
Podcast - Deutsch (Martin Burckhardt)
Explore every episode of Podcast - Deutsch
Pub. Date | Title | Duration | |
---|---|---|---|
04 Feb 2023 | Philosophie der Maschine 6 | 00:31:43 | |
Das sechste Kapitel erzählt, wie sich das phallische Zeichen der Stiergottheit in eine alphabetische Type verwandelt. Aber wo beginnt diese Geschichte? Dort, wo der Gott in Stiergestalt die Europa nach Kreta entführt? Oder im Labyrinth des Dädalus, wo die Alphabestie und Mythengestalt ihrer Auslöschung harrt? Zum Nachhören Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
20 Feb 2023 | Im Gespräch mit ... Uwe Kolbe | 01:51:58 | |
Wie läuft eine Verabredung ab, wenn sie sich um vier Jahrzehnte verspätet? Tatsächlich ist dies der Ausgangspunkt des Gesprächs mit dem Lyriker Uwe Kolbe: eine Verabredung, die im Jahr 1983 in Ost-Berlin hätte stattfinden sollen, ein Email, das viele, viele Jahr später in meinem Email-Postfach aufgetaucht ist (über Charles Babbage und seine Idee, dass man soetwas wie eine »Bibliothek der Luft« stiften könne) – und schließlich, beim Schreiben meiner kleinen Éducation sentimentale, der Gedanke, dass man aus einer schönen, anthropologischen Distanz auf die verflossene Zeit zurückschauen könnte. Entstanden ist ein Werkstattbericht – in dem die Lyrik nicht den Platz des Ornamentalen einnimmt, sondern als Denken, nein, als als eine Urform der Poiesis und des Machens erscheint – was Uwe Kolbe in einer charakteristischen Interjektion zu Gehör bringt: Zack! Oder wie es in einem seiner Gedichte heißt: Mir steht nur der Brand zu Gebot. Und genau diese nicht einzuhegende Energie ist es, die das Gespräch durchpulst – und in eine große Heiterkeit einmündet. Uwe Kolbe lebt in Dresden – und galt als junger Mann als lyrisches Wunderkind. Nachdem er früh Bekanntschaft mit dem Mix aus Zensur und Privilegien machen konnte, mit dem der sozialistische Staat seine Dichter traktierte, wechselte er schließlich auf die andere Seite. Die Wiedervereinigung erlebte er als Dozent des germanistischen Departments in Austin, Texas. Nach Europa zurückgekehrt, begann ein lyrisches Wanderleben. Neben Gedichten machte er mit einem Buch über Brecht, dann einem Roman über den Stasi-Vater auf sich aufmerksam. Die Anzahl der Preise, die er für seine lyrische Arbeit erhalten hat, ist viel zu zahlreich, um sie hier wiederzugeben. Also folgt eine Auswahl seiner letzten Werke und der Link auf seinen Wikipedia-Eintrag. Von Uwe Kolbe sind erschienen (Auswahl) Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
23 Feb 2023 | Philosophie der Maschine 7 | 00:43:11 | |
Das Kapitel erzählt davon, wie sich die Maschine, als Sozioplastik, der Antike einschreibt - wie sie zum Persönlichkeitsideal wird und als geprägte Freiheit schließlich die sozialen Verhältnisse bestimmt. Fortan opfert man nicht mehr den Göttern, sondern der Polis. Nicht zufällig ist die Steuer der einzige Bereich, in dem wir heute noch davon sprechen, Opfer darbringen zu müssen. Zum Nachhören Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
26 Feb 2023 | Im Gespräch mit ... Hans Ulrich Gumbrecht | 01:04:35 | |
Wenn Hans Ulrich Gumbrecht zu den Ausnahmeerscheinungen seiner Zunft gehört, so deswegen, weil man es mit einem Intellektuellen zu tun bekommt, der keine Zukunfts-Berührungsfurcht kennt – weswegen er für die FAZ und die NZZ lange eine Außenposten dargestellt hat: Unser Mann im Silicon Valley. Dabei geht der Ausgangspunkt unseres Gesprächs weit in die Geschichte zurück: zu seiner Studie über den antiken Athleten, den er als medialen Halbgott dingfest gemacht hat – wobei sich die Frage stellt, ob dieser Figur ein Auslaufmodell ist und von Influencern wie Kim Kardashian abgelöst wird. Und so wandert unser Gespräch von einem zum anderen – bis es zwangsläufig die offene Frage der Gegenwart berührt: nämlich was er mit der Staatlichkeit in den Zeiten der Digitalisierung auf sich hat. Hans Ulrich Gumbrecht, emeritierter Professor der Stanford University, hat eine Reihe von Büchern veröffentlicht. Zuletzt sind erschienen: Themenverwandte Gespräche: Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
06 Mar 2023 | Im Gespräch mit ... Klaus Vondung | 00:56:42 | |
Wie gestaltet sich ein Gespräch über die Apokalypse? Wie könnte es anders sein? Heiter. Denn wenn man sich nicht im mysterium tremendum ergeht, in Heulen und Zähneklappern, zeigt sich, dass die Apokalypse ein intellektuell höchst anregendes Feld ist – und weil man sich hier keine göttliche Offenbarung, sondern Aufklärung über die sonderbaren Windungen der menschlichen Psyche erhofft, ist der Literaturwisseschaftler Klaus Vondung ein idealer Gesprächspartner. Ihm verdankt sich die Apokalypse in Deutschland, die zu einem Standardwerk avanciert ist, und weil ihn das Thema nicht losgelassen hat, hat er dieser frühen Schrift ein Alterswerk nachfolgen lassen: Apokalypse ohne Ende. Der Kultur- und Literaturwissenschaftler Klaus Vondung lehrte bis zu seiner Emeritierung an der Universität Siegen. Gastprofessuren führten ihn nach Houston, Osaka und Hangzhou. Zu seinen letzten Publikationen zählen: Themenverwandte Gespräche und Texte Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
12 Mar 2023 | Im Gespräch mit ... Nahlah Saimeh | 01:06:33 | |
Wenn das Leben farbig wird, so rührt dies von den Zwischentönen her, dem, was, zwischen Schwarz und Weiß oszilliert. Und deswegen ist der beste Gesprächspartner, mit dem man über die Abgründe der menschlichen Psyche nachdenken kann, jemand, der diese Spannung selbst in sich trägt. Und schon aus diesem Grund war ich höchst fasziniert, Nahlah Saimeh, die sich als forensische Psychiaterin einen Namen gemacht hat, in einem Kontext zu sehen, der nichts mit ihrer Profession, der Begutachtung von Mördern zu tun hat: im Felde der Kunst. Und weil das Doppelleben einen stereometrischen, ganzheitlichen Blick auf die Dinge erlaubt, ist eine Unterhaltung herausgekommen, in der sich die langjährige Berufserfahrung der Forensikerin artikuliert, aber keineswegs an den Grenzen der Disziplin halt machen muss. Ganz im Gegenteil: Dort, wo sie überschritten werden, begreift man, dass das Böse nicht das ganz Andere, Fremde und Unsägliche ist, sondern eine Abgründigkeit, die in jedem einzelnen Einzelnen liegt. Oder wie Nahlah Saimeh es in einem Buchtitel selbst genannt hat: das liebe Böse. Von Nahlah Saimeh sind zuletzt folgende Bücher erschienen: Themenverwandte Gespräche Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
23 Mar 2023 | Im Gespräch mit ... Karl-Heinz Brodbeck | 01:34:22 | |
Mit Karlheinz Brodbeck über Geld zu reden, bedeutet, dass man sich zwangsläufig über die blinden Flecke der Ökonomie unterhält. Das mag daran liegen, dass man es hier mit einem Denker zu tun hat, der ein großes Sensorium für die Philosophie, aber auch für den Buddhismus an den Tag legt – weswegen das Gespräch, wie zwangsläufig, immer auch Fragen berührt, welche die Weisheit der „Wirtschaftsweisen“ einem Härtetest unterziehen, ja, liebgewordene Gedankenfiguren (wie Risiko, Produktivitität, Mehrwert) in ein philosophisches Säurebad tauchen. Mag sein, dass es an dieser Horizontweiterung liegt, mag sein, dass hier die Liebe zum Free Jazz eine Rolle spielt – in jedem Fall hat sich unserem Gespräch (wie beim Stühlerücken oder der Levitation) ein magischer Hintergrundsklang hinzugemischt. Karl Heinz Brodbeck lehrte bis zu seiner Emeritierung Volkswirtschaftslehre, Statistik und Kreativitätstechniken an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurth und an der Hochschule für Politik München. Neben Fachaufsätzen gehört zu seinen großen Werken die gut tausendseitige Herrschaft des Geldes, ein Buch zu den fragwürdigen Grundlagen der Ökonomie und die kürzlich erschienene Phänomenologie des Geldes. Dass seine Bücher, vollkommen ungewöhnlich für die Zunft, mehrere Auflagen erlebt haben, zeigt, dass hier ein ganz eigener, unter Ökonomen einzigartiger Ton angeschlagen wird. Die letzten Gespräche Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
26 Mar 2023 | Philosophie der Maschine 8 | 00:31:10 | |
Das Kapitel beschäftigt sich mit der Geburt der pythagoräischen Mathematik - oder genauer: damit, auf welche Weise die Mathematiker dem Delir der Unendlichkeit verfallen. Karneval. Jedes mathematische Kalkül hat eine merkwürdige karnevaleske Seite, in jenem altmodischen Sinne, da man dem Leben das Fleisch entzieht. So wie die Töne der Musik vom Klangkörper abstrahieren, löst sich die Formel von der Realität, stülpt ihr ein Regelsystem auf, in dem das Oberste zuunterst, das Unterste zuoberst steht. Zum Nachhören Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
11 Apr 2023 | Philosophie der Maschine 9 | 00:52:44 | |
Mit den reinen, beseelten Zeichen entsteht die Vorstellung einer anderen Welt: Reiner Geist, Ewigkeit, Platonische Körper. Demgegenüber ist die wirkliche Welt Höhle, Unterwelt, ein Schattenreich, in dem Scheinexistenzen nur den Widerschein ihrer Bestimmung aufhuschen sehen: den Abglanz des Wahren, Guten und Schönen. Das Kapitel erzählt von der Geburt der Philosophie - und davon, wie das Denken fortan im Kreis zu laufen beginnt: Das, was die Philosophie als Sein oder Wesen betrachtet, ist die Kunst, im Kreis der universalen Maschine zu laufen. En kyklos paidein. Aber wie wir wissen, ist noch immer jede Enzyklopädie alphabetisch geordnet. Zum Nachhören hier der Link zur Publikation bei Matthes & Seitz Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
26 Apr 2023 | Im Gespräch mit ... Konrad Paul Liessmann | 01:34:18 | |
Sich mit Konrad Paul Liessmann über Bildung zu unterhalten, heißt, dass man sich über die Theorie des Rennrads Gedanken machen muss – und darüber, ob die Philosophie als eine Form des geistigen Bodybuildings zu betrachten ist. Tatsächlich gibt es im deutschsprachigen Raum wohl keinen anderen Philosophen, der sich wie er, gleich in mehreren Büchern, der Problematik der Bildung angenommen hat – und dies auf gleichermaßen scharfzüngige, überraschende wie erhellende Weise. Nur in einer Hinsicht gilt es Kritik anzumelden. Denn wenn er das Vorwort seines Buches Bildung als Provokation mit der Lebensweisheit unterlegt, Warum es so unangenehm ist, gebildeten Menschen zu begegnen, so ist der Bewohner einer stattlichen Bibliothek (von 20. 000 Büchern immerhin) eine ganz wunderbare Ausnahme – war es ein intellektuelles Vergnügen, mit ihm gemeinsam einen Streifzug durch die Bildungslandschaft zu unternehmen. Konrad Paul Liessmann, Professor der Philosophie, lehrte bis zu seiner Emeritierung an der Universität Wien. Von Konrad Paul Liessmann sind zuletzt erschienen: Themenverwandte Gespräche Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
01 May 2023 | Philosophie der Maschine 10 | 00:39:31 | |
Das Kapitel beschäftigt sich mit der Geburt von Metaphysik und ewiger Verdammnis, der Entstehung jener sonderbaren Geisteshaltung, die in der Religionswissenschaft als Gnosis firmiert. Dass man die Erde zu einem Jammertal verwandelt, ist in diesem Sinne eine dialektische Notwendigkeit. Die Kultur wird zur Engelmacherin. Wenn das reine Zeichen den Vorschein der Ewigkeit darstellt, stellt sich die Frage, warum man noch immer mit der Hinfälligkeit des Irdischen zu tun hat. Warum nicht gleich ewig leben? Zum Nachhören hier der Link zur Publikation bei Matthes & Seitz Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
14 May 2023 | Im Gespräch mit ... Christoph Türcke | 01:44:25 | |
Christoph Türcke ist der seltene Fall eines Theologen, der die Bahn des Philosophen eingeschlagen hat – und sich dabei mit dem Verdrängten, mit Nietzsche, Freud und der Frage des Geldes auseinandergesetzt hat. Und das ist ein Glücksfall. Denn seine religiöse Musikalität erlaubt ihm höchst überraschende Einblicke in die zeitgenössische Kreditordnung, die er auf das Menschenopfer zurückführt. Und weil ihn all seine Gedankenfiguren – da ist er dem Theologen in sich treu geblieben – zum alten Adam zurückführen, zieht er dem Gespräch über die Glaubenskrise des Spätkapitalismus die Frage vor, was denn Glauben heute sein kann. Christoph Türcke lehrte von 1995 bis 2014 als Professor für Philosophie an der Lepiziger Hochschule für Buchkunst und Grafik. Von ihm sind u.a. erschienen: Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
06 Jun 2023 | Philosophie der Maschine 11 | 00:33:02 | |
Erinnern wir uns daran, dass die machina mundi, wie der Deus ex Machina, von oben einfliegt, verwundert es nicht, dass sich der Schauplatz des Maschinendiskurses dorthin verlagert, wo um die Politik des Himmels gestritten wird. Es ist das aufstrebende Christentum, welches die Frage der Maschine aufnimmt – auf eine Weise freilich, die anmutet wie ein Palimpsest, ein wieder und wieder abgeschabtes, stets neu beschriebenes Pergament. Das Kapitel beschäftigt sich mit dem Paradox, dass ausgerechnet die christliche Welt (die sich vom antiken Materialismus zu lösen versucht) zum Katalysator der Maschinenwelt wird - über den Umweg der Universalschrift und des Himmelfahrtskommandos der unbefleckten Empfängnis. Und diese ist eine Bewegung, die fast notwendig in den Kathedralenbau, die Gründung der Universitäten und die Buchgesellschaft der Renaissance einmündet. Zum Nachhören hier der Link zur Publikation bei Matthes & Seitz Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
27 May 2023 | Im Gespräch mit ... Philipp Hübl | 02:25:54 | |
Man könnte Philipp Hübl einen Post-Metaphysiker nennen, einen Philosophen, der die ideologische Hornbrille abgelegt und sich stattdessen der Empirie anvertraut hat. Dieser datengetriebene Ansatz freilich führt in ein Paradoxon hinein, und zwar insofern, als der Zugang ins Menschlich-Allzumenschliche fast notwendig in die Abgründe des Sozialen hineinführt, in all das, was sich nicht in ein kohärentes Weltbild auflösen lässt. Und nicht zufällig ist sein erstes größeres Werk, Der Untergrund des Denkens betitelt, einer „Philosophie des Unbewussten“ gewidmet. Bewaffnet mit den Waffen der Sozialpsychologie scheut sich Hübl nicht, in vermintes Terrain vordringen – und dies auf so entspannend unaufgeregte und nüchterne Weise, wie es einem Philosophen wohl ansteht. Und weil man sich mit ihm wunderbar über die Blüten der postmodernen Gesellschaft unterhalten kann (über Tribalismus, Pretendians und Moralhochstapelei), erfährt der Hörer, wie der Philosoph beim Warten auf das sich erhitzende Bügeleisen lernt, wie es ist, mit dem Bügeleisen zu philosophieren – und wie der Philosoph die Massenseele, das nervöse Datenbündel des Großstädters, in sich entdeckt hat. Philipp Hübl lehrte als Junior-Professor für Theoretische Philosophie an der Universität Stuttgart, danach an der Universität der Künste, Berlin. Von Philipp Hübl sind (u.a.) erschienen Verwandte Themen Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
27 Jun 2023 | Philosophie der Maschine 12 | 00:55:03 | |
Das Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, in welcher Form die universale Maschine eine epistemische Gewalt darstellt - eine Sozioplastik, welche die ihr unterliegenden Gesellschaften zwangsläufig in eine bestimmte Ordnung hineinpresst. Lange bevor Columbus zur Atlantik-Überquerung aufbrechen wird, ist das Europa des Mittelalters schon die Neue Welt, die es in Amerika suchen und finden wird. Zum Nachhören hier der Link zur Publikation bei Matthes & Seitz Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
17 Jul 2023 | Philosophie der Maschine 13 | 00:36:42 | |
Europa, der einzige Kontinent, der sich selbst seinen Namen verliehen hat. Das Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, auf welche Weise die universale Maschine (obwohl ein zutiefst europäisches Projekt) die Welt erobert hat. Gerade der Kulturvergleich macht den Preis deutlich, der für die Nutzung einer Maschine zu entrichten ist. So fragt der von christlichen Missionaren erzogene Herrscher des Kongo, Mvemba Nzinga (1456–1543), als er mit dem administrativen Regelwerk konfrontiert wird, das die portugiesischen Eroberer für ihre Res publica christiana vorgesehen haben, seinen Gewährsmann Balthasar Castro: »Castro, welche Strafe ist für denjenigen vorgesehen, der in Portugal seinen Fuß auf den Boden setzt?«. Nimmt man die in der symbolischen Ordnung verborgene Gewaltdrohung, wird durchaus verständlich, warum beispielsweise die chinesische Hochkultur diesen Preis lange nicht zu entrichten gewillt war. In dem Maße jedoch, in dem sich die Maschine globalisiert, ist diese Möglichkeit nicht mehr gegeben – und so beeilen sich die Völker (wie in der japanischen Meiji-Revolution sichtbar), sich die Kultur der Maschine zu introjizieren. Zum Nachhören hier der Link zur Publikation bei Matthes & Seitz Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
04 Aug 2023 | Philosophie der Maschine 14 | 00:30:36 | |
Das Kapitel beschäftigt sich mit der Entdeckung der Elektrizität im 17. Jahrhundert, die nicht nur den Schriftbegriff, sondern auch die Idee der Gesellschaft radikal transformiert. Haben die Zeichen des Alphabets über der Welt geschwebt wie der Geist Gottes über den Wassern, so dringt nun die elektromagnetische Schrift in jeden Körper ein und verwandelt ihn – zur leibhaftigen Letter. Will man die Geschichte der Digitalisierung verstehen, so ist das Verständnis dieses epistemische Risses geradezu unerlässlich. Zum Nachhören hier der Link zur Publikation bei Matthes & Seitz Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
11 Aug 2023 | Im Gespräch mit ... Axel Bojanowski (Audio) | 00:53:35 | |
Redet man über den Klimawandel, ist man unweigerlich mit der Frage konfrontiert, wie sich in einer aufgeklärten, säkularen Gesellschaft ein apokalyptisches Denken breit machen und ein Diskurs sich hat herausbilden können, welcher der ›Leugner‹ und absoluter Gewissheiten bedarf. In jedem Fall greift die Rede über das Wetter, sofern sie allein den Meteorologen überlassen bleibt, viel zu kurz, gilt es die Rolle der Medien in den Blick zu nehmen. In Anbetracht dieses Sachverhalts drängte sich der Gedanke nachgerade auf, Axel Bojanowski zum Gespräch darüber zu bitten. Denn als studierter Meereskundler und Paläoklimatologe hat Bojanowski ein Vierteljahrhundert Wissenschaftsjournalismus hinter sich – für Geo, Zeit, Nature, Spiegel, Bild der Wissenschaft – und seit 2020 für Die Welt. Und weil Axel Bojanowski ein überaus umgänglicher Zeitgenosse ist, haben wir uns in einem langen Gespräch darüber unterhalten, auf welche Weise eine Frage, die doch vor allem technischer wie wissenschaftlicher Lösungen bedürfte, in einen regelrechten Katastrophismus, ja nachgerade eine Form der Katastrophenbegeisterung hat hineinführen können. Herausgekommen ist ein Gespräch, das ohne Eifer, ohne Zorn, sich dieser merkwürdigen Wahrnehmungsverzerrung zugewandt ist. Es ist kein Zufall, dass man sich dabei weniger über die Details des Klimawandels austauscht (den doch niemand in Abrede stellen will, schon gar nicht Bojanowski) und stattdessen auf die blinden Flecke der Debatte zu sprechen kommt: das Desinteresse, dass man den konkreten Lösungen zuteil werden lässt, die geradezu religiöse Erregung, welche sich der Disputanten bemächtigt, zuguterletzt das erstaunliche Beharren auf geistiger und moralischer Suprematie (welche dazu führt, dass man Opponenten wie Bojanowski kurzerhand von der Bühne verweisen möchte: Aus den Augen, aus dem Sinn!) Was kurzfristig ein Gewinn sein mag, ist auf lange Sicht jedoch eine große Gefahr. Denn schon Joseph de Maistre hat gewusst, dass der Weg in die Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert ist. Nimmt man die Zwänge in den Blick, welche die Journalisten in der Aufmerksamkeitsökonomie ausgesetzt sind, wird sichtbar, dass hier gruppendynamische Prozesse am Werk sind. Verabschieden sich die Gemäßigten aus der Debatte, rüsten sich die Aktivisten just in dem Maße, in dem sie die Bindung ans Reale verliert, in phantasmatischer Form auf. Was die Frage auf den Plan ruft: Frage: Könnte es sein, dass sich hier ein zeitgemäßer Donquixotismus anbahnt – eine moralische Panik, der es weniger um die Zukunft u tun ist, als um den Kampf gegen die Riesen, die übermächtigen Monster? Aber wenn dem so wäre, so entbehrte diese postmoderne göttliche Komödie nicht einer gewissen Ironie. Dass man mit Windmühlen gegen Windmühlen anreitet. Axel Bojanowski, dessen Homepage sich hier findet, hat eine Reihe von Büchern veröffentlicht. Auf seinem Substack Blog Klimawandel-Hintergründe äußert er sich regelmäßig zu fachlichen Fragen, die den Klimawandel betreffen. Derzeit arbeitet er an einem Buch zum Thema. In der Welt sind kürzlich erschienen: Der lange Kampf der Umweltbewegung gegen die Menschen Der zweifelhafte Kampf der Klimaschützer-Elite um gesellschaftliche Hoheit Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
15 Aug 2023 | Im Gespräch mit ... Ulrike Ackermann (Audio) | 00:51:51 | |
Wenn ein extraterrestrischer Anthropologe ausgeschickt worden wäre, das auskühlende Freiheitspathos der westlichen Welt zu studieren, so würde er über kurz oder lang Ulrike Ackermann begegnen – gehört sie im deutschen Sprachraum doch zu den wenigen, die, mit einem feinen Gespür für Widersprüche und kognitive Dissonanzen begabt, die illiberalen Tendenzen des Zeitgeistes früh dingfest gemacht haben – ein Sensorium, das sie zur Gründung des John Stuart Mill-Instituts geführt hat, jenes Säulenheiligen der Freiheit, der wusste, dass man sich nicht gebildet nennen kann, »bevor man nicht nur die besten Argumente der eigenen Seite, sondern auch die besten Argumente der gegnerischen Seite gelernt hat«. Nun muss ein Gespräch über die Fröste der Freiheit, zumal wenn es von zwei Boomern geführt wird, notwendig in eine Verwunderung darüber einmünden, welch sonderbaren Wendung des Anything goes der Popkultur genommen hat – aber tatsächlich besteht die Kunst darin, Gesellschaftsprozesse sine ira et studio, mit äußerster Coolness zu analysieren. Nach einer langen publizistischen Karriere lehrte Ulrike Ackermann Freiheitsforschung und -lehre an der SRH Hochschule Heidelberg. Seit seiner Gründung 2009 leitet sie das John Stuart Mill Institut. Von Ulrike Ackermann sind u.a. erschienen: Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
24 Aug 2023 | Philosophie der Maschine 15 | 00:48:30 | |
Das Kapitel beschäftigt sich mit jenem sonderbaren geistigen Raum der Moderne, den der Dichter Novalis in der Innenwelt verortet hat (“Nach innen geht der geheimnisvolle Weg”), der sich historisch aber der Veränderung des Schriftbegriffs verdankt. Hat sich im Transsubstantiationswunder des Mittelalters die Oblate zum Leib Christi, der Wein zu seinem Blut verwandelt, verwandelt sich die Welt, unter Strom gesetzt, zu einem globalen Schriftkörper. Und von hier führt der Weg zu jenem Schreckgespenst des Panoptikums, das in der Gestalt des totalen Überwachungsstaates uns noch heute beschäftigt. Warum die Mühe, den Ursprung der Kybernetik auf das 18. Jahrhundert zurückzuführen? Nur deswegen, weil Benthams Überwachungsapparatur den Preis markiert, der für eine symbolische Ordnung zu entrichten ist: dass sich der Einzelne zur öffentlichen Figur verwandelt, dass er – symbolisch gesprochen – von jenem Schock getroffen wird, den der Abbé Nollet seinen Mönchen zugefügt hat. Zum Nachhören hier der Link zur Publikation bei Matthes & Seitz Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
04 Sep 2023 | Im Gespräch mit ... Thomas Mayer (Audio) | 01:42:04 | |
Wenn es in der Ökonomie den Konterpart des Kriegsphotographen gäbe, so könnte man Thomas Mayer einen ›Physiognomen des Crashs‹ nennen, nicht zuletzt auch deswegen, weil seine Biografie ihn mehrfach ins Auge des Sturms hineingeführt hat. Nach dem Berufseinstieg ins Kieler Instituts für Weltwirtschaft gelangte der junge Volkswirt zum Internationalen Währungsfond, danach zu Goldman Sachs und zu Salomon Brothers, wo er beobachten konnte, wie Nobelpreisträger und mit Preisen geadelte Genies den LTCM-Fonds in gigantische Verluste hineinstürzten. Nach diesem Vorspiel, dem die Dotcom-Blase nachfolgte, konnte Mayer als Chief European Economist und Co-Head of Global Economics der Deutschen Bank in London beobachten, wie sich die Subprime-Krise aufbaute und schließlich explodierte – ein Vorgang, der für ihn so etwas wie ein „persönlicher Weckruf“ war. Zum Chefvolkswirt der Deutschen Bank Gruppe avanciert, ließ er der Krise eine Reihe von tiefsinnigen Betrachtungen und Büchern folgen. Und obschon Mayer noch immer der Sozialphilosophie des Friedrich von Hayek anhängt, kommt er nicht umhin, dem Gros seiner Zunftgenossen eine Form des Wirklichkeitsverlustes zu bescheinigen, welcher im Wortsinn zu einer Entwertung der Werte geführt habe. Den Grund dafür sieht er in dem Vertrauen in das Financial Engineering, der irrigen Hoffnung, dass sich die radikale Unsicherheit einfach aus der Welt herausrechnen ließe. Und weil ihn sein Nachdenken längst über die Grenzen des Wirtschaftens hinausgeführt hat (und zunehmend Philosophen oder Soziologen seine Texte bevölkern), gestaltet sich ein Gespräch mit ihm wie ein Rundflug über die Zeiten und Gesellschaftsgebilde hinweg. Thomas Mayer leitet nach seinem Ausscheiden aus der Deutschen Bank das Flossbach von Storch Research Institute, die Denkfabrik des Vermögensverwalters Flossbach von Storch AG. Zugleich bekleidet er eine Honorarprofessur an der Universität Witten-Herdecke. Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
04 Sep 2023 | Im Gespräch mit ... Susan Neiman (Audio) | 01:16:57 | |
Dass in der einst von Habermas aufgerufenen neuen Unübersichtlichkeit die Verhältnisse so durcheinander geraten sind, dass die Prophezeiungen der Macbeth-Hexen zum alltäglichen Grundrauschen geworden sind (Fair is foul, and foul is fair), ist ein Umstand, der die Philosophie auf den Plan ruft - in diesem Falle die amerikanische Philosophin Susan Neiman, die ein Buch mit dem Titel Links ist nicht woke verfasst hat. Darin geht sie den philosophischen Wurzeln dieses Denkens nach, das sich als progressiv gebärdet, aber, wenn man seinen philosophischen Wurzeln auf den Grund geht, tatsächlich einer eminent reaktionären Denkrichtung zum Durchbruch verhilft. Dass Michel Foucault (oder genauer: sein posthumer Schatten) zum spiritus rector des woken Denkens geworden ist, hat sich herumgesprochen; sehr viel dunkler hingegen ist, dass auch der Kronjurist des Nationalsozialismus, Carl Schmitt, als Souffleur unter dem Bühnenboden der Gegenwart hockt. Was diesen beiden Geistern gemein ist, ist, dass sie sich, jeder auf seine Weise, ganz der Macht verschrieben haben. Das sich der eine (Foucault) als Dämonologe, der andere (Schmitt) als Apologet gebärdet, verschlägt dabei nicht viel – denn die Fokussierung auf die Macht lässt das Gesellschaftgetriebe als eine Art verdeckten Bürgerkrieg erscheinen. In das gleiche Horn stößt die in den letzten Jahren zu Ansehen gekommene Evolutionspsychologie, die das Weltgeschehen auf die eigennützigen Gene reduziert. Es ist ein besonderer Verdienst Susan Neimans, dass sie sich dieser verdeckten Grundlagen angenommen hat. Denn ihr gelingt, woran der zeitgemäße Liberalismus scheitert, dort jedenfalls, wo er in der moralische Empörung über die moralische Empörung, über Wokistan und die Cancel Culture verharrt. - Damit die Zuschauer sich dem Lektüre-Genuss dieses Buches überlassen, dreht sich das Gespräch mit Susan Neiman vor allem um die Frage, welcher Art das Befremden war, dass sie, die sich zeitlebens als Linke verstanden hat (»Das Herz schlägt links«) zur Kritik an Denke Wokistans veranlasst hat. Tatsächlich ist das woke Ressentiment, das der Aufklärung, dem Universalismus und dem Fortschritt den Prozess machen will, vielleicht am präzisesten als Ausdruck einer geistigen Atomisierung zu sehen, als begriffsloser Kampf gegen eine verlorene Zukunft, ein Unbehagen in der Moderne. Oder wie Susan Neiman selber sagt: Gibt man die Aussicht auf einen Fortschritt aber auf, wird Politik zum reinen Machtkampf. Susan Neiman, die als Schülerin von John Rawls tief in der politischen Philosophie beheimatet ist, ist Direktorin am Einstein Forum in Potsdam. Sie hat eine Reihe von Büchern veröffentlicht, die sich um die Frage der Aufklärung, das Böse und die Frage der deutschen Holocaust-Aufarbeitung drehen. Von Susan Neiman sind u.a. folgende Bücher erschienen: Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
09 Sep 2023 | Philosophie der Maschine 16 | 00:53:03 | |
Der Druck der Chips ist für die Moderne, was die Gutenberg’sche Drucktechnik für die Schreibtechniken des Mittelalters war: der Augenblick, da die Einbildungskraft freigesetzt wird. Auf die gleiche Weise, wie sich das Aleph-Zeichen aus der Natur herauslöst, löst sich der von der Software aufgespannte virtuelle Raum von allen Begrenzungen der Materialität Das Kapitel erzählt die Geschichte, die gemeinhin in der Blackbox der Abstraktion einfach verschwindet - und dass man hier nicht der Maschine, sondern höchst sonderbaren, eigensinnigen Menschen begegnet (wie Ada Lovelace, die als “Braut der Wissenschaft” sich berufen fühlte, “künftigen Generationen einen Calculus des Nervensystems zu hinterlassen”. Zum Nachhören hier der Link zur Publikation bei Matthes & Seitz Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
25 Sep 2023 | Philosophie der Maschine 17 | 01:02:25 | |
Ungeheuer der Vernunft. Anders als das Freud'sche Unbewusste, das eine biologische Grundausstattung darstellt – die »Urhorde in uns«, wie es bei Freud heißt –, ist die Maschine ein ausgelagertes Unbewusstes, eine Größe, die sich mit jedem Schreibakt wiederholt, mit jedem Geldstück ihren Besitzer wechselt, sich in metaphorischer Form auf andere Bereiche überträgt und schließlich in den Institutionen, Praktiken und Glaubensvorstellungen einer Gesellschaft zu pulsieren beginnt. Da sich das Buch dem Ende zuneigt, kommt die Grundthese in Sicht (die zugleich das Leitmotiv der “Psychologie der Maschine” darstellt) - nämlich dass die Maschine als ein historisches Unbewusstes aufzufassen ist, das seinerseits ein kollektives Gedankengeflecht, ein Psychotop aufspannt. Zum Nachhören hier der Link zur Publikation bei Matthes & Seitz Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
10 Oct 2023 | Philosophie der Maschine 18 | 00:52:00 | |
Das Schlusskapitel der Philosophie der Maschine beschäftigt sich mit der Frage, welche Konsequenzen die Wahrnehmung der Maschine für die Philosophie hätte – und reagiert damit auf jene Erschütterung, die bereits Heidegger heimgesucht hat, als er nach der Konfrontation mit dem Denken eines Kybernetikers wie Gotthard Günther einen kleinen Aufsatz mit dem Titel schrieb: »Das Ende der Philosophie und die Aufgabe des Denkens«. Worin also besteht die Aufgabe des Denkens, wenn die Philosophie zuende ist? Und es ist genau diese Frage, welche erklärt, warum meiner Philosophie nun eine Psychologie der Maschine nachfolgt. Zum Nachhören hier der Link zur Publikation bei Matthes & Seitz Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
17 Oct 2023 | Im Gespräch mit ... Michael Wolffsohn (Audio) | 01:20:31 | |
Michael Wolffsohn ist ein unendlich geduldiger, höflicher Mensch – weswegen es ihm gar nicht schwer fällt, seinen eilends in Gedankensprüngen vorpreschenden Gesprächspartner freundlich darin zu erinnern, dass er, Wolffsohn, nur ein „Barfußphilosoph“ sei. Was aber, in Anbetracht jenes großen Projekts, das er sich mit seiner anderen jüdischen Weltgeschichte vorgenommen hat, vor allem eine große Untertreibung ist. Denn Wolffsohn führt seinen Leser in einer tour d’horizon durch epochenübergreifende Geschichtsräume hindurch, genauer: er führt ihn in jene Katakombenwelt, in der man der jüdischen Minorität nur eine ›Existenz auf Widerruf‹ zugestanden hat. Und dieser Blick bringt eine Reihe von überraschenden Einsichten mit sich, die umso überzeugender sind, als Wolffsohn in keinem Augenblick der Versuchung übermäßiger Moralisierung erliegt. Letztlich begreift er den Antisemitismus vor allem als gesellschaftliches Selbstzerstörungsprogramm – ganz im Sinne Tocquevilles, der sich mit diesem Satz von seinem Führer Napoleon trennte: »Das war schlimmer als ein Verbrechen, das war eine Dummheit.« Wenn der Antisemitismus unterdes eine unheimliche Salonfähigkeit angenommen hat, ja, wenn ein großer Teil der französischen Juden ihre Heimat verlassen hat, so ist dies nicht nur ein Beleg dafür, dass in der Gegenwart erneut dunkle Wolken aufziehen, es lässt vor allem an der Rationalität der Zeitgenossen zweifeln. Aber weil bei Wolffsohn trotzdem allem das Lebensbejahende überwiegt, kann dem Stoßseufzer »Der Mensch ist ein schreckliches Wesen« nur ein großes Gelächter nachfolgen. Und so war das Gespräch mit ihm, auch wenn es die dunkelsten Seiten der Geschichte nicht ausgespart hat, von einer wunderbaren Leichtfüßigkeit. Michael Wolffsohn, Historiker und Publizist, lehrte von 1981 bis 2012 Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr München. Von Michael Wolffsohn sind unter anderem erschienen Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
14 Dec 2023 | Im Gespräch mit ... Matthias Küntzel | 00:44:02 | |
Gelegentlich kann es passieren, dass die Welt aufwacht und begreift, dass sie eine andere geworden ist – und zweifellos reiht sich der 7. Oktober in die Liste jener Tage ein, die unser Bild von der Welt verändert haben. Anderseits lässt die Plötzlichkeit eines solchen Schocks darauf schließen, dass man sich zuvor einem langen Schlaf hingegeben haben muss. Matthias Küntzel jedoch ist, was derlei Wachträume und das Sich-in-falscher-Sicherheit-Wiegen, anbelangt, eine rühmliche Ausnahme. Denn auch wenn es politisch nicht opportun gewesen sein mag, hat ihn sein Nachdenken über 9/11 doch dazu geführt, sich Gedanken über den muslimischen Antisemitismus zu machen. Die Einsichten, zu denen ihn diese Beschäftigung geführt hat, sind in höchstem Maße beunruhigend. Denn sie führen in die Untiefen des deutschen Antisemitismus hinein. Denn der Großmufti von Jerusalem, Amin al-Husseini, der zugleich der Lehrer und Förderer Jassir Arafats war, war ein Vertrauter Hitlers und ein großer Anhänger des deutschen Holocaust. Und dass er, der 1946 als Kriegsverbrecher angeklagt wurde, zum Führer der Palästinenser werden und in dieser Funktion die friedliche Zwei-Staaten-Lösung hintertreiben konnte, markiert den Beginn jener Tragödie, die bis beute andauert. Was an der Karriere dieses Mannes am merkwürdigsten ist, ist weniger sein atavistisch-apokalyptisches Weltbild, als der Umstand, dass ihn das deutsche Radio zu einem Radiostar gemacht hatte. So wurde der erstarkende muslimische Antisemitismus aus Berlin koordiniert, genauer: aus dem sechzig Kilometer südlich gelegenen Zeesen, wo ein Kurzwellenrundfunksender die arabische Welt mit antisemitischen Propagandasendungen überzog - ein Dauerfeuer, das in einer weitgehend noch immer analphabetischen Gesellschaft jene unselige Wirkung entfaltete, der wir heute in Israel, aber auch in Europa fassungslos gegenüberstehen. Matthias Küntzel, der seine Karriere als wissenschaftlicher Mitarbeiter der ersten Grünenfraktion im deutschen Bundestag begann, hat sich als Historiker intensiv mit dem nahen Osten, aber vor allem mit der Geschichte des islamischen Antisemitismus beschäftigt. Er zählt mit Jeffrey Herf zu den wenigen, die dieser politisch doch so brisanten Frage eine historische Untersuchung haben angedeihen lassen. Von Matthias Küntzel sind u.a. erschienen: Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
20 Dec 2023 | Im Gespräch mit ... Wolfgang Herles | 01:08:24 | |
Wenn in einem der wunderbaren Gespräche mein Gesprächspartner mich mit der Aussage überrascht hat, er sei ein Zeitgenosse Shakespeares, so könnte diese Verwirrung der Maßstäbe (Fair is foul, and foul is fair!) als Leitmotiv über der Unterhaltung stehen, die ich mit Wolfgang Herles geführt habe – war sie doch ganz dem Rätseln darüber gewidmet, wie jemand, der tief in der Mitte der Gesellschaft beheimatet war, sich plötzlich in der Randständigkeit wiederfinden konnte. Oder wie Wolfgang Herles in einem Stoßzeufzer selbst artikuliert: „Ich habe mich wie ein Fisch im Wasser gefühlt. Aber jetzt habe ich das Gefühl, als hätte man mir das Land unter dem Arsch weggezogen.“ Für Wolfgang Herles liegt die Ursache dieser Entfremdung in der Entstehung der Berliner Republik, die Konsens nur dadurch herzustellen vermochte, dass sie auf die Errungenschaften des offenen Diskurses verzichtete (was der Leiter des Sendeformats „Bonn direkt“ mit einer Zwangsversetzung in die Kultur bezahlen musste). Nun ist dem, nach eigenem Bekunden, „geborenen Skeptiker“ nichts mehr zuwider als der schweigende Konformismus – und so versteht sich Herles jüngstes Buch als Anstiftung zu einer bürgerlichen Revolution – und trägt den leicht ironischen Titel „Mehr Anarchie, die Herrschaften!“. Nun mag der deutsche Untertanengeist ein Grund für die Anpassungsbereitschaft des Publikums sein, aber ein zweiter ist gewiss die Stromlinienverformung der Öffentlichkeit, der Herles vor einiger Zeit sein Buch „Die Gefallsüchtigen“ gewidmet hat – und weil dies ein wiederkehrendes Motiv auf ex nihilo ist, geht die Unterredung der Frage nach, welche psychosozialen Auswirkungen die Quote auf die Öffentlichkeit gehabt hat und worin die Verwerfungen bestehen, die uns zu Zeitgenossen Shakespeares machen. Wolfgang Herles war als Journalist und Frontmann der Sendung „Bonn direkt“ ein Chronist der Bonner Republik, später dann Talkshowmoderator und Leiter verschiedener Kultursendungen (von den „aspekten“ , den „Schrifttypen“ bis hin zum „Blauen Sofa“). Von Wolfgang Herles sind u.a. folgende Bücher erschienen Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
13 Jan 2024 | Im Gespräch mit ... Guillaume Paoli (Audio) | 01:25:10 | |
Guillaume Paoli ist ein überaus anregender Gesprächspartner, schon deswegen, weil er über das seltene Vermögen verfügt, die Wendungen des Spätkapitalismus in ihrer ganzen psychischen Abgründigkeit zu entziffern. Und weil er, anders als die meisten postmodernen Zeitgenossen, auf seiner Entfremdung beharrt, ist er niemals auch nur in Versuchung geraten, den neoliberalen Kurzschlüssen Folge zu leisten. Ganz im Gegenteil. Denn als die gesellschaftlichen Selbstoptimierer die Ich-AG ins Leben riefen, begann Paoli über die Notwendigkeit einer gründlichen Demotivation nachzudenken – eine geistige Intervention, die den selbsternannten Demotivationstrainer die Bewegung der glücklichen Arbeitslosen und das Persönlichkeitsideal des Müßiggangsters ins Leben rufen ließen. Von 2008 bis 2013 hatte Guillaume Paoli im Leipziger Centraltheater die Rolle eines Hausphilosophen inne - was den unruhigen Geist indes nurmehr noch in seiner Bestimmung bestärkte. Und weil Guillaume Paoli sich nicht scheut, gesellschaftliche Dunkelzonen ins Auge zu fassen, hat er sich auch der französischen Gelbwestenbewegung angenommen – eine Analyse, die schon deswegen bemerkenswert ist, weil diese Protestbewegung unter dem Slogan „Ihr denkt ans Ende der Welt, wir ans Ende des Monats“ etwas Präzedenzloses in die Welt gesetzt hat: eine Art Flashmob, eine situationistische Volksbewegung. Nimmt man all diese Dinge zusammen, könnte man Guillaume Paoli als Anthropologen des Spätkapitalismus begreifen. Von daher ist es kein Zufall, dass seine letzte Publikation sich damit beschäftigt, das Verhältnis von Geist und Müll zu sondieren - weswegen eine philosophische Unterhaltung mit ihm fast notwendig auf eine Form der geistigen Mülltrennung hinausläuft. Hat man ihm deswegen eine allzu pessimistische Weltsicht unterstellt, war unser Gespräch von einer großen Leichtigkeit - ja, von einer Heiterkeit, die ganz vergessen lässt, dass man sich durchaus dunkler Fragen annehmen muss. Von Guillaume Paoli sind u.a. erschienen Themenverwandte Gespräche Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
07 Apr 2024 | Alles und Nichts I | 00:19:47 | |
Am Anfang war die Null und die Null war bei Gott und Gott war die Eins. Die Null und die Eins waren im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dieselben gemacht und ohne dieselben ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihnen war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis und die Finsternis hat’s nicht begriffen. 1 Boole und die Formel 2 Im Dark Room der Geschichte 3 God is a DJ 4 Alles wird Schrift 5 Unendliche Potenz Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
26 Jan 2024 | Im Gespräch mit ... Robert Pfaller | 01:02:17 | |
Hat sich die Gesellschaft im Zuge der sexuellen Revolution ihrer Hemmungen entledigt, in einem solchen Maße, dass auch der Trash Factor zu einer vergnüglichen Angelegenheit werden kann, hat sich in den letzten Jahren eine merkwürdige Verschiebung ereignet. Urplötzlich nämlich hat die Scham die öffentliche Bühne erobert. Nicht bloß ist das shaming, in den sozialen Medien zumal, zu einer verbreiteten Praxis geworden, zudem spricht man von Flug-, Fleisch- oder Plastikscham. Die sonderbarste Volte aber findet sich in der Fremdscham, die im Zeichen des cringe zur Signatur einer ganzen Jugend geworden ist. Nicht ganz zufällig bemerkt Robert Pfaller dazu: So schämen sich immer mehr Menschen für immer mehr Dinge, die es entweder zuvor nicht gab oder mit denen sie früher vielleicht ohne Bedenken und ohne schmerzliche Konsequenzen gelebt hätten; ja sogar für Dinge und Handlungen, auf die sie – wie beim Tragen von Pelzmänteln, im Besitz eines Hauses oder beim Verpacken von Geschenken – früher wohl stolz gewesen wären. Mag die Scham eine Form der postmodernen Allgegenwart angenommen haben, so stehen die Theorien dazu auf höchst wackligen Füßen. Genau dies ist der Grund, warum Robert Pfaller sich dieses Themas angenommen und ein Buch geschrieben hat, das Zwei Enthüllungen über die Scham verspricht. Es ist der höchst anregende Versuch, jenseits von Anthropologie und klassischer Psychoanalyse die Frage der Scham in den Blick zu bekommen. Und dies wiederum führt, wie könnte es anders sein?, zu höchst vergnüglichen Betrachtungen zu Cary Grant und zu einem eingefrorenen Clint Eastwood-Paket. Robert Pfaller lehrt Philosophie und Kulturwissenschaft an der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz. Mit einem psychoanalytischen Blick begabt, hat er eine Reihe von Büchern veröffentlicht, die sich kritisch mit Gegenwartsphänomen auseinandersetzen – der Infantilisierung der Politik beispielsweise. Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
14 Apr 2024 | Alles und Nichts II | 00:12:52 | |
Hydra ist die Tochter des Typhon, des Vaters aller Monster, und der Echidna, der Mutter aller Monster. Sie bewohnt den lernäischen Sumpf. Hier bewacht sie ein unterseeisches Tor, das zur Unterwelt führt. Ihr Blut ist giftig, selbst die Spuren, die sie hinterlässt, sind giftig. Die Griechen sagten, sie habe mehr Köpfe, als die Vasenmaler malen konnten. Schlägt man einen ab, wachsen zwei wieder nach. Hydra Draculas Vermächtnis Kernspaltung Pandemie Im Arbeitsspeicher Vorherige Kapitel Vorherige Kapitel Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
25 Apr 2024 | Alles und Nichts III | 00:16:25 | |
Wir sind bei den Geistern und haben uns mit ihnen eingeschlossen in den Schneewittchensarg der symbolischen Systeme, in dem der Tod am Leben und das Leben tot ist, in dem die Verheißung des Lebens, die organische Faktizität des Körpers, auf die symbolische Faktizität der digitalen Maschine übertragen worden ist. Schnneewittchensarg Reichsparteitag Nullachtfuffzehn Organisierte Verantwortungslosigkeit Marktpenetration Gesellschaftskörper Ausstattungsidentität Vorherige Kapitel Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
28 Apr 2024 | Alles und Nichts IV | 00:21:52 | |
Die gleichzeitige Anwesenheit alles je Geschaffenen, so haben die mittelalterlichen Theologen gelehrt, ist die Hölle. Unter diesen Auspizien kann das Internet als ein Ort der Weltverstopfung, als digitale Hölle aufgefasst werden. Denn das Netz vergisst nicht. Und auch wenn der Betreiber dieses oder jenes Servers Sorge trägt, seinen digitalen Vorgarten frei von Verunreinigungen zu halten, trägt die Proliferationslogik des Netzes dazu bei, dass jeder Dateneintrag tendenziell einen Ewigkeitswert erhält. Logik der Zersetzung Die große Flut Totalliquidation Aufmerksamkeitsökonomie Scheinproduktion Patentiertes Leben Der überholte Mensch Vorherige Kapitel Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
15 May 2024 | Alles und Nichts V | 00:23:21 | |
Das Internet, zum Archiv des Realen geworden, stellt ein Modell der Realität dar, und zugleich: ihre Überschreitung. Es bietet Möglichkeitsformen der Realität. Wie der Träumer, der im Traum zu Bewusstsein kommt und nun, urplötzlich zum Regisseur seines Traums geworden, begreift, dass er, wenn er denn will, fliegen kann, löst man sich von der Welt und wird gewahr, dass es Parallelwelten gibt, in denen andere Gesetze herrschen mögen, in denen es keine Gravitation und keinen Energiemangel gibt. Welcome Gamers, here we are! Ein Dokument des Universums Der Himmel ist blau Die beste aller Welten Auf Wolke Nr. 7 Geisterbeschwörung Kunststoff Das lebende Archiv Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
25 May 2024 | Alles und Nichts VI | 00:17:11 | |
Zu Information aufgelöst, wird die Welt zum reinen Zeichen. Demgegenüber steht das analoge Rauschen, die Kontamination, der ganze Dreck. Insofern etwas Zeichen wird, wird es unsterblich, streift es mit seinem irdischen Leib auch alle Dunkelheit ab, die sich der reinen Vernunft widersetzt. Die Abschaffung der Wölfe Ausgeburten des Sozialen Gebrannte Kinder In der Datenhülle Mana Alles spricht Vorherige Kapitel Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
08 Jun 2024 | Alles und Nichts VII | 00:17:40 | |
Wenn die Innenwelt den Körper als Wohnort aufgibt und in den Datenraum abwandert, wird sie das, was sie schon immer war: virtuell. Denn die Innenwelt ist der Ort, an dem die Wünsche verwaltet werden. Die Entfernung der Welt Die Außenwelt der Innenwelt Adam und Eva Streicheleinheit Borderliner Tod durch Selfie Vorherige Kapitel Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
19 Jun 2024 | Alles und Nichts VIII | 00:12:45 | |
Im Unterschied zu den anderen Formen der Wiederkehr des Verdrängten scheint das Digitale, als Technologie, die Geisterwelt gewissermaßen technisch wiederzubeleben. Die scheinbar abgespaltene Geisterwelt wird zu einer Größe, die archiviert, verwaltet, belebt, manipuliert und ausgesaugt werden kann. Wer über die gespenstisch generierten Daten verfügt, wird die Köpfe der Menschen beherrschen. Digitaler Animismus Psychopompos Ubiquitätsmärchen Drohnenfantasie Infinite Gegenwart Vorherige Kapitel Vorausgegangene Kapitel Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
01 Jul 2024 | Alles und Nichts IX | 00:08:36 | |
Das Vorhaben Booles, den Repräsentanten aus der Mathematik zu entfernen, hat sich in einem sehr viel größeren Maßstab bewahrheitet, als sein Verfasser sich dies hat ausmalen können. Denn mit dem Code der Repräsentation ist ein über mehrere Jahrhunderte ausbuchstabierter Gedankenkontinent brüchig geworden. Unsere Vorstellung davon, was Schrift, Geld, Arbeit, Wissen ist, was Reproduktion, Natur, Körper, Herrschaft oder Politik – der ganze Kontinent unseres Denkens und unseres historischen Selbstbewusstseins muss an dieser Formel zerschellen.
Vorherige Kapitel Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
09 Feb 2024 | Im Gespräch mit ... Michael Seemann (Audio) | 01:40:45 | |
Michael Seemann ist ein Kind der Netzkultur, ein Blogger und Podcaster der ersten Stunde – der 2010 unter dem schönen Titel ctrl+verlust einen Blog für die FAZ startete und dann in Eigenregie weiterführte. Als gefragter Redner bei den einschlägigen Konferenzen, aber auch als Experte bei Bundestagsanhörungen, rechnet sich Seemann selbst der digitale Bohème zu. Nichtsdestotrotz ist er überaus ernsthaft, was die politischen und untergründigen Implikationen der Netzkultur anbelangt. Dies hat zu einem Nachdenken über die Macht der Plattformen angeregt und seinen Blick auf den sich abzeichnenden Krypto-Hype geschärft. Und so ist (neben einer Videopremiere bei ex nihilo) ein höchst anregendes Gespräch über die Bitcoin-Blase, den Netzwerkeffekt und den Kontrollverlust der klassischen Institutionen entstanden. Höchst apart auch der Auftritt eines neuen Mitbewohners aus dem Hause Seemann, einen kleinen spanischen Hund, der die Aufmerksamkeit seines Herrchen einforderte. Von Michael Seemann sind als Buchpublikationen erschienen: Themenverwandte Gespräche Ein Video zu Robert Metcalfe und der Frage des Netzwerkeffekts Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
16 Feb 2024 | Im Gespräch mit ... Yascha Mounk | 00:52:31 | |
Man könnte Yascha Mounk einen Spezialisten des Grenzganges nennen, hat er sich doch – mit großem Geschick und intellektuellem Mut – auf schwierigste Themen eingelassen: die Frage der Migration, den Zerfall der Demokratie in den Zeiten des Populismus, das Schwinden des Gemeinsinnes im Neoliberalismus. In diesem Sinne, unerschrocken und maßvoll zugleich, hat er sich mit seiner Identity Trap (auf Deutsch: Im Zeitalter der Identität) an die Entzauberung jener sonderbare Identitätsideologie gemacht, die im Versuch vergangenes Unrecht wettzumachen sich in die ärgsten Widersprüche verstrickt hat – oder wie Mounk es nennt: die in eine Identitätsfalle hineingetappt. ist Und weil man hier das, was man doch beseitigen möchte, hinterrücks wiederauferstehen lässt, führt die Erinnerung an das weiße Privileg und der strategische Essentialismus der Identitätspolitik nicht selten dazu, dass man die rassische Segregation zum Leben erweckt. Damit aber ist das Kostbarste beerdigt, was der Liberalismus hervorgebracht hat: nämlich die Idee des Universalismus. Mag dieser in der Geschichte ein nicht zur Gänze eingelöstes Versprechen gewesen sein, so bleibt er doch ein erstrebenswertes Ideal, ein Ideal zudem, das einen sehr viel offeneren Weltblick gestattet als ein Denken, das sich im Ressentiment und in Tribalismen verliert. Nun ist das Bashing der gegnerischen Position Yascha Mounks Sache nicht. Vielmehr verfährt er wie ein Anatom, der seinen Gegenstand sorgfältig zerlegt – und dem es vor allem um das Verständnis der Sache geht. Folglich zeichnet sein Buch das Entstehen dieser Ideologie nach, hat er neben dem Recycling Foucault’scher Diskursbruchstücke auch die Rolle der sozialen Medien im Blick. Und genau das macht das Gespräch über seine Identity Trap zu einem intellektuellen Vergnügen. Yascha Mounk ist Acssociate Professor of the Practice of International Affairs an der Johns Hopkins University in Washington, D.C. Im Jahr 2020 gründete er Persuasion, ein Online-Magazin, das sich der Verteidigung der liberalen Werte verpflichtet fühlt. Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
21 Feb 2024 | Im Gespräch mit ... Thomas Druyen | 01:06:46 | |
Wie verpasst man die Zukunft? Vielleicht am besten dadurch, dass man sich gar nicht erst auf sie einlässt. Es ist dieser Vermeidungsimpuls, dem sich Thomas Druyen entgegenstemmt, indem er das klassische Aus-der-Vergangenheit-Lernen invertiert und den Bezugsrahmen stattdessen auf das Künftige richtet. Nicht die Tradition ist die Richtschnur, sondern die Frage, inwieweit sich eine erwünschte Zukunft realisieren lässt – eine Umkehrung, die im digitalen Zeitalter nachgerade eine Gedankennotwendigkeit darstellt. Oder wie Steve Jobs es in schöner Kürze gesagt hat: Der Computer ist die Lösung. Was wir brauchen, ist das Problem. Der Weg wiederum, der Thomas Druyen in die Zukunft geführt hat, war in mancherlei Hinsicht durchaus ungewöhnlich. Er begann mit der simpel anmutenden Frage, was denn eigentlich Vermögen ist. Urplötzlich fand sich der junge Professor in einem Themengebiet, welches ihn mit der Welt der Superreichen und einem blinden Fleck der soziologischen Forschung konfrontierte – eine Aufgabe, der er sich in zahllosen Interviews unterzog und die zur Gründung des Institutes für Vermögenskultur und Vermögenspsychologie führte. Dass diese Institution bei ihrer Gründung mit den Briefen junger Frauen überhäuft wurde (à la „Wie angelt man sich einen Millionär?“), war ein großartiger Beleg dafür, dass und in welchem Maße die Vermögenspsychologie noch immer ein gesellschaftliches Rätselbild darstellt. An der Sigmund Freud-Universität jedoch wandte sich Druyen zunehmend der Frage der Zukunftsgestaltung zu, genauer: den tiefen Problemen, welche die Zukunft der Digitalisierung für das sicherheitsorientierte, deutsche Mindset darstellt. Denn was gestern als Erfolgsrezept galt, mag heute eher ein Hindernis darstellen, wenn es nicht gar der Vorbote nahenden Unheils ist. Im Angesicht jener digitalen Umwälzung (die man gemeinhin mit dem Epitheton des Disruptiven belegt) ist die Umkehrung des Zeithorizonts ein intellektueller Akt, der das Denken davor bewahrt, sich mit der Diagnose eines wie auch immer gearteten Post zu begnügen (sei es nun postmoderner, postdemokratischer oder postfaktischer Provenienz). Thomas Druyen lehrt Vermögenspsychologie und Vermögenskultur an der Sigmund-Freud Privatuniversität in Wien und ist Vorstand des Instituts für Zukunftspsychologie und Zukunftsmanagement. Bücher Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
23 Mar 2024 | Vom Marsch durch die Institutionen | 00:52:55 | |
here is a link to the English presentation text L’imagination au pouvoir! Institutionen schaffen Schattenräume, in denen nichts zu sehen ist und keine Fragen gestellt werden. (Mary Douglas) Das folgende Video ist die Visualisierung eines Vortrages, den ich im Jahr 2018 im Konzertsaal des Deutschlandfunks in Köln gehalten habe. Der Redakteur, der mich zu diesem Vortrag zum 50jährigen Jubiläum der Studentenrevolte eingeladen hatte, hatte mein kleines Büchlein zur Kulturrevolution von 68 gelesen – und so wurde die zahlreiche, betagte Zuschauerschar, die sich dort eingefunden hatte, um ihre ewige Jugend zu feiern, mit einer höchst ungewöhnlichen Geschichtsdeutung konfrontiert. Was mich um 2007 herum veranlasst hatte, mich diesem Thema zuzuwenden, war eine große Irritation, die sich im Laufe meiner Zeitreisen in die Kulturgeschichte zu einem regelrechten Verdacht ausgewachsen hatte: nämlich dass eine jede Gesellschaft sich über ihre Fundamente im Unklaren ist. Und dass selbst eine aufgeklärte Epoche, statt sich der nüchternen Realitätsschau zu widmen, sich in einen heroischen Gründungsmythos hinein flüchtet, war eine Einsicht, die sich bei der Beschäftigung mit den historischen Quellen von 1967 geradezu aufdrängte. In diesem Sinne war die Studentenrevolte weniger Ursache denn Symptom – und zwar eines, das an den tatsächlichen Triebkräften des Gesellschaftswandels vorübergegangen war, großspurig, enthusiastisch und zeitvergessen. Was meine bedauernswerte Zuschauerschar mit einer wahrhaft deprimierenden Einsicht konfrontierte: Stell dir vor, es war Revolution, aber niemand war da! Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
05 Apr 2024 | Im Gespräch mit ... Dirk Höfer | 00:32:07 | |
Ein Gespräch mit Dirk Höfer ist schon deswegen nichts Ungewöhnliches, weil wir seit langer Zeit freundschaftlich verbunden sind, zusammen gearbeitet, darüber hinaus ein Buch miteinander geschrieben haben: Alles und Nichts. Ein Pandämonium digitaler Weltvernichtung. Und weil dies fast eine Dekade zurückliegt, lässt sich die Unterhaltung als ein post mortem auffassen, ein Rückblick auf eine gemeinsame Erkundungsreise, die insofern ungewöhnlich ist, als sie sich auf das Unpersönlichste bezieht, das man sich vorstellen kann. Was das ist? Eine mathematische Formel, jene Formel zudem, die unserer digitalen Welt zugrundeliegt: x=xn Nun gehört es zu den Sonderbarkeiten unserer Zeit, dass zwar jedermann mit der Boole’schen Logik vertraut ist und die Booleans zu den Grundbausteinen der Programmierung gehören, dass aber ihr Urheber ebenso wie die gedankliche Begründung dieser Formel im Dunkeln liegen. Dass selbige selbst den Angehörigen der Programmiererzunft unbekannt ist, war die Verwunderung, die zu dem gemeinsamen Buchprojekt geführt hat. Nun hätte man sich anheischig machen können, dem Stifter dieser Formel, George Boole, der sie in seinen 1854 erschienenen Laws of Thought dargelegt hat, ein Denkmal zu setzen – aber eine solche philologische Ehrenrettung wäre doch, so berechtigt sie sein mag, an dem Rätsel selbst vorübergegangen. Der Frage nämlich, wie es möglich sein kann, dass eine Gesellschaft, welche die Beiträge all ihrer Geistesgrößen, ja selbst der bescheidensten Geister, penibel dokumentiert, manche ihrer tragenden Säulen übersehen will. Dies ist umso erstaunlicher, als man es bei der Digitalisierung ja nicht mit einer Orchideenwissenschaft zu tun hat, sondern mit einer nicht-enden-wollenden Serie von Erschütterungen, welche lange für stabil, ja für unumstößliche gehaltene Gewissheiten schleift. Genau das war der blinde Fleck, den wir in endlosen Gesprächen (und großer Weinseligkeit) versucht haben einzukreisen − woraus das Projekt erwuchs, diese Formel, und mit ihr ein gesellschaftliches Unbewusstes, ins Licht zu rücken. Nun hat das Buch einige Übersetzungen erfahren, gleichwohl ist es immer noch so, dass die Formel − als symbolische Form begriffen – ein philosophischer Fremdkörper geblieben ist. Und deswegen werden in den nächsten Wochen die einzelnen Buchkapitel den Lesern von ex nihilo als Audiostücke zugänglich gemacht. Und was zu Dirk Höfer zu sagen ist? Nach dem Studium der bildenden Kunst – und einem wachsenden Zweifel am Kunstbetrieb – war er lange Zeit als Redakteur bei Lettre International tätig. Seit 2014 ist er Übersetzer und widmet sich, als großer Connaisseur der Naturhistorie und der Anthropologie, ungewöhnlichen Literaturprojekten. Er übersetzte unter anderem Edward Abbey, Anna Lowenhaupt Tsing, François Augiéras und Nick Land. Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
18 Apr 2024 | Im Gespräch mit ... Michael Andrick | 01:23:31 | |
Mögen die Klagen über die Einbuße an Liberalität und Toleranz, ja, über die Probleme der Cancel Culture unterdessen Legion sein, bleibt die grundsätzlichen Frage, was es mit der Hypermoralität auf sich hat, zumeist unerhellt. Genau hier aber setzt Michael Andrick an, der in seinem jüngst erschienenen Buch Im Moralgefängnis das Leben daselbst einer gründlichen, philosophisch unterfütterten Untersuchung unterzieht. Der große Vorzug dieses Zugangs ist, dass er sich aller Wertung enthält und sich stattdessen mit den Eigendynamiken und Konsequenzen der moralischen Aufladung beschäftigt. Genau dies aber macht die Gefahren deutlich, die damit verbunden sind. Ein Zuviel von jenem Moralin (das schon Nietzsche antizipiert hat) erzeugt Moralitis – und diese wiederum schlägt sich als Vergiftung des öffentlichen Diskurses nieder. Michael Andrick ist Philosoph, Kolumnist und im Brotberuf Manager bei einem großen Unternehmen. Seit 2021 schreibt er für die Berliner Zeitung eine monatliche Philosophische Kolumne. Seine beiden Bücher Im Moralgefängnis sowie Erfolgsleere wurden weithin rezipiert. Von Michael Andrick sind erschienen Themenvwerwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
21 Jun 2024 | Im Gespräch mit ... Alexander Bogner | 01:07:04 | |
Mögen die Experten ein unverzichtbarer Teil der zeitgenössischen TV-Talkshow-Spektakel sein, so ist die Heraufkunft dieