt (12.10., Transparenz und Demokratie, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/informationsfreiheit-ifg-schoch-interview). Schoch analysiert die deutsche "Arkantradition", bei der Verwaltungsinformationen grundsätzlich geheim waren. Dabei spiele Transparenz für die Demokratie eine entscheidende Rolle. Es reiche nicht aus, dass die Verwaltung nur parlamentarisch kontrolliert werde, angebracht sei eine zusätzliche Kontrolle durch die Öffentlichkeit, die schließlich umfassend informiert sein sollte, um zum Beispiel fundierte Wahlentscheidungen treffen zu können. Bravo. Dann geht es (ab Minute 18:19) um das Lindenapotheken-Urteil des EuGH (Urteil vom 4.10.24 C-21/23). Zugrunde liegt eine Wettbewerbsklage zwischen zwei Apotheken mit dem Ziel zu verbieten, apothekenpflichtige Arzneimittel über Amazon zu vertreiben, solange nicht sichergestellt sei, dass Kunden vorab die Möglichkeit hätten, in die Verarbeitung von Gesundheitsdaten einzuwilligen. Der EuGH hält fest: Die DS-GVO steht anderen Klagemöglichkeiten (hier: Wettbewerbsrecht) nicht entgegen, wenn sich diese auf einen Verstoß gegen DS-GVO berufen – mal wieder ein langer Streit in Fachkreisen beendet nach dem Motto: viel hilft viel! Interessant auch die Auslegung des EuGH zu Art. 9 Daten: Daten, die Kunden bei der Onlinebestellung von Arzneimitteln eingeben müssen (wie z. B. Name, Lieferadresse und für die Individualisierung der Arzneimittel notwendige Informationen), stellten Gesundheitsdaten im Sinne dieser Bestimmungen dar, auch wenn diese Arzneimittel nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit und nicht mit absoluter Sicherheit für den bestellenden Kunden bestimmt seien. Zentrales Argument – wie immer – das Ziel der DS-GVO, ein hohes Datenschutz-Niveau zu garantieren. Na denn …
21 Jun 2022Follow the Rechtsstaat Folge 101:08:54
In der ersten Folge: - Aktuell: Vorschlag des Bundespräsidenten zu einer "Sozialen Pflichtzeit" - Welche verfassungs- und konventionsrechtlichen Leitplanken sind zu beachten? - E-Learning: neue Entscheidung des LG Berlin - Brauchen alle Anbieter von Webinaren und Online-Schulungen eine behördliche Genehmigung nach dem Fernunterrichtsschutzgesetz (ein fast in Vergessenheit geratenes Verbraucherschutzgesetz)? - Gespräch mit Konstantin Kuhle (stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion) über Tücken der Innen- und Rechtspolitik, ein Verfahren vor dem BVerfG und die Auskunftspflichten der Nachrichtendienste gegenüber Abgeordneten des Deutschen Bundestags - Noch aktueller: Was ist von der Entscheidung des BVerfG zu den Äußerungen der Ex-Kanzlerin zu einer verkorksten Ministerpräsidentenwahl in Thüringen zu halten?
01 Dec 2020Corona im Rechtsstaat Folge 4200:32:18
15 Minuten auf Deutsch, 15 Minuten auf englisch: Prof. Paul Schwartz (Universität Berkeley) ist einer der führenden Datenschutzexperten in den USA. Bereits in Folge 20 hat er sich mit Niko Härting über die Auswirkungen der Corona-Krise in den USA unterhalten. Sechs Monate später herrscht in Kalifornien erneut Ausnahmezustand, nachts darf Paul Schwartz derzeit sein Haus nicht verlassen. Aber einiges hat sich geändert: Ein neuer Präsident ist gweählt mit einer kalifornischen Vizepräsidenten, die sich sehr für Datenschutz interessiert. Und mit "Proposition 24" gibt es innerhalb von wenigen Jahren zum zweiten Mal ein kalifornisches Datenschutzgesetz, das per Volksabstimmung veranschiedet wurde. Zugleich hofft man in den USA - wie hierzulande - auf Impfstoffe. Gibt es in den USA eigentlich auch Impfgegner und -skeptiker? Was erwarten Datenschützer von Joe Biden und Kamala Harris? Und warum gibt es an vielen amerikanischen Universitäten Präsenzbetrieb, während Studierende und Dozenten in Deutschland durch die Bank folgsam vor den Zoom-Bildschirmen hocken?
07 Mar 2024Follow the Rechtsstaat Folge 6800:29:59
Sölen Izmirli ist Fachanwältin für Verkehrsrecht in Hamburg und setzt sich ehrenamtlich für eine stärkere Vielfalt der Anwaltschaft ein – unter anderem im Ausschuss Gender und Diversity des Deutschen Anwaltvereins. Man weiß kaum etwas: Der Anteil von Jurastudentinnen und -studenten mit migrantischen Wurzeln ist genauso wenig bekannt wie der Anteil von Anwältinnen und Anwälten mit Migrationsgeschichte. Allerdings gibt es laut Izmirli ein wachsendes Bewusstsein für die vielerorts unzureichende Repräsentanz in Gremien und Organisationen. Warum eigentlich bleiben junge Anwältinnen und Anwälte beruflich vielfach in ihren Communities unter sich, gründen Kanzleien, die sich an migrantische Mandantschaft wenden? Izmirli berichtet von dem Gefühl, eine „Exotin“ unter sehr deutschen Berufskollegen zu sein – gerade auch, wenn es um das „gemütliche Zusammensein“ geht, das ein fester Bestandteil von Tagungen und Zusammenkünften ist. Zugleich gehe ihr das Herz aus, wenn sie bei Gericht auf (zu wenige) Richterinnen und Richter mit türkischen Wurzeln trifft. Sölen Izmirli berichtet auch von Alltagserfahrungen, von Reaktionen der Mandanten, die das erste Mal ihren türkischen Namen hören. Es vergeht keine Woche, in der Izmirli nicht die Herkunft ihres Namens erklären muss: „Es wird impliziert, dass man anders ist aufgrund eines Namens, den nicht jeder aussprechen kann.“
01 Apr 2021Corona im Rechtsstaat Folge 5900:29:17
Der Autor und Blogger Johannes Kram spricht – provokant und offen – über „bürgerliche Spießigkeit“ im linksliberalen Milieu und über die Folgen der Corona-Maßnahmen für queere Menschen und deren Bemühen, auf alltägliche Diskriminierung aufmerksam zu machen. Ein Beispiel hierfür sei, dass sich die Ausnahmen von Kontaktbeschränkungen am traditionellen, heterosexuellen Familienbild orientieren. Forderungen queerer Menschen werden zurzeit schnell mit dem Argument „es gibt momentan Schlimmeres“ heruntergespielt. Dies verdeutliche die vorhandene subtile Diskriminierung von Queeren in der Gesellschaft. Es gebe eine große Offenheit dafür, sich als divers zu geben, aber nicht für die Interessen von Diversen. Dies sehe man auch daran, dass viele Einwohner von Berlin stolz auf den Ruf der Stadt als „hip und crazy“ sind, sich aber dann nicht für die Erhaltung des Berliner Nachtlebens interessieren, welches der Grund für diesen Ruf ist. Dies wirke sich erneut zu Lasten von Queeren aus, da queere Menschen sehr stark darauf angewiesen seien, im schwul-lesbisch-queeren Nachtleben Menschen mit der gleichen Orientierung zu treffen oder kennenzulernen.
23 Jun 2020Corona im Rechtsstaat Folge 2700:30:43
Prof. Heinig ist Verfassungs- und Kirchenrechtler an der Georg-August-Universität Göttingen. Im Gespräch mit Niko Härting erklärt Heinig, weshalb er die Gottesdienstverbote, die im März und April galten, grundsätzlich für verfassungskonform erachtet. Insgesamt seien die Corona-Maßnahmen jedenfalls am Anfang durchaus verhältnismäßig gewesen. Allerdings habe eine schulmäßige Verhältnismäßigkeitsprüfung unter den seinerzeit gegebenen Bedingungen kaum noch stattfinden können. Für die Zukunft bezweifelt er, dass einschneidende Maßnahmen nochmals auf die dünne Verordnungsermächtigung des § 32 IfSG gestützt werden können. Es sei an der Zeit, dass der Bundestag die §§ 28 IfSG "nachschärft", um den Anforderungen zu genügen, die sich insbesondere aus Art. 80 GG ergeben. Zugleich meint Heinig, der FDP-Vorstoß zur Aufhebung der "epidemischen Lage von nationaler Tragweite", den MdB Kuhle in Folge 26 erläutert hat, sei wohl ein wenig verfrüht.
22 May 2020Corona im Rechtsstaat Folge 2000:31:03
Niko Härting unterhält sich mit dem Datenschutzexperten Prof. Schwartz (Uni Berkeley) über die Corona-Maßnahmen in Kalifornien. Dort gibt es seit 9 Wochen eine rigide Ausgangssperre. Erst auf Deutsch, dann auf Englisch geht es auch um die sehr unterschiedlichen Diskussionen der Datenschützer über Corona-Apps in Europa und den USA. Während in Deutschland weitgehend Einigkeit darüber herrscht, dass die Apple/Google-Lösung datenschutzfreundlich ist, wird diese Lösung in den USA vielfach kritisch gesehen. Man zweifelt an der Effizienz einer dezentralen Datenspeicherung und sieht die Rolle von Apple und Google kritischer, als dies in Deutschland der Fall ist.
15 Oct 2024Follow the Rechtsstaat Folge 9900:33:32
Im neuen Podcast blicken Stefan Brink und Niko Härting in Querbeet (ab Minute 03:33) in die USA und stellen fest, dass die Handelskommission FTC in Sachen Datenschutz klare Ansagen an die großen Plattformen macht (https://www.ftc.gov/reports/look-behind-scenes-examining-data-practices-social-media-video-streaming-services) und ein Bundes-Datenschutzgesetz einfordert. Sodann (ab Minute 06:10) betrachten sie eine Entscheidung des EuGH zur Sanktionspflicht der Aufsicht (EuGH Urteil vom 26.9.24 C-768/21). Zur Erleichterung der Datenschutzaufsicht stellt der EuGH fest, dass die Aufsichtsbehörde nicht verpflichtet ist, in jedem Fall eines Verstoßes eine Abhilfemaßnahme zu ergreifen und insbesondere eine Geldbuße zu verhängen, etwa wenn der Verantwortlicher bereits für Abhilfe gesorgt hat. Das soll aber nur eine Ausnahme sein … Dann geht es (mal wieder) um Max Schrems vs. Meta (ab Minute 15:58): Im Wege der Vorabentscheidung klärt der EuGH (Urteil vom 4.10.2024 C-446/21) wie Meta mit besonderen Arten personenbezogener Daten (Art. 9 DS-GVO) im Werbekontext umzugehen hat. Schrems hatte in einer öffentlichen Podiumsdiskussion seine sexuelle Orientierung angesprochen, Meta hat dieses Datum genutzt, um ihm personalisierte Werbung anzubieten, obwohl er seine sexuelle Orientierung nicht in seinem Facebook-Profil angegeben hat. Hiergegen klagte Schrems u.a. wegen Verstoßes von Meta gegen den Grundsatz der Datenminimierung Art. 5 Abs. 1 lit. c DS-GVO. Etwas kryptisch meint dazu der EuGH, das die unbegrenzte Speicherung der Daten unzulässig sei (ohne eine Löschfrist vorzugeben) und führt zu Art. 9 Abs. 2 Buchst. e DSGVO (Daten, die „die betroffene Person offensichtlich öffentlich gemacht hat“) aus, dass solche Daten keinen Schutz mehr nach Art. 9 Abs. 1 DS-GVO beanspruchen können; dies gelte allerdings nicht für Art. 9-Daten „aus anderen Quellen“. Etwas ratlos bleiben Niko und Stefan zurück …
08 Jul 2024Follow the Rechtsstaat Folge 8500:42:41
Im neuen Podcast wandern Stefan Brink und Niko Härting zunächst (ab Minute 00:46) ausführlich Querbeet: Niko setzte sich in der WELT mit der neuen Zielgruppe des Bundesamtes für Verfassungsschutz auseinander, nämlich jenen, welche die „Delegitimierung des Staates“ betreiben – jedenfalls aus der sehr eigenen Sicht des Verfassungsschutzes. Sodann (ab Minute 12:40) werfen beide einen kurzen Blick auf die US Handelsbehörde FTC, welche TikTok die Verletzung des Datenschutzes für Kinder vorhält und auf die US Gesundheitsbehörde, sie verlangt jetzt Warnhinweise wegen der Sucht- und Depressionsgefahr, die gerade für Jugendliche von der Nutzung von Social Media ausgeht. Ab Minute 17:26 geht es dann mal wieder um den EuGH (C‑479/22 P vom 7.3.2024): Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (im Folgenden: OLAF) hatte in ihrer Pressemitteilung Nr. 13/2020 vom 5. Mai 2020 mit der Überschrift „OLAF-Untersuchung deckt Forschungsfinanzierungsbetrug in Griechenland auf“ über angebliche Erfolge bei der Bekämpfung eines komplexen Betrugs vermeldet, an dem eine griechische Wissenschaftlerin und ihr Netzwerk internationaler Forscher beteiligt gewesen seien. Die Forscherin klagt auf immateriellen Schadensersatz, weil sie durch die identifizierende PM vorverurteilt worden sei – und der EuGH belehrt das Europäische Gericht 1. Instanz, dass gemäß Erwägungsgrund 26 der DS-GVO bei der Frage der Identifizierbarkeit nicht nur die PM heranzuziehen ist. Stefan und Niko sezieren danach (ab Minute 25:40) ausführlich eine Entscheidung des Finanzgerichts Berlin Brandenburg (16. Senat) vom 20.3.2024, welche die Reichweite des Auskunftsanspruchs aus Art. 15 DS-GVO bemisst. In der Sache streiten die Beteiligten um Akteneinsicht in Bewertungsakten und -Daten zu einem Immobilien-Objekt im Rahmen der Einkommensbesteuerung (insbesondere Absetzung für Abnutzung). Es gab Streit bezüglich der richtigen Bewertung des Grundstücks, sodass der Kläger Einspruch gegen den Feststellungsbescheid einlegte und Akteneinsicht in alle entscheidungsrelevanten Akten beantragte. Daraufhin übersandte Finanzamt einen anonymisierten und teilweise geschwärzten Auszug aus dem Prüfungsbericht, der Kläger beruft sich wegen der vollständigen Akteneinsicht auf Art. 15 DS-GVO. Das FG hält zwar die DSGVO im Bereich der Steuerverwaltung für anwendbar, beschränkt jedoch den Umfang des Auskunftsanspruchs erheblich und gesteht letztlich nur einen Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensentscheidung über den Akteneinsichtsantrag durch das Finanzamt zu – durchaus kritikwürdig.
20 Oct 2022Cannabis im Rechtsstaat Folge 200:31:29
Lukas Benner ist 26 Jahre alt und sitzt seit 2021 für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. 2020 hat der gebürtige Aachener die 1. Juristische Staatsprüfung abgelegt und begann kurz darauf mit seiner Promotion zum Thema „Dekarbonisierung der Schifffahrt“ an der Universität Greifswald. Niko Härting und Max Adamek sprechen mit Lukas Benner über die aus dem Bundesgesundheitsministerium durchgesickerten Eckpunkte zur Legalisierung von Cannabis. Danach soll der Besitz von bis zu 20 Gramm Cannabis legal sein, auch der Verkauf und der Anbau von Cannabis sollen legalisiert werden. Dies unterscheidet sich grundlegend von der Rechtslage in den Niederlanden. Dort sind nur der Besitz und der Verkauf kleiner Mengen in „Coffeshops“ straffrei. Der Anbau und der Großhandel sind illegal und fest in der Hand krimineller Organisationen. Lukas Benner betont, dass es sich bei den Eckpunkten um erste Überlegungen aus dem Bundesgesundheitsministerium handelt, die noch nicht mit den anderen zuständigen Ministerien abgestimmt sind. Er hält die Eckpunkte noch für verbesserungsbedürftig. Denn es gehe um Rechtssicherheit, und dazu bedürfe es sehr präziser Regeln zum Anbau, Handel und Besitz. Laut den Eckpunkten soll es nur erlaubt sein, Cannabis aus deutschem Anbau zu verkaufen. Dies wirft im Hinblick auf die Warenverkehrsfreiheit schwierige europarechtliche Fragen auf. Niemand wäre mit einem Legalisierungsgesetz gedient, das in Brüssel gestoppt wird. Benner legt dar, welche unionsrechtlichen Hürden es bei einem nationalen Alleingang geben könnte im Hinblick auf die Grundfreiheiten der EU und auf einen Rahmenbeschluss des Europäischen Rats zur Bekämpfung illegalen Drogenhandels, der aus dem Jahre 2004 stammt. Das Unionsrecht sei bei dem Anliegen der Cannabis-Legalisierung, das die Ampel mit großem Engagement verfolgt, mehr Hindernis als hilfreiche Stütze. Im zweiten Teil des Podcasts geht es um Brenners Motivation, als junger Politiker in die Politik zu gehen, den Grünen beizutreten und für den Bundestag zu kandidieren. Maßgeblicher Ursache war sein reges Interesse an den Weltmeeren, deren Überfischung und an internationaler Schifffahrt. Das Jurastudium war aus Brenners Sicht die beste Voraussetzung, um einen Beitrag zu leisten zu aktuellen Problemen. Anstatt sich an japanische Walfangschiffe zu ketten, entschied sich Benner für die Juristerei.
07 Nov 2024Follow the Rechtsstaat Folge 10100:44:43
Im neuen Podcast erörtern Niko Härting und Stefan Brink in Querbeet (ab Minute 05:45) zunächst den geleakten Entwurf zu einem Beschäftigtendatengesetz. Einige Vorschläge waren zu erwarten, etwa zum Einsatz von KI-Systemen (§ 10) oder zu einem Verwertungsverbot (§ 11 – entgegen BAG Urteil vom 29. Juni 2023 - 2 AZR 296/22), andere wie das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Bestellung des internen oder externen Datenschutzbeauftragten (§ 12) überraschen. Eine deutliche Verschlechterung der Beschäftigtenrechte stellt die zulässige verdeckte Überwachung dar (§ 20), die aber DS-GVO widrig sein könnte. Dann werfen wir einen Blick (ab Minute 16:25) auf den BGH, der im Verfahren zum Meta Scraping ein Leitentscheidungsverfahren bestimmt hat (https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2024/2024206.html). Auf Basis des neuen § 552 b ZPO soll eine zügige höchstrichterliche Klärung trotz der Rücknahme von Revisionen aus prozesstaktischen Gründen oder aufgrund eines Vergleichs ermöglicht werden. Dann geht es (ab Minute 27:17) um das BKA Urteil des BVerfG vom 01. Oktober 2024 (1 BvR 1160/19). Hier waren die Verfassungsbeschwerden der GFF, verschiedener Rechtsanwälte und Fußball-Ultras gegen das BKA-Gesetz recht erfolgreich. Teilweise setzte das Gericht die Anforderungen an Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden (zu) hoch an, etwa wenn es in dieser komplizierten Materie auf der „hinreichenden Auseinandersetzung mit dem einschlägigen Fachrecht bezüglich der Trennung der Datenbestände im Informationssystem des Bundeskriminalamts und im polizeilichen Informationsverbund sowie der damit einhergehenden unterschiedlichen Gewichtung des Eingriffs und möglichen korrespondierenden Rechtfertigungsanforderungen“ besteht. Das kann kein Beschwerdeführer liefern. In der Sache erklärte Karlsruhe gesetzliche Befugnisse des BKA zur Datenerhebung (§ 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BKAG) und Datenspeicherung (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 BKAG) in Teilen für verfassungswidrig wegen Verstoß gegen das Grundrecht (!) auf informationelle Selbstbestimmung. Gesetzlich vorgesehene Einzelfallprüfungen von Behörden oder Gerichten genügten mangels eines gesetzlichen Regelungskonzepts nicht. Kritisch sehen die Hosts, das das BVerfG einmal mehr zum „Reparaturbetrieb“ verkommt, zu einer „Anstalt zur Optimierung von Grundrechtsbeschränkungen“ – und das ist sicherlich keine gute Nachricht.
31 May 2024Follow the Rechtsstaat Folge 7900:28:07
Leon Dietrich ist Landeskoordinator der polizeilichen Ansprechpersonen für LSBTIQ+ in Niedersachsen und berichtet in diesem Podcast von seinen Aufgaben und seiner Arbeit. Die Zahl queerfeindlicher Straftaten steigt in den letzten Jahren kontinuierlich an, auch bei dem jüngsten CSD in Hannover, der insgesamt sehr friedlich und harmonisch verlief, gab es vereinzelte Übergriffe, gegen die die Polizei einschreiten musste. Leon Dietrich ist seit 24 Jahren Polizist. Er ist ein Transmann. Erst seit wenigen Jahren ist es in Niedersachsen möglich, als Transperson in den Polizeidienst zu gelangen, dies ist ein erheblicher Fortschritt. Leon Dietrich begrüßt auch nachdrücklich das neue Selbstbestimmungsgesetz, das den Wechsel des „amtlichen“ Vornamens und des Geschlechtseintrags erheblich erleichtert. Dietrich berichtet von den entwürdigenden psychologischen Befragungen, die durch das Selbstbestimmungsgesetz abgeschafft worden sind. Fragen nach dem Stuhlgang und nach sexuellen Vorlieben und Gewohnheiten, die Transpersonen bis vor kurzem standardmäßig über sich ergehen lassen mussten, gehören jetzt der Vergangenheit an. Befürchtungen, das neue Gesetz werde Männer ermutigen, sich durch Änderung ihres Geschlechtseintrags in geschützte Bereiche von Frauen einzuschleichen, hält Leon Dietrich für überzogen. Derartige Eindringlinge habe es auch ohne das Selbstbestimmungsgesetz gelegentlich gegeben. Dafür bedürfe es keiner Änderung des Namens im Personalausweis. Leon Dietrich betont die Wichtigkeit von Aufklärung – innerhalb der Polizei, aber auch in der Gesellschaft insgesamt. Es müsse Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass es Transmenschen und Intersexuelle sowie non-binäre Menschen immer schon gegeben hat. Dies seien Menschen, die mit einer solchen Identität auf die Welt kommen – anders als Cross Dresser, Drag Queens oder Transvestiten, die auch Teil der Queer Community sind, sich aber – anders als etwa Transmenschen – verkleiden und bewusst in eine andere Rolle schlüpfen, weil sie Künstler sind oder weil sie aus anderen Gründen Freude an der Verkleidung haben. Wichtig ist es laut Leon Dietrich auch, dass Transmenschen sich mit ihrer Identität sichtbar machen. Sie können auf diese Weise Vorbild werden für junge Menschen, die mit ihrer Identität ringen.
16 Jan 2025Follow the Rechtsstaat Folge 10900:45:06
Im neuen Podcast sprechen Stefan Brink und Niko Härting zunächst (ab Minute 01:06) über Mark Zuckerbergs Kehrtwende: Er ändert (in den USA) die Moderation von Posts auf Facebook und Instagram zugunsten von Free Speech, die Bekämpfung von Fake News und Hate Speech hat das Nachsehen. Hatte sich der Facebook-Mutterkonzern Meta nach dem ersten US-Wahlsieg von Donald Trump im Jahr 2016 noch bemüht, Fehlinformationen und Hetze auf seinen Plattformen einzuschränken, will Zuckerberg Facebook und Instagram jetzt nach dem Vorbild von X umgestalten. Auf Faktenchecks soll auf seinen Plattformen verzichtet werden, deutlich „einfachere Regeln“ und „weniger Restriktionen“ soll es geben - und weniger „institutionelle Zensur“. Auswirkungen auf die EU sind wohl vorerst nicht zu erwarten, da der Digital Services Act DSA (seit 2/24 für VLOP) verbindliche Vorgaben gegen Fake News und Hate Speech macht und Faktenchecker (Art. 22 DSA „vertrauenswürdige Hinweisgeber“) installiert. Sodann erläutert Niko (ab Minute 25:08) die Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins zu einer delegierten Verordnung zum DSA – bei welcher der Datenschutz offensichtlich unter die Räder gerät (https://www.google.com/url?sa=t&source=web&rct=j&opi=89978449&url=https://anwaltverein.de/de/newsroom/sn-85-24-eu-konsultation-verordnung-digital-services-act-dsa%3Ffile%3Dfiles/anwaltverein.de/downloads/newsroom/stellungnahmen/dav-sn-85-24-dsa-konsultation.pdf&ved=2ahUKEwjT98DL9uqKAxVayAIHHX7PHhUQFnoECBwQAQ&usg=AOvVaw2XV13A0V0BivJY2Ptyr0ZC). Schließlich wird (ab Minute 32:07) ein Hyperlink zu Facebook der EU-Kommission zum Verhängnis: Mit Urteil des Europäischen Gerichts 1.Instanz in der Rechtssache T-354/22 | Bindl / Kommission vom 8.1.2025 wird sie zu Schadenersatz in Höhe von 400 € verurteilt. Das kam so: Ein in Deutschland lebender Bürger wirft der Kommission vor, sein Recht auf Schutz seiner personenbezogenen Daten verletzt zu haben, als er 2021 und 2022 die von der Kommission betriebene Website der „Konferenz zur Zukunft Europas“ besucht habe. Er hatte sich über diese Website zu einer Veranstaltung angemeldet und hierzu den Authentifizierungsdienst „EU Login“ der Kommission verwendet, bei dem er sich für die Anmeldeoption „Mit Facebook anmelden“ entschieden hatte. Der Betroffene meint, bei seinen Besuchen der Website der Konferenz zur Zukunft Europas seien ihn betreffende personenbezogene Daten an Empfänger in den Vereinigten Staaten übermittelt worden, insbesondere seine IP- Adresse sowie Browser- und Geräteinformationen. Die Vereinigten Staaten hätten aber (zu diesem Zeitpunkt) kein angemessenes Schutzniveau aufgewiesen. Die ihn betreffenden personenbezogenen Daten seien deshalb der Gefahr eines Zugriffs durch die Sicherheits- und Nachrichtendienste der Vereinigten Staaten ausgesetzt gewesen. Dem stimmt das EuG (teilweise) zu, der Betroffene habe einen immateriellen Schaden erlitten: Er befinde sich nämlich in einer Lage, in der er nicht sicher sei, wie die ihn betreffenden personenbezogenen Daten, insbesondere seine IP-Adresse, verarbeitet werden (Kontrollverlust) – weswegen das Gericht die Kommission verurteilt, an den Betroffenen 400 Euro zu zahlen. Meta-Morphosen wohin man schaut …
31 Mar 2021Corona im Rechtsstaat Folge 5800:34:47
Der Berliner Kultursenator Klaus Lederer spricht mit Niko Härting über Kulturpolitik unter pandemischen Bedingungen. Er lässt das Corona-Jahr Revue passieren und die mangelhafte Kommunikation führender Politiker, die sich darauf beschränke, Maßnahmen zu verkünden. Stattdessen müsse über den Virus und seine Verbreitungswege mehr aufgeklärt werden. Die Notwendigkeit hierfür zeige sich vor allem in Berlin, das als „Singlestadt“, als „queere Stadt“ und als Stadt mit vielen Alleinerziehenden gesellschaftlich besonders belastet sei. Lederer, der der Partei „Die Linke“ angehört, hinterfragt das aktuelle Verständnis von „Public Health“, dies vor allem vor dem Hintergrund, dass die finanzielle Unterstützung nicht genügt, damit Bürgerinnen und Bürger sich mehr als einmal pro Woche testen lassen. Dass die Industrie von Corona-Beschränkungen bislang relativ verschont geblieben ist, führt er auf die "tief eingeschliffene Formel" zurück, nach der Deutschland ein Produktionsstandort sei, weshalb Branchen wie Kultur, Gastronomie und Hotellerie als weniger wertvoll angesehen werden. Zum Abschluss erklärt er, warum Berliner (Test-)Konzepte für Veranstaltungen in bestimmten kulturellen Einrichtungen hinreichend sicher seien.
22 Apr 2020Corona im Rechtsstaat Folge 900:33:52
Nikolaus Forgó ist Professor für Technologie- und Immaterialgüterrecht an der Universität Wien. Niko Härting unterhält sich mit ihm über Corona-Maßnahmen und -Lockerungen in Österreich, über die "Stopp Corona"-App des Österreichischen Roten Kreuzes und über den österreichischen Bundeskanzler, der einer Überprüfung der Corona-Maßnahmen durch den österreichischen Verfassungsgerichtshof kaum zu befürchten hat, da es in unserem Nachbarland keine Eilverfahren gibt. Welche Unterschiede gibt es zur deutschen Debatte? Wie sehr schaut man aus Österreich auf die deutschen Corona-Geschehnisse?
27 Aug 2024Follow the Rechtsstaat Folge 9200:50:37
Im neuen Podcast betrachten Niko Härting und Stefan Brink die Lage unserer Verfassung, unserer Regierung und die Auskunftslage in einem spannenden zivilrechtlichen Fall. In Querbeet (ab Minute 01:13) blicken beide auf einen Artikel von Gabriele Britz in der FAZ vom 25.7.2024: Dort warnt die ehemalige Richterin der BVerfG (von 2011 – 2023) davor, dass bei Konflikten zwischen Freiheitsrechten – etwa zwischen der Meinungsfreiheit und dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht - der Ausgleich zwischen den Grundrechten (praktische Konkordanz) an seine Grenzen stößt, wenn in einer polarisierten Gesellschaft die gemeinsamen Wertgrundlagen schwinden. Am Beispiel der Kritik an staatlichen Stellen und von ambivalenten Aussagen („Migration tötet“) erklärt sie, warum das BVerfG stärker gegen „Silencing“ vorgehen und den Zugang zum „Meinungskampf“ offen halten sollte. Das verdient klare Kritik. Sodann (ab Minute 22:33) stellt Stefan das RdÖ-Positionspapier zum Beschäftigten-Datenschutz vor: Der Rat für digitale Ökologie um Harald Welzer hat untersucht, wie die Digitalisierung die Arbeitsverhältnisse verändert: An die Stelle persönlicher, stichprobenartiger, offener und erfahrungsbasierter Kontrolle tritt zunehmend eine automatisierte, allumfassende, heimliche und algorithmenbasierte Kontrolle. Deswegen empfiehlt der RdÖ (dem auch Stefan angehört) eine gesetzliche Regulierung im Beschäftigten-Datenschutzgesetz entlang der Maßstäbe Verhältnismäßigkeit und Fairness – allerdings hat auch hier die Ampel trotz klarer Vereinbarung im Koalitionsvertrag (noch) nicht geliefert. Im Mittelpunkt (ab Minute 33:01) steht dann eine Entscheidung des OLG Oldenburg vom 9.4.24 (13 U 48/23) zum Auskunftsrecht nach Art. 15 DSGVO beim Einsatz eines Privatdetektivs: Nach Verkehrsunfall mit Personenschaden schaltete der Haftpflichtversicherer einen Detektiv zur Prüfung der Unfallfolgen beim Geschädigten ein. Der Geschädigte verlangte daraufhin Akteneinsicht nach Art. 15 DSGVO. Während das LG ein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse des Versicherers an erkannte, entschied das OLG anders und verurteilte den Versicherer, „dem Kläger jeweils eine Kopie der beiden Berichte über die in Auftrag gegebene Observation des Klägers zur Verfügung zu stellen.“ Die Gründe hierfür wollen ausführlich erörtert sein – denn offensichtlich haben noch nicht alle die Auskunft, die sie erstreben …
24 Aug 2023Follow the Rechtsstaat Folge 4100:33:27
Jörg Phil Friedrich ist Philosoph, Physiker, Meteorologe und Softwareunternehmer und hat kürzlich einen Essay veröffentlicht mit dem Titel „Degenerierte Vernunft – Künstliche Intelligenz und die Natur des Denkens“ (https://shop.claudius.de/degenerierte-vernunft.html). Mit Niko Härting spricht Jörg Phil Friedrich über die Stärken und Schwächen Künstlicher Intelligenz. Was versteht man überhaupt unter (menschlicher) „Intelligenz“? Ist „Intelligenz“ stets zugleich „vernünftig“? Wenn Intelligenz „künstlich“ ist, wie unterscheidet sie sich von „natürlicher“ (menschlicher) Intelligenz? Gleicht das „Füttern“ von Rechnern mit Trainingsdaten der Dressur eines Tieres? Je standardisierter Nachrichtentexte, Pressemitteilungen, Wetterberichte, Sportreportagen, Drehbücher, Songs, Grafiken und Anwaltsschriftsätze werden, desto mehr eignen sie sich für den Einsatz Künstlicher Intelligenz. Wenn dann aber am Ende Texte, Bilder, Filme einander zum Verwechseln ähnlich sind, liegt dies nicht an „der KI“, sondern daran, dass (menschliche) Intelligenz in immergleichen Standards und Formaten verödet. Oder degeneriert. Friedrichs Essay ist daher in erster Linie ein Plädoyer für die Kreativität und den schöpferischen menschlichen Geist, dem - jedenfalls bislang - keine Künstliche Intelligenz gewachsen ist.
18 Jan 2023Cannabis im Rechtsstaat Folge 400:23:48
Zu der von der Ampelkoalition geplanten Legalisierung von Cannabis gibt es Neuigkeiten. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Carmen Wegge berichtet im Gespräch mit Niko Härting, dass man schon längst nicht mehr ausschließlich auf „grünes Licht“ aus Brüssel wartet. Vielmehr wird in acht Ministerien an einem Gesetzesentwurf gearbeitet, der bereits im ersten Quartal 2023 fertig werden könnte. Ein Rahmenbeschluss der EU zur Bekämpfung des Drogenhandels aus dem Jahre 2004 könnte zwar den Weg zu einem neuen Gesetz erschweren. Wegge sieht jedoch Raum für Interpretationen des Beschlusses und setzt zudem auch auf die Bereitschaft der EU, eine Liberalisierung der Cannabis-Gesetze europaweit zu diskutieren. Jedenfalls aber lasse das bestehende EU-Recht ausreichend Raum, das deutsche Betäubungsmittelrecht umfassend zu reformieren.
01 Jul 2024Follow the Rechtsstaat Folge 8400:37:52
Neuer Podcast – neue Fälle: Niko Härting und Stefan Brink ordnen die Freilassung von Julian Assange ein (ab Minute 00:52), nach deutschen Maßstäben wäre er kein Geheimnisverräter. Auch in Querbeet: der Deutsche Bundestag hört Sachverstand zur Novelle des BDSG (ab Minute 05:03). Auch wenn das Verbot der Mischverwaltung einer Stärkung der Datenschutz-Konferenz DSK wohl nicht im Wege stünde, eine sinnvolle Reform ist in dieser Legislaturperiode kaum mehr möglich. Sodann betrachten wir (ab Minute 09:09) zwei Entscheidungen des EuGH zum Schadenersatzanspruch nach Art. 82 DS-GVO (Dritte Kammer C‑590/22 vom 20. Juni 2024; C‑182/22 vom 20. Juni 2024), hier bestätigt das Gericht seine bisherige Rechtsprechung setzt sich mit dem Begriff des „Identitätsdiebstahls“ als Schaden auseinander. Ab Minute 21:12 steht dann das Bundesverwaltungsgericht (6 C 2.22 Urteil vom 24.04.2024) im Fokus: Ein Fußball-Ultra hat sich vor dem Revierderby ein befristetes Betretungs- und Aufenthaltsverbot gefangen, mit dem sich die Verwaltungsgerichte jedoch wegen zeitlicher Erledigung des Verwaltungsakts inhaltlich nicht mehr befassen wollten. Zwar ist in ständiger Rechtsprechung ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakts in den Fallgruppen der Wiederholungsgefahr, des Rehabilitationsinteresses sowie der Absicht zum Führen eines Schadensersatzprozesses anerkannt, hier entwickelt das Leipziger Gericht jedoch erhöhte Anforderungen, wenn der Verwaltungsakt „nur“ in das „Auffanggrundrecht“ Art. 2 Abs. 1 GG eingreift. Das verwundert nicht nur, weil sich das BVerwG hierbei auf die abweichende Meinung des Richters Grimm zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juni 1989 - 1 BvR 921/85 - BVerfGE 80, 137 <164 f.> meint berufen zu können, sondern weil es die Kontrolle von Grundrechtseingriffen als weniger „gewichtig“ einstuft als das richterliche Interesse an Arbeitsentlastung. Mit dieser Haltung gewinnt das Bundesgericht jedenfalls bei den Podcasthosts keinen Bürgerrechts-Preis …
16 Jun 2020Corona im Rechtsstaat Folge 2400:31:28
Am Tag der Corona-App unterhält sich Niko Härting mit dem Hamburger Datenschutzbeauftragten Prof. Johannes Caspar über Datenschutz und Bürgerrechte in Corona-Zeiten. Caspar meint, der Rechtsstaat habe sich in den letzten Wochen bewährt. Die Corona-App beurteilt er positiv und hofft darauf, dass die App dazu beitragen wird, Infektionsketten zu unterbrechen. Ähnliches gilt für die Sammlung von Kontaktdaten in Fitnessstudios, Restaurants und unzähligen anderen Einrichtungen. Caspars Behörde hat für diese Kontaktdaten Muster-Datenschutzinformationen entwickelt. Er räumt ein, dass sich erst noch zeigen müsse, ob diese Art der Datensammlung (ebenso wie die App) tatsächlich zur Nachverfolgung von Kontakten geeignet sei. Bislang sind ihm keine Fälle bekannt, in denen Gesundheitsämter die Daten tatsächlich einmal angefordert haben. Die Pandemie und eine mögliche "zweite Welle" müsse man jedoch ernst nehmen. Am Ende des Podcasts geht es dann auch noch um Gesichtserkennung und das G20-Verfahren, das Caspars Behörde gegen die Hamburger Polizei geführt hat.
23 Apr 2020Corona im Rechtsstaat Folge 1000:33:53
Niko Härting unterhält sich mit Frederick Richter (Vorstand der Stiftung Datenschutz und Ständiger Autor Autor der PinG) darüber, wekche Aktivitäten die Stiftung in Krisenzeiten entfaltet, über den für den 30.4. mit zahlreichen Experten geplanten "DatenTag". Und es geht natürlich um die "App", um die Frage der Geeignetheit einer solchen App, um die rechtlichen Rahmenbedingungen des Einsatzes: Was heißt eigentlich "freiwllig"? Und kann man jetzt schon etwas zur Datenschutzkonformität einer App sagen, die es noch gar nicht gibt? Und was denkt Frederick Richter, wenn von einer "Öffnungsdiskussionsorgie" die Rede ist?
22 Mar 2022Corona im Rechtsstaat Folge 9300:44:25
Thomas Darnstädt ist Jurist und war 35 Jahre Redakteur beim SPIEGEL (Ressortleiter Politik). In dem Gespräch mit Niko Härting geht es um die Geschichte des Bundesverfassungsgerichts und den Einfluss des Zeitgeistes auf die Karlsruher Entscheidungen. 2018 erschien Darnstädts Buch „Verschlusssache Karlsruhe - Die internen Akten des Bundesverfassungsgerichts“. Für dieses Buch hat Darnstädt Handakten und andere interne Akten aus der Frühzeit des Bundesverfassungsgerichts ausgewertet. 1957 scheiterte eine Verfassungsbeschwerde gegen den „Homosexuellenparagraphen“ 175 StGB. Die Karlsruher Richter verneinten einen Gleichheitsverstoß (lesbischer Sex war nicht strafbar), und sie hielten auch Art. 2 Abs. 1 GG (freie Entfaltung der Persönlichkeit) nicht für verletzt: „Gleichgeschlechtliche Betätigung verstößt eindeutig gegen das Sittengesetz.“ Im Gespräch mit Niko Härting schildert Darnstädt, wie es zu dieser Entscheidung kam. § 175 StGB war bereits zur damaligen Zeit eine hochumstrittene Norm. Dennoch meinte der Berichterstatter Wilhelm Ellinghaus in einem Votum, es sei nicht Aufgabe des BVerfG, sondern „Sache des Gesetzgebers, darüber zu befinden, ob die jetzige Gesetzesfassung gerecht und rechtspolitisch abgewogen“ sei. Eine Haltung, die man heute als „Judicial Restraint“ bezeichnen würde. Darnstädt erinnert an den Zeitgeist der Schwulenhatz, der in den 1950er-Jahren. herrschte. Man fürchtete sich vor dem „Treiben der Homosexuellen“, und Karlsruhe hatte keine Courage, dem Zeitgeist entgegenzutreten, obwohl § 175 StGB verfassungsrechtlich nicht zu halten war. Man habe alle möglichen Begründungen erwogen, um einen Erfolg der Verfassungsbeschwerde zu vermeiden. Darnstädt zeigt auf, dass sich US-amerikanische Debatten um richterliche Zurückhaltung nicht ohne Weiteres auf das BVerfG übertragen lassen. Die US-Verfassung sah ursprünglich keine Berechtigung des Supreme Court vor, Gesetze aufzuheben. Dies ist nach dem Grundgesetz eindeutig anders. Die Aufhebung verfassungswidriger Gesetze gehört zu den Kernaufgaben des BVerfG. Forderungen nach richterlicher Zurückhaltung haben in Deutschland keine tragfähige Grundlage. Im zweiten Teil des Gesprächs geht es um die Karlsruher Entscheidungen zur Bundesnotbremse und zur Klimakrise. Der Klimabeschluss sei ein besonders massiver Eingriff in die Befugnisse des Gesetzgebers. Allerdings liege die Entscheidung „voll auf der Linie des Zeitgeistes“. Wenn das Gericht - wie im Klimafall - ein Urteil für konsensfähig halte, gehe es „viel ruppiger“ mit dem Gesetzgeber um, als wenn dies nicht der Fall sei. Mit einer Entscheidung die Bundesnotbremse hätte sich Karlsruhe dagegen „sehr sehr viel Ärger“ eingehandelt, da es dem Zeitgeist widersprochen hätte, dies sei dem Gericht gewiss bewusst gewesen.
20 Aug 2021Corona im Rechtsstaat Folge 6500:31:32
Im Gespräch zwischen Niko Härting und Michael Kubiciel geht es um die Situation an den Hochschulen in der Corona-Krise. Es ist recht bezeichnend, dass es bis Folge 65 gedauert hat, bis die Hochschulen zum Thema dieser Podcast-Reihe wurde. Drei Semester lang mussten die Studierenden bereits auf Präsenzlehre, Bibliotheken und das Campusleben verzichten. Was bedeutet dies für die Studierenden, wie kommen die Studierenden – oft fern vom Studienort im Kinderzimmer – mit der Distanzlehre klar? Warum gibt es keine Demonstrationen, keine lautstarken Forderungen nach einer Rückkehr in die Präsenz? Weshalb überhaupt ist Präsenz so wichtig, wenn doch auch online Wissen vermittelt werden kann? Sollte man die Entwicklungen der letzten anderthalb Jahre nicht eher als einen Digitalisierungsschub begrüßen, der an den Unis längst überfällig war? Ist die Präsenzlehre vielleicht einfach aus der Zeit gefallen?
11 Dec 2020Corona im Rechtsstaat Folge 4400:31:11
Als Niko Härting Anfang April das erste Mal mit Ulrich Kelber sprach (Podcast-Folge 7), waren die Erwartungen an die Corona-Warn-App groß. Die App sollte ein zentraler Baustein bei der Bekämpfung der Pandemie werden, und man hoffte, dass mindestens 60% der Bevölkerung die App nutzen. Acht Monate später ist es an der Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen, zumal jüngst viel Kritik an der Corona-Warn-App zu hören ist. Ist es wirklich "der Datenschutz", der es verhindert hat, dass die App die Erwartungen aus dem Frühjahr erfüllt? Oder waren diese Erwartungen übertrieben? Hat man sich wieder einmal von digitaler Technologie Wunder versprochen und die Möglichkeiten der Technik überschätzt? Und woran liegt es eigentlich, dass es so oft und beharrlich heißt, "der Datenschutz" stehe dem Fortschritt (oder der Gesundheit) im Wege? Was ist davon zu halten, dass "Asien" immer wieder als Vorbild genannt wird bei der Bekämpfung der Pandemie mit digitalen Mitteln?
10 Mar 2023Follow the Rechtsstaat Folge 2100:33:47
Ausnahmsweise sprechen Niko Härting und Max Valentin Adamek mal über Fußball: sie besprechen den Beschluss des BGH zu „Badman und Robben“ mit besonderem Beklagten: dem FC Bayern München (BGH v. 28.07.2022 – I ZR 11/22). Weiterhin gibt es einen Schul- und Musterfall zum Ersatz immaterieller Schäden nach Art. 82 DSGVO, der vor dem OLG Hamm entschieden wurde (OLG Hamm v. 20.01.2023 – 11 U 88/22). Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers, ein Grafikdesigner und Illustrator, hatte vor dem BGH Erfolg: Das Berufungsgericht habe sich auf einen wesentlichen Teil des klägerischen Vorbringens nicht eingelassen; ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Der Kläger beabsichtigt die Verteidigung seines Urheberrechts an der grafischen Darstellung „Badman & Robben“ als ein in der Gesamtschau mit der Bildunterschrift „THE REAL BADMAN & ROBBEN“ möglicherweise erkennbares Gesamtwerk. Für die gerügte Urheberrechtsverletzung verlangt er vom FCB Schadensersatz. Während er seine Illustration für die Fans des FCB zugänglich gemacht hat, wollte er dem FCB jedoch nicht ermöglichen, eine stark an das Original angelehnte Illustration eigens im Merchandisingstore verkaufen zu können. Dafür hat der Kläger dem FCB nämlich vier Jahre zuvor ein Angebot zur Kooperation unterbreitet, welches letzterer ablehnte. Vor dem OLG Hamm sah sich ein durch die Stadt Essen betriebenes Impfzentrum mit Schadensersatzansprüchen wegen einer Datenpanne konfrontiert. Dieses hat versehentlich eine mit Gesundheits- und Patientendaten von 13.000 Personen gespeiste Excel-Tabelle an 700 Patienten per Mail verteilt. In 26 Seiten Urteilstext reitet das OLG Hamm einmal durch beinahe alle lange bestehenden Streitstände im Rahmen des Art. 82 DSGVO. Von den 20.000 EUR der beantragten Schadensersatzsumme des Klägers blieben am Ende lediglich 100 EUR, die dem Kläger zugesprochen wurden. Das OLG Hamm postuliert zwar, es genüge schon nur ein „ungutes Gefühl“ zur Begründung des Schmerzensgeldanspruchs und schlägt sich damit sogar auf die argumentative Gegenseite des EuGH-Generalanwalts in diesem Streitstand. Andererseits handele es sich aber um nicht allzu sensible Daten, da nicht etwa Bank- und Steuerdaten, Zugangsdaten oder Kennwörter betroffen seien. Ferner hat der Kläger seinen Impfstatus eigenmächtig auf seinem Facebook-Profil veröffentlicht und damit sein Interesse an Schutz dieses personenbezogenen Datums geschmälert. Interessant ist schließlich, wie viele Anspruchsgrundlagen nach deutschem Recht der im gegenwärtigen Fall anwendbare Art. 82 DSGVO sperrt: § 839 BGB als auch § 831 BGB.
09 Mar 2021Corona im Rechtsstaat Folge 5500:32:43
Sahra Wagenknecht ist „langsam entsetzt darüber, wie dieses Land regiert wird“. Im Gespräch mit Niko Härting übt sie scharfe Kritik an der Corona-Politik der Bundesregierung und an den Grundrechtsbeschränkungen, für die man „Inzidenzwerte“ ausreichen lässt. Die jüngst beschlossenen Lockerungen gehen der Bundestagsabgeordneten und früheren Co-Fraktionsvorsitzenden der Partei „Die Linke“ nicht weit genug. Wagenknecht vermisst eine hinreichende Gewichtung der wirtschaftlichen, sozialen und psychischen Folgen des monatelangen Lockdowns. Bildungsferne Familien, Geringverdiener oder auch Migrantinnen leiden in besonderem Maße unter den Beschränkungen. Dass sie wenig Gehör finden, liegt nach Wagenknechts Einschätzung auf einer Linie mit einer Regierungspolitik, die sich schon seit Jahren mit prekären Beschäftigungsverhältnissen und einer Sparpolitik auf dem Rücken der sozial Benachteiligten abfindet. Dabei tut sich auch „Die Linke“ mit der Corona-Politik durchaus schwer, das Meinungsspektrum innerhalb der Partei ist groß. Sahra Wagenknecht fordert – keineswegs nur in der eigenen Partei – „normale Diskussionen“. Sie bemängelt, dass in Debatten zu viel moralisiert und zu wenig argumentiert wird.
20 Jun 2023Follow the Rechtsstaat Folge 3200:30:27
Ab Minute 2:05: Die Mühlen des Rechtsstaats mahlen bisweilen langsam. Und so dauerte es mehr als 5 Jahre, bis sich eine Bürgerin 150 EUR Schadensersatz für einen missglückten Polizei-Tweet erstritt. Stefan Brink und Niko Härting diskutieren ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster (OVG Münster vom 28.11.2022, Az. 5 A 2808/19). Braucht die Polizei eigentlich eine Rechtsgrundlage für ihre Öffentlichkeitsarbeit per Twitter und anderen Social Media? Welche rechtlichen Bindungen gibt es? Ist Humor erlaubt? Ab Minute 16:55: Das OLG Dresden hatte kürzlich (im einstweiligen Rechtsschutz) einen bizarren Fall zu entscheiden (OLG Dresden vom 4.4.2023, Az . 4 U 1486/22). In einem Webshop wurden Textilien angeboten, auf denen ein Linolschnitt abgebildet war nach einer Portraitzeichnung der Antragstellerin aus dem Jahr 1960. Die Antragstellerin wollte dies dem Betreiber des Webshops untersagen lassen und berief sich auf Datenschutz und das Recht am eigenen Bild. Aber hat eine Zeichnung, die mehr als 60 Jahre alt ist, überhaupt noch Personenbezug? Und wie verhält es sich mit dem Recht am eigenen Bild, das nach § 23 Abs. 1 Nr. 4 des Kunsturhebergesetzes (KUG) nur sehr eingeschränkt gilt, wenn „ein höheres Interesse der Kunst“ im Spiel ist?
18 Apr 2020Corona im Rechtsstaat Folge 800:34:59
Thomas Ramge ist ein Buchautor (u.a. "Das Digital" - zusammen mit Viktor Mayer-Schönberger - und "Mensch und Maschine" und Research Fellow am Weizenbaum Institut, Niko Härting diskutiert mit Thomas Ramge die derzeitig allgegenwärtigen Modellrechnungen? Sind diese Rechenmodelle verlässlich? Oder sind sie gar irreführend oder gefährlich, weil sie auf ungesicherten Annahmen beruhen und den falschen Schein der Evidenz vermitteln? Inwieweit zeigt sich in der Corona-Krise, welche Folgen "Datenarmut" hat und an welche Grenzen "intelligente" Technologie stößt, wenn die Datenbasis dünn ist?
23 Feb 2021Corona im Rechtsstaat Folge 5400:39:32
Prof. Christiane Woopen ist Medizinethikerin an der Universität Köln und frühere Vorsitzende des Deutsche Ethikrats. Im Gespräch mit Niko Härting erklärt sie, um welche Fragen es in der Medizinethik geht. Sie erklärt die Herkunft und Geschichte des Fachs und erläutert dessen heutige Bedeutung. Schon Ende März 2020 forderte Prof. Woopen einen Stufenplan und eine stärkere Berücksichtigung der sozialen, wirtschaftlichen, psychischen und medizinischen (Neben-)Folgen des Lockdowns. Diese Forderungen sind heute so aktuell und unerfüllt wie vor einem Jahr.
25 May 2023Follow the Rechtsstaat Folge 2900:39:32
Niko Härting berichtet von einem Ausflug nach Washington. Dort diskutierten 800 US-Datenschützerinnen aktuelle Fragen rund um Privacy and Security. Im Mittelpunkt stand die wachsende Zahl behördlicher und gerichtlicher Verfahren zur Durchsetzung von Datenschutzgesetzen, die in den USA immer strenger werden. Während hierzulande das strikte europäische Datenschutzrecht nur selten durchgesetzt wird, führen Datenpannen in den USA immer häufiger zu Millionen- und Milliardenklagen. (Ab Minute 5.47): Hierzulande geht die Aufarbeitung der Corona-Krise durch die Gerichte weiter. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat sich in mehreren Entscheidungen vom 16.5.2023 (3 CN 4.22, 3 CN 5.22 und 3 CN 6.22) der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorgezeichneten Linie angeschlossen und dem Verordnungsgeber auch für den Herbst 2020 noch weite Ermessensspielräume zugestanden im Hinblick auf die angebliche „dynamische Entwicklung“ der Pandemie. Zwar hielt es das BVerwG für gleichheitswidrig, dass der Amateursportbetrieb erlaubt war, Fitnessstudios jedoch schließen mussten. Dies wird den Betreibern der Studios jedoch voraussichtlich wenig nützen. Man wird ihnen sagen, dass ein Gleichheitsverstoß für sich allein noch keine Staatshaftung begründet. (Ab Minute 13:07): Per Handscanner überwacht man bei Amazon minutengenau die Bewegungen der Beschäftigten. Die scheidende niedersächsische Datenschützerin Barbara Thiel untersagte dies. Stefan Brink erläutert das Urteil des VG Hannover, das der Klage stattgegeben hat, die Amazon gegen die Untersagung erhoben hatte (Urteil vom 9.2.2023, Az. 10 A 6199/20). In einem Ortstermin in Winsen/Luhe besichtigte das Gericht das dortige Amazon-Logistikzentrum und ließ sich vom Vorsitzenden des Betriebsrats bestätigen, dass es „nur“ um eine Leistungskontrolle gehe und die Privatsphäre der Beschäftigten „nicht betroffen“ sei. Dies reichte dem Gericht aus, um die Interessen von Amazon an der Überwachung seiner Beschäftigten überwiegen zu lassen. Stefan Brink bezweifelt, dass diese Entscheidung einer Überprüfung durch höhere gerichtliche Instanzen standhalten wird. Aber wie weit kann der Datenschutz reichen, wenn sich die Betroffenen mit einer Überwachung einverstanden erklären? Wie weit reicht der Schutz, wo fängt die Bevormundung an?
30 Apr 2020Corona im Rechtsstaat Folge 1400:32:02
Prof. Uwe Volkmann ist Professor für Verfassungsrecht und Rechtsphilosophie an der Goethe-Universität Frankfurt/Main. Im Gespräch mit Niko Härting geht es um die "bislang triviale Erkenntnis, dass das Leben als solches nicht das höchste Gut ist, sondern das Leben in Würde". Uwe Volkmann pflichtet dem Bundestagspräsideneten Wolfgang Schäuble bei und erinnert an die geschichtliche Erfahrung, die 1949 dazu führte, dass der Schutz der Menschenwürde einen überragenden Verfassungsrang hat. Am Beispiel der Organentnahme erläutert er, dass dem Grundgesetz ein unbedingter Lebenschutz fremd ist. Es kritisiert den Satz "Jeder Tote ist zu viel" (Markus Söder), dessen Logik den öffentlichen Diskurs beherrscht.
14 Jul 2022Follow the Rechtsstaat Folge 400:58:49
In dieser Folge geht es um Data Sharing, Datenmacht, Datensilos und „Datenbarone“ und um den Entwurf eines „Data Acts“, den die Europäische Kommission kürzlich vorgelegt hat. Max Adamek und Niko Härting sprechen mit dem bekannten Journalisten und Sachbuchautor Thomas Ramge, der die europäische Debatte zum Data Sharing – gemeinsam mit seinem Co-Autor Viktor Mayer-Schönberger – ganz maßgeblich geprägt hat durch das vor 5 Jahren weltweit in rund 20 Sprachen erschienene Buch „Das Digital – Markt, Wertschöpfung und Gerechtigkeit im Datenkapitalismus“. In „Machtmaschinen“ (englisch: „Access Now“) haben die beiden Autoren ihre Thesen unlängst weitergedacht. Thomas Ramge kommentiert den Versuch einer Übernahme von Twitter durch Elon Musk und weist darauf hin, dass die großen Twitter-Datenbestände ein wesentliches Motiv des Übernahmeversuchs sein dürften. Auch Tesla zählt Ramge zu den „Datenbaronen“. Tesla verfügt über Verkehrs- und Bewegungsdaten aus aller Welt, die für Innovationen zur Verkehrssicherheit eingesetzt werden könnten, wenn man Tesla zum „Teilen“ der Daten verpflichten würde. Der Datenschutz muss aus Ramges Sicht kein Hindernis für das „Datenteilen“ sein. Dies setzt allerdings voraus, dass der Datenschutz pragmatisch und nicht rigoros („religiös“) verstanden wird. Wenn jedes Datum schon dann Personenbezug hat, wenn sich eine entlegene Möglichkeit der De-Anonymisierung nicht völlig ausschließen lässt, wird jeder Versuch, das „Teilen“ von Daten in die Tat umzusetzen, am Datenschutz scheitern. Den Entwurf eines „Data Acts“ sieht Thomas Ramge eher kritisch, da der Fokus des Entwurfs nicht auf den Unternehmen liegt, die zur Verschaffung von Datenzugang verpflichtet werden, sondern auf der einzelnen Nutzerin, in deren Verantwortung die Entscheidung über den Datenzugang liegen soll. Ramge bezweifelt, dass ein solches Regulierungsmodell in der Praxis funktioniert. Max Adamek und Niko Härting sind sehr unterschiedlicher Meinung zu den Konzepten einer Zugangsverpflichtung, die Thomas Ramge und Viktor Mayer-Schönberger entwickelt haben. Hört einmal selbst, wie beide am Schluss des Podcasts diese Konzepte diskutieren.
01 Jul 2022Follow the Rechtsstaat Folge 301:04:40
In dieser Folge geht es um „Hate Speech“ bei Facebook und auf anderen Plattformen. „Hass ist keine Meinung“: Die Bundestagsabgeordnete und Ex-Verbraucherschutzministerin Renate Künast hat 2017 ein Buch mit diesem Titel veröffentlicht. Ist Hass wirklich „keine Meinung“? Renate Künast berichtet von ihren Erlebnissen, als sie vor einigen Jahren gemeinsam mit einer Journalistin Verfasser von Pöbel-Postings zu Hause aufsuchte. Was sind das eigentlich für Menschen, sind das alles „Rechte“, Spinner und Extremisten? Darüber hinaus geht es in dem Gespräch um das Verfahren, das Renate Künast vor einiger Zeit vor der Pressekammer des Berliner Landgerichts begann, um eine einstweilige Anordnung zu erwirken. Sie wollte von Facebook erfahren, wer die Urheber von Postings mit besonders üblen Beschimpfungen waren. Das Landgericht und auch das Berliner Kammergericht meinten, als Politikerin müsse sie die Beschimpfungen – jedenfalls teilweise – hinnehmen. Erst vor dem Bundesverfassungsgericht hatte Künast mit ihren Anträgen in vollem Umfang Erfolg. Was motiviert Renate Künast, trotz zahlreicher Rückschläge immer wieder – zivilrechtlich und auch strafrechtlich – gegen Beleidigungen und unflätige Pöbeleien vorzugehen? Im zweiten Teil des Podcasts geht es um die Rechtsprechung des BGH zu Löschungen von Postings und zur Sperrung von Profilen bei Facebook. Immer mehr Facebook-Nutzer setzen sich gegen Löschungen und Sperrungen zur Wehr, und der BGH hat vor einem Jahr in zwei langen Entscheidungen Maßstäbe gesetzt. Wie argumentiert der BGH genau? Wie wenden die Richter das AGB-Recht an und wie gelangen sie im Ergebnis zu einer umfassenden Grundrechtsabwägung? Was ist von den Entscheidungen zu halten?
20 Dec 2022Follow the Rechtsstaat Folge 1600:46:01
In dieser Folge sprechen Max Adamek und Niko Härting über drei neue Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs: · Darf ein öffentlich-rechtlicher Sender Kommentare auf seinen Facebook-Seiten beliebig löschen? Nein, meint das Bundesverwaltungsgericht, erlaubt dem MDR jedoch das Löschen von Kommentaren „ohne Sendungsbezug“. · Muss ein Justizprüfungsamt dem Prüfling kostenlos Kopien aller Klausuren und Prüfervermerke zur Verfügung stellen? Ja, meint das Bundesverwaltungsgericht und begründet dies mit Art. 15 Abs. 3 DSGVO, ohne die grundsätzliche Frage zu klären, wie weit das Datenschutzrecht ein „Recht auf Kopie“ gewährt. · Muss Google den Wahrheitsgehalt von Artikeln prüfen, die sich in Ergebnissen der Google-Suche finden, wenn sich Betroffene beschweren? Nein, meint der Europäische Gerichtshof und rudert beim „Recht auf Vergessen“ deutlich zurück. Google wird dies freuen.
20 Sep 2022Follow the Rechtsstaat Folge 800:40:31
Michael Kubiciel ist Professor für deutsches, europäisches und internationales Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschafts- und Medizinstrafrecht an der Universität Augsburg. Er unterhält sich mit Max Adamek und Niko Härting über die Strafrechtspolitik der „Ampel“, die sich deutlich von der Politik der (schwarz-roten) Vorgängerregierungen unterscheidet. Insbesondere in der Amtszeit des Bundesjustizministers Heiko Maas (2013 bis 2017) wurden immer wieder neue Strafnormen geschaffen, bestehende Straftatbestände verschärft und „Strafbarkeitslücken“ geschlossen. Dies begründete man gerne mit der Symbolkraft von Strafgesetzen. Man wollte „Zeichen“ setzen, dass die Gesellschaft bestimmte Handlungen missbilligt. Die „Ampel“ beschreitet einen gegenläufigen Weg und setzt auf Entkriminalisierung und auf eine evidenzbasierte Strafrechtspolitik. Michael Kubiciel erläutert die unterschiedlichen Denkschulen, spricht über Strafzwecke sowie über verschiedene Leitlinien und Ansätze der Kriminalpolitik. Er betont, dass es durchaus vertretbar ist, das Strafrecht als Instrument der gesellschaftlichen Missbilligung einzusetzen. Im zweiten Teil des Podcasts geht es um konkrete Vorhaben der Bundesregierung, über die Max Adamek und Niko Härting auch bereits mit Canan Bayram (Bündnis90/Die Grünen) und Günter Krings (CDU/CSU) in den Folgen 5 und 6 von „Follow the Rechtsstaat“ sprachen. Die von Bundesjustizminister Marco Buschmann geplante Reform der Ersatzfreiheitstrafen hält Michael Kubiciel für begrüßenswert. Kritisch steht Kubiciel dagegen Überlegungen einer Entkriminalisierung des „Containerns“ gegenüber. Auch die Überlegungen zu einer Legalisierung von Cannabis sind nach Kubiciels Überzeugung noch nicht hinreichend ausgereift, da die Gefahren den Cannabiskonsums für Jugendliche unbestritten sind. Eine Entkriminalisierung des Schwarzfahrens sei in jeder Hinsicht erwägenswert. Kubiciel ist jedoch skeptisch, ob es mit einer bloßen Umwandlung in einen Bußgeldtatbestand getan ist, da vielen der Betroffenen die Mittel fehlen, ein Bußgeld aufzubringen.
20 Dec 2021Corona im Rechtsstaat Folge 8200:38:23
Kai Möller ist Professor of Law an der London School of Economics (LSE). Er befasst sich rechtsvergleichend mit Menschenrechten. In dem Gespräch mit Niko Härting geht es um die Debatte um eine allgemeine Impfpflicht. Warum wird diese Debatte nur in Deutschland und Österreich, nicht jedoch in den anderen europäischen Ländern geführt? Trotz vergleichbarer Impfquoten fordert in Großbritannien niemand eine allgemeine Impfpflicht, niemand fragt andere nach deren „Impfstatus“, niemand regt sich über „unbelehrbare Ungeimpfte“ auf. Wie erklärt sich dieser Unterschied? Kai Möller ist der Auffassung, dass Impfpflichten die Menschenwürde tangieren. Daher lehnt er allgemeine Impfpflichten ab. Aber wie lässt sich dies begründen, wenn es bei einer Impfung doch letztlich nur um einen „kleinen Pieks“ gilt? Ist dies wirklich ein schwerwiegender Eingriff, der die Menschenwürde auf den Plan ruft? In dem Gespräch geht es auch um das Verhältnismäßigkeitsprinzip, das im 19. Jahrhundert in Deutschland erfunden wurde und seitdem einen Siegeszug bis in das europäische Recht erlebt hat. Das Prinzip hat seine Schwächen, da es letztlich jeden Eingriff in Grundrechte erlauben kann, wenn entgegenstehende Rechte und Interessen ein höheres Gewicht haben. Daher mag das angelsächsische Grundrechtsverständnis vorzugswürdig sein, das weniger auf Abwägungen als auf die Definition von Tabuzonen angelegt ist, die jedweder Abwägung entzogen bleiben. Bei allgemeinen Impfpflichten mag man sich fragen, ob eine solche –körperliche – Tabuzone erreicht wird.
23 Jul 2024Follow the Rechtsstaat Folge 8700:38:17
Wachstumsinitiative und Datenschutz (ab Minute 00:50): Die Bundesregierung hat jüngst eine „Wachstumsinitiative“ veröffentlicht. Im Zeichen des Bürokratieabbaus soll es auch dem Datenschutz an den Kragen gehen. So soll die Schwelle, ab der Unternehmen einen Datenschutzbeauftragten bestellen müssen, von derzeit 20 auf 50 Beschäftigte erhöht werden. Brink und Härting kritisieren die Abwertung des Datenschutzes als unnötige Bürokratie. Außerdem wird übersehen, dass es parallel eine BDSG-Novelle geben soll mit Vereinheitlichungstendenzen. Verfassungstreue und Bürgerpflichten (ab Minute 10:40): Es folgt ein Kurzausflug ins Verfassungsrecht, basierend auf einem Aufsatz von Prof. Froese in der altehrwürdigen „JuristenZeitung“. Es geht um die These einer Bürgerpflicht zum „Verfassungspatriotismus light“. Brink und Härting besprechen diese These und ordnen sie – insbesondere im Kontext von Einbürgerungsanträgen – ein. Die „Verfassungstreue“ weckt Erinnerungen an die 1970er-Jahre. Zugleich gibt es widersprüchliche Erwartungen an Migranten: Man erwartet von ihnen, mit der Einbürgerung „so wie wir zu sein“, einschließlich aller historischen Erfahrungen und Familiengeschichten. BGH-Urteil zur Videoüberwachung (ab Minute 20:02): In einem Urteil des BGH (VI ZR 1370/20) geht es um eine verdeckt durchgeführte Videoüberwachung im Hausflur eines Mietshauses. Hierdurch wollte der Vermieter eine unzulässige Untervermietung beweisen und klagte auf Räumung der Wohnung, die Mieterin mittels Widerklage auf 10.000 Euro Entschädigung wegen der heimlichen Aufnahmen. Beide Vorinstanzen hatten Klage und Widerklage abgewiesen, der BGH bestätigte dies. In großer Ausführlichkeit begründet der BGH die Anwendbarkeit der DSGVO auf das Zivilprozessrecht. Ohne die DSGVO in der Hand kann in Zukunft kein Gerichtsverfahren mehr geführt werden.
18 Nov 2022Follow the Rechtsstaat Folge 1300:31:19
Niko Härting spricht mit der CDU-Bundestagsabgeordneten Mareike Lotte Wulf über das von der „Ampel“ geplante Selbstbestimmungsgesetz. Mareike Lotte Wulf stammt aus Niedersachsen und macht sich seit Jahren für eine gesellschaftspolitische Öffnung der CDU stark. Sie ist Ehrenmitglied der niedersächsischen LSU (Lesben und Schwule in der Union) und Vorsitzende der Frauen Union der CDU Niedersachsen. Im Familienrechtsausschuss des Deutschen Bundestags ist Wulf für die Themen Transgeschlechtlichkeit, Intersexualität und Homosexualität zuständig. Wulf erläutert, dass sich ihre Fraktion noch keine abschließende Meinung zu den Eckpunkten gebildet hat, die die Bundesfamilienministerin und der Bundesjustizminister Ende Juni veröffentlicht haben. Dass das Transsexuellengesetz reformbedürftig ist, sei unbestreitbar. Allerdings müssten die juristischen Folgewirkungen der äußerst liberalen Vorschläge der „Ampel“ durchdacht werden. Gesellschaftspolitisch müsse zudem berücksichtigt werden, dass den Vorschlägen eine Auffassung von Geschlecht zugrunde liege, die von großen Teilen der Bevölkerung nicht geteilt werde. Wulf betont die Wichtigkeit und die Sensibilität des Themas. Man müsse den Leidensdruck ernst nehmen, den viele Transmenschen erleben. Wulf plädiert dafür, die im Transsexuellengesetz derzeit vorgeschriebene Begutachtung durch eine Beratung zu ersetzen. Allerdings habe sich ihre Fraktion hierzu noch keine abschließende Meinung gebildet. In dem Podcast geht es auch um Gespräche, die Wulf einerseits mit Transmenschen und andererseits mit feministischen Kritikern geführt hat. Sie glaubt nicht, dass das Selbstbestimmungsgesetz dazu führen wird, dass Männer „massenweise“ ihren Geschlechtseintrag ändern werden, „um in Frauenumkleideräume einzudringen“.
05 Jun 2020Corona im Rechtsstaat Folge 2100:31:05
Niko Härting unterhält sich mit dem Düsseldorfer Wettbewerbsökonomen Justus Haucap. Justus Haucap vierfacher Vater und kritisiert die sehr zögerliche Öffnung der Schulen. Er warnt vor den Folgen, die die lange Schulpause vor allem für Kinder aus bildungsfernen Familien hat. In dem Gespräch geht es zudem um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise beispielsweise für die Gastronomie und den Tourismus sowie um die Hilfsprogramme des Bundes und der Länder sowie um die zwei Lager, die sich beobachten lassen: Angestellte und Beamte mit gesichertem Einkommen und einem oft skeptischen Blick auf „die Wirtschaft“ auf der einen Seite und auf der anderen Seite Unternehmer, Freelancer und Kurzarbeiter mit schwindendem Einkommen und Zukunftsangst.
08 Jul 2020Corona im Rechtsstaat Folge 3100:33:09
Niko Härting unterhält sich mit Prof. von Lewinski über die Rolle der Medien in der Corona-Krise. Es geht um das Verhältnis von Information und "Haltung" und um Pluralismus in den öffentlich-rechtlichen Medien. Und es geht um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise auf die Presseverlage. Wie kann der Staat die wirtschaftlichen Folgen der Krise abmildern, ohne in Konflikt mit dem Gebot der "Staatsferne" zu geraten? Und wie steht es eigentlich um eine kritische Begleitung der Krise durch kundige Wissenschaftsjournalisten?
20 Aug 2024Follow the Rechtsstaat Folge 9100:40:11
Stefan Brink und Niko Härting sprechen (ab Minute 01:03) über den überraschend schnellen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) in Sachen COMPACT (Beschluss vom 14.8.2024, Az. 6 VR 1.24). Der ansonsten als durchaus staatstragend bekannte 6. Senat setzte das Vereinsverbot außer Vollzug und meldete in einer Pressemitteilung deutliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vereinsverbots an. Ein Eigentor der Bundesinnenministerin mit Ansage, denn es gibt kaum einen Verfassungsrechtler, den die Entscheidung des BVerwG überrascht. Die TAZ berichtet über einen Gesetzesentwurf aus dem Hause Faeser (ab Minute 10:07), dem gleichfalls die Verfassungswidrigkeit auf die Stirn geschrieben ist. BKA-Beamten soll es erleichtert werden, Computer, Tablets und Smartphones mit Überwachungssoftware auszuspionieren. Statt mühsam und oft ohne Erfolg Endgeräte mit „Staatstrojanern“ zu infizieren, sollen die Beamten befugt sein, heimlich in Wohnungen einzubrechen. Gut dass wir nicht nur einen grünen Innenpolitiker haben, der sich zu Faesers Plänen sogleich recht wohlwollend äußerte, sondern auch einen Marco Buschmann, der Faesers Überwachungsphantasien sogleich widersprach. Durch Verfahren um „RKI Files“ und andere Unterlagen aus der Corona-Zeit hat die Informationsfreiheit Hochkonjunktur (ab Minute 19:41). Oft sind die Verfahren sehr mühsam, dauern viel zu lang und sind sehr kostspielig. Die Verwaltungsgerichte haben zudem zahlreiche Schlupflöcher eröffnet, an denen viele Kläger scheitern. Stefan Brink und Niko Härting sprechen über Reformvorschläge de Deutschen Anwaltverein (DAV) und über das überfällige Transparenzgesetz, das die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag einst versprach.
24 Nov 2021Corona im Rechtsstaat Folge 7700:35:14
Der Mathematiker Prof. Dr. Gerd Antes befasst sich seit den 1980er Jahren mit der Wissensgenerierung aus Studien und ist Experte für Evidenzbasierte Medizin. Niko Härting hat sich mit ihm bereits in Folge 63 unterhalten. In allen Corona-Debatten beruft man sich auf zahlreiche Studien, die nahezu ausschließlich in englischer Sprache verfasst sind. Dies liegt daran, dass es kaum deutsche Studien gibt. Systematische Forschung zu Verbreitungswegen, Ansteckungsrisiken und der Wirksamkeit von Eindämmungsmaßnahmen wäre zwar dringend geboten. Es fehlt jedoch an einer zentralen Stelle, die entsprechende Forschungsaufträge erteilen könnte. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) verfügt zwar über erhebliche Forschungsgelder. Gesundheit ist dort jedoch nur ein Thema unter vielen, und an der Abstimmung mit dem Gesundheitsressort hapert es. Im Bereich der Bundesgesundheitsministeriums (BMG) fehlt es an klaren Zuständigkeiten für systematische Forschung. Und so bleiben nur die täglichen Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI), die lückenhaft und oft wenig aussagekräftig sind. Fehlende Daten, Fakten und Evidenz prägen daher die Corona-Krise in Deutschland. Interessenkonflikte werden zudem verschwiegen und übergangen.
18 Jan 2024Follow the Rechtsstaat Folge 6000:59:35
Diese Podcast-Folge beschäftigt sich mit Fällen zur Informationsfreiheit, die uns der Verein FragDenStaat freundlicherweise zur Verfügung stellt – und die belegen, dass das Bürgerrecht „Freedom of Information“ zwar nützlich und wichtig ist, aber ganz erhebliche Abwehrreaktionen der öffentlichen Verwaltung auslöst und auch den Verwaltungsgerichten ziemliche Mühe bereitet. Zunächst geht es in Querbeet (ab Minute 01.00) um die Feier der Uni Frankfurt/Main zu Ehren des jüngst verstorbenen Datenschützers Prof. Spiros Simitis, um den Neujahrsempfang des Deutschen Anwaltsvereins DAV und um eine Veranstaltung in den Räumlichkeiten der Kanzlei Niko Härtings. Dann bespricht er gemeinsam mit Stefan Brink die Entscheidung des VG Berlin zur Herausgabe der SMS von Außenminister Maas anlässlich des Abzugs der Bundeswehr aus Afghanistan (VG 2 K 124/22 vom 11.10.2023, ab Minute 13.55). Das Berliner Verwaltungsgericht, bekannt durch zahlreiche freiheitsfreundliche Entscheidungen zum Zugangsrecht der BürgerInnen zu behördlichen Informationen, versucht hier die nicht recht plausible Auffassung zu begründen, dass Kommunikation des Außenministers auf dem Diensthandy gar nicht unter den Begriff „amtliche Informationen“ falle. Jedenfalls wird deutlich, dass die öffentliche Verwaltung gerade wegen immer weiterer Formen moderner Kommunikation (E-Mail, SMS, Social Media, eAkte) klarer „bürokratischer“ Vorgaben durch eine Aktenordnung bedarf, die exakt vorgibt, wie welche Behördenäußerungen zu „verakten“ sind – ansonsten läuft der Anspruch auf Informationszugang leer. Spannend auch die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach (AN 14 E 23.1992 vom 2.11.2023, ab Minute 44:17), die einen presserechtlichen Auskunftsanspruch gegenüber der Bundesagentur für Arbeit bejaht und der Antragstellerin Auskunft auf die Fragen danach zuspricht, gegen welche Unternehmen im Jahr 2022 ein Bußgeldverfahren eingeleitet wurde, weil sie entgegen gesetzlichen Vorgaben keine Menschen mit Behinderung beschäftigten. Wenig überzeugende Einwände der BfA, dem stünde der Datenschutz (der Unternehmen?), jedenfalls aber der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen entgegen, entkräftet das VG Ansbach überzeugend. Schließlich wird eine erfolgreiche Klage von FdS vor dem VG Köln (13 K 4761/18 vom 9.11.2023, ab Minute 48:45) erörtert, wonach die Kölner Verkehrsbetriebe zur Auskunft über die Anzahl der von ihr bis zum 11. Dezember 2017 durchgeführten Fahrgastkontrollen, aus der sich auch der Ort der Kontrollen ergibt sowie über die Anzahl der von ihr erfolgten Aufforderungen zur Zahlung eines sogenannten „erhöhten Beförderungsentgeltes“ verpflichtet sind. Die Entgegnungen der KVB sind zwar phantasievoll (sie befördere nur Personen von A nach B, was nicht unter Planung, Organisation und Ausgestaltung des ÖPNV falle und damit keine öffentlich-rechtliche Aufgabe sei bzw. der Informationserteilung stehe der Versagungsgrund entgegen, dass diese zu einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit führe; zudem sei nicht auszuschließen, dass der Kläger eine Schädigungsabsicht verfolge), werden vom VG klar widerlegt. Dass FdS hierauf geschlagene 6 Jahre warten musste (und der Prozess wohl noch nicht zu Ende ist), ist allerdings betrüblich. Auch im neuen Jahr 2024 werden wir regelmäßig Fälle von FdS vorstellen und die rechtliche Praxis der Informationsfreiheit aufmerksam betrachten.
11 Dec 2024Follow the Rechtsstaat Folge 10600:41:15
Im neuen Podcast sprechen Stefan Brink und Niko Härting in Querbeet (ab Minute 00:42) zunächst über ein Gespräch von Stefan mit Netzpolitik.org zur Informationsfreiheit: Moderne Verwaltung ist transparent ( https://netzpolitik.org/2024/ex-datenschutzbeauftragter-im-interview-moderne-verwaltung-ist-transparent/). Was steht Transparenz der Verwaltung eigentlich entgegen? Welche Rolle spielt die „Fachlichkeit“ der Verwaltung? Und warum ist nicht wirtschaftliche Effizienz, sondern Rechtstaatlichkeit ausschlaggebend? Dann betrachten bei die Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts (ab Minute 12:46) zur „Pegasus“-Entscheidung (https://www.bverwg.de/071124U10A5.23.0): Der Bundesnachrichtendienst (BND) ist danach nicht verpflichtet, einem Journalisten von FragDenStaat Auskünfte über den Erwerb und Einsatz der Software "Pegasus" zu erteilen. Diese Software ist eine israelische Spyware, mit der mobile Endgeräte mit den Betriebssystemen iOS oder Android ausgespäht werden (Zugriff auf Daten sowie die Aktivierung von integrierten Mikrofonen und Kameras). Zwar gelte – so das BVerwG in seiner noch nicht veröffentlichten Entscheidung - Pressefreiheit auch für digitale Medien. Den erbetenen Auskünften stünden aber überwiegende öffentliche Interessen entgegen: Der BND habe plausibel dargelegt, dass diese Auskünfte seine Funktionsfähigkeit beeinträchtigen könnten. Die journalistischen Fragen zielten auf die Offenlegung seiner aktuellen nachrichtendienstlichen Arbeitsweise und Methodik ab. Dies könnte mittelbar auch operative Vorgänge gefährden. Zudem wären die Informationen für ausländische Geheim- und Nachrichtendienste und andere mögliche Aufklärungsziele von bedeutendem Interesse. Auch der Schutz der Zusammenarbeit des BND mit solchen Diensten wäre bei Erteilung der Auskünfte beeinträchtigt. Man wundert sich demnach, was ausländische Nachrichtendienste alle nicht wissen … Dann geht es (ab Minute 22:08) um die Frage, was der Verfassungsschutz in den Sozialen Medien zu suchen hat: der Thüringer Verfassungsgerichtshof stärkt das Fragerecht von Abgeordneten (Urteil vom 20.11.2024, https://verfassungsgerichtshof.thueringen.de/media/tmmjv_verfassungsgerichtshof/Entscheidungen/23-00021_Urteil_nicht_barrierefrei.pdf) und tritt der Argumentation der Landesregierung entgegen, bei einer nachrichtendienstlichen Tätigkeit ergebe sich das Bedürfnis nach Geheimhaltung bereits aus der Natur der Sache. Im Organstreitverfahren zweier AfD-Abgeordneter zum Umgang des Thüringer Verfassungsschutzes mit Fake-Accounts in den sozialen Netzwerken bekräftigt das Gericht, dass die Landesregierung zumindest allgemeine Informationen hätte geben müssen, etwa die Angabe, wie viele (Fake-)Accounts der Verfassungsschutz in den sozialen Netzwerken nutzt. Angaben darüber, welche Chatgruppen der Verfassungsschutz in der Vergangenheit möglicherweise selbst erstellt habe, seien dagegen nicht vom parlamentarischen Fragerecht umfasst, da die Funktionsfähigkeit des Verfassungsschutzes ein in der Verfassung verankertes Schutzgut sei. Informationsfreiheit aus Bürgersicht, aus Journalistensicht und aus Sicht des Parlaments – so viel Transparenz war selten …
08 Feb 2024Follow the Rechtsstaat Folge 6300:45:19
Neue Podcast-Folge, neue Gerichtsentscheidungen: Stefan Brink und Niko Härting widmen sich zunächst der Entscheidung des EuGH (Urteil v. 25.01.2024, Rs. C-687/21, ab Minute 01:07), wonach einem Kunden von Saturn beim Kauf eines Elektrohaushaltsgeräts per Kreditvertrag Gerät und personenbezogene Daten durch Aushändigung an einen drängelnden Dritten für eine halbe Stunde abhanden kamen. Hier entscheid der EuGH in Sachen Schadenersatz nach Art. 82 DS-GVO, dass ein rein hypothetisches Risiko der missbräuchlichen Verwendung durch einen unbefugten Dritten nicht zu einer Entschädigung des Klägers führen kann. Ein „immaterieller Schaden“ im Sinne dieser Bestimmung liege nicht schon deshalb vor, weil die betroffene Person (bloß) befürchtet, dass vor der Rückgabe des Kaufdokuments eine Kopie von ihm angefertigt worden sein und in Zukunft eine Weiterverbreitung oder gar ein Missbrauch ihrer Daten stattfinden könnte. In einer weiteren Entscheidung des OLG Köln (Urteil vom 10.08.2023 - I-15 U 149/22, ab Minute 15:38), ging es um den Umfang des Auskunftsanspruchs nach Art. 15 DS-GVO gegenüber einer Klinik nach Behandlungsfehler (eine Fraktur des Fußes war übersehen worden). Das OLG hielt fest, dass der Datenauskunftsanspruch über die Behandlungsdokumentation hinaus auch die weiteren in den Datensystemen der Krankenhausverwaltung gespeicherten personenbezogenen Daten umfasse sowie auch diejenigen Daten über sie, welche eine Klinik mit ihrer Haftpflichtversicherung und ihren Rechtsanwälten über die Patientin geteilt hat. Zudem sei eine auf den Wortlaut des Art. 15 DS-GVO gestützte Auskunftsklage aus sich heraus schlüssig, die pauschal auf eine „vollständige Datenauskunftserteilung“ gerichtete Klage sei zulässig und gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmt – eine wichtige Abkehr von der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (entgegen BAG, Urt. v. 16.12.2021 - 2 AZR 235/21). Schließlich werfen Niko und Stefan ihren kritischen Blick auf zwei „anspruchsvolle“ Kammer-Entscheidungen des BVerfG (2 BvR 1330/23 - Beschluss vom 16.10.2023, 1. Kammer 2. Senat BVerfG sowie 1 BvR 1962/23, ab Minute 25:43). Das Gericht schraubt die Substantiierungs- und Subsidiaritätsanforderungen für Verfassungsbeschwerden in schwindelnde Höhe, die zuvor nur bei Richtervorlagen erreicht wurden – das wird die Freude der Bürgerinnen und Bürger an unserem Verfassungsgericht merklich trüben.
23 Feb 2022Corona im Rechtsstaat Folge 8900:31:55
Prof. Dr. Christoph Degenhart ist einer der bekanntesten deutschen Staats-, Verwaltungs- und Medienrechtler. An „dem Degenhart“ – dem unlängst in 37. Auflage erschienenen Lehrbuch zum Staatsorganisationsrecht kommt keine Studentin und kein Student vorbei. Im Gespräch mit Niko Härting erklärt Degenhart, dass die Corona-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts natürlich auch in seinem Lehrbuch dargestellt wird. Dies durchaus kritisch, da die große Zurückhaltung des Verfassungsgerichts in den vielen Eilverfahren keineswegs selbstverständlich ist. Degenhart erinnert unter anderem an die Karlsruher Eilentscheidungen während der Eurokrise 2011/2012. Damals zeigte das BVerfG keinerlei Scheu, bereits im Eilverfahren Weichen zu stellen. Man begnügte sich nicht mit Folgeabwägungen, sondern entschied zur Sache. Auch mit „Judicial Restraint“ lässt sich die Karlsruher Corona-Linie aus Degenharts Sicht nicht erklären. Die keineswegs zurückhaltende Entscheidung des BVerfG zum Klimaschutz stammt aus demselben Jahr wie die beiden Beschlüsse zur „Bundesnotbremse“, die von manchen Staatsrechtlern wegen ihrer großen Zurückhaltung gelobt werden. Allerdings sieht Degenhart durchaus eine Gemeinsamkeit zwischen den sehr unterschiedlichen Beschlüsse zum Klima- und Infektionsschutz: Aus Grundrechten werden keine Schranken abgleitet, die dem Gesetzgeber gesetzt sind, sondern Aufträge an den Gesetzgeber, eingreifend tätig zu werden. Eine Tendenz, die Degenhart kritisch sieht. In dem Gespräch geht es auch um eine mögliche Impfpflicht und um die „äußerste Gefahrenlage“, mit der das BVerfG in seiner Bundenotbremse I-Entscheidung weitgehende Grundrechtseingriffe rechtfertigt. Laut Degenhart ein „Danaergeschenk“ des BVerfG, da offen bleibt, wodurch sich eine „äußerste Gefahrenlage“ von einer „einfachen Gefahrenlage“ unterscheidet. Lese man die drastischen Schilderungen der Klimakrise in dem Karlsruher Klimabeschluss, ahne man, dass sich Entscheidungen ohne Weiteres wiederholen können, in denen extreme Freiheitsbeschränkungen mit dem Vorliegen einer „extremen Gefahrenlage“ in Karlsruhe gerechtfertigt werden.
23 Dec 2021Corona im Rechtsstaat Folge 8400:46:42
Wie erleben Künstlerinnen die Corona-Zeit? In dem letzten Podcast 2021 unterhält sich Niko Härting mit der Berliner Drag-Legende Gloria Viagra. Als Drag Queen und DJ konnte Gloria seit März 2020 kaum arbeiten. Im Herbst 2020 waren ihre Ersparnisse aufgebraucht. Erstmals seit 27 Jahren ließ sich Gloria anstellen - als Verkäuferin in einem Schokoladengeschäft, das kurze Zeit später schließen musste. Seitdem Kurzarbeit und dann erneut in Sachen Schokolade aktiv. Bei einer Flasche Sekt (Magnum) sprechen Gloria Viagra und Niko Härting über die Geringschätzung, die die Clubkultur erlebt. Clubs finden sich in einer Schmuddelecke wieder, die längst überwunden schien. Kaum jemand denkt an die vielen Existenzen, die auf offene Clubs angewiesen sind. Kaum jemand denkt an die Gäste, für die die Clubs Safe Spaces und Zweite Wohnzimmer sind. Manche der Gäste fielen ins Nichts. Gloria Viagra berichtet über Selbstmorde und Drogentote, die es seit März 2020 im Bekanntenkreis gegeben hat. Es scheint kaum jemanden zu interessieren. Als Parteilose kandierte Gloria Viagra 2021 auf der Liste der LINKEN für das Abgeordnetenhaus. Sie berichtet über das weite Meinungsspektrum zu Corona, das es bei den LINKEN - ebenso wie in anderen Parteien - gibt. Warum wird die Debatte dominiert von Menschen, die die Krise im Home Office aus dem Dachgeschoss einer Wohnung am Prenzlauer Berg erleben? Wo bleiben eigentlich das soziale Gewissen und die Wertschätzung der Kultur? In der Krise dominiert der Egoismus. Die Sorge um das eigene Klopapier erscheint wichtiger als das Mitgefühl für Menschen, die mit den sozialen und wirtschaftlichen Folgen täglich kämpfen. Und der Widerstandsgeist erlahmt, zumal man sich nicht mit Demonstranten gemein machen möchte, die mit der Reichskriegsflagge auf die Straße gehen. Trotz aller Widrigkeiten eine entspannte und gelassene Diskussion, den Humor lassen wir uns durch Corona nicht verderben.
14 Dec 2023Follow the Rechtsstaat Folge 5600:54:07
Diese Podcast-Folge steht ganz im Zeichen eines Jubiläums: Das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983 wird diese Woche 40! Grund genug, diese Folge ganz der Geburtsstunde des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung zu widmen – zumal Niko Härting und Stefan Brink an diesem Freitag zu einer feierlichen Veranstaltung zahlreiche Akteure, Wegbegleiter und Freund:innen des Grundrechts nach Berlin eingeladen haben. Zunächst einmal (ab Minute 04:05) beleuchten beide das gesellschaftliche und politische Umfeld der Volkszählung – 1983 war nicht nur „1 vor Orwell“, sondern auch geprägt von sehr lebendigen Formen der politischen Auseinandersetzung um die staatliche Datenerhebung. Dann gilt der Blick der Entscheidung des BVerfG selbst (ab Minute 20:45), die sich in zahlreichen Passagen als wahrer „Klassiker“ erweist: Wer kennt nicht die Formulierung unseres obersten Gerichts, wonach mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung eine Gesellschaftsordnung nicht vereinbar wäre, „in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß“ – aber auch die klugen Überlegungen zu den sozialen Beschränkungen dieses Grundrechts sind heute noch lesenswert. Abschließend werden die konkreten Resultate der Entscheidung betrachtet (ab Minute 45:25), neben Vorgaben zu technischen und organisatorischen Maßnahmen verbot das BVerfG insbesondere den auf die Volkszählung gestützten Melderegisterabgleich. Na dann: Happy Birthday, Datenschutz-Grundrecht!
25 Jan 2021Corona im Rechtsstaat Folge 4900:33:28
Marco Buschmann ist Bundestagsabgeordneter und Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion. Im Gespräch mit Niko Härting erläutert Marco Buschmann die Aufgaben, die mit seinem Amt verbunden sind. Es geht zudem um die Rolle des Parlaments in der Corona-Krise. Marco Buschmann kritisiert die Große Koalition, die eine Sondersitzung des Bundestags in der letzten Woche abgelehnt hat. Statt die neuesten Beschlüsse der Ministerpräsidenten den Abgeordneten zu erläutern, zog es die Bundeskanzlerin vor, in der Bundespressekonferenz Journalistenfragen zu beantworten. Es geht auch um den Spagat zwischen der Verantwortung, die die FDP in drei Landesregierungen trägt, und der Arbeit auf den harten Oppositionsbänken in Berlin. Und es geht um die Defizite der Digitalisierung, die in der Corona-Krise mit keinerlei Entschlossenheit behoben werden. Wo ist eigentlich der Krisenstab, der die Prozesse beim Testen und beim Impfen, beim Nachverfolgen und bei der Corona-Warn-App tatkräftig analysiert, digitalisiert und optimiert?
01 Feb 2024Follow the Rechtsstaat Folge 6200:38:00
Timo Peters ist Rechtsreferendar und Vorstand des Afro-Deutsche Jurist:innen e. V. Der Verein wurde vor zwei Jahren gegründet und hat bereits mehr als 130 Mitglieder. Warum gibt es einen solchen Verein? Im Gespräch mit Niko Härting berichtet Timo Peters von seinen persönlichen Erfahrungen als Student und Referendar mit dunkler Hautfarbe. Zudem gibt Timo Peters Einblick in die Themen, die die Vereinsmitglieder bei ihren regelmäßigen Zusammenkünften besprechen. Es geht um das Gefühl der Zugehörigkeit bzw. des „Nicht-Dazugehörens“, um Vorbilder für junge schwarze Juristinnen und Juristen, um gut gemeinte Fragen nach der Herkunft. Was können „biodeutsche“ Anwältinnen und Anwälte dazu beitragen, dass schwarze Kolleginnen und Kollegen stärker als bisher zur Normalität unseres Berufes zählen?

Améliorez votre compréhension de PinG-Podcast "Follow the Rechtsstaat" avec My Podcast Data

Chez My Podcast Data, nous nous efforçons de fournir des analyses approfondies et basées sur des données tangibles. Que vous soyez auditeur passionné, créateur de podcast ou un annonceur, les statistiques et analyses détaillées que nous proposons peuvent vous aider à mieux comprendre les performances et les tendances de PinG-Podcast "Follow the Rechtsstaat". De la fréquence des épisodes aux liens partagés en passant par la santé des flux RSS, notre objectif est de vous fournir les connaissances dont vous avez besoin pour vous tenir à jour. Explorez plus d'émissions et découvrez les données qui font avancer l'industrie du podcast.
© My Podcast Data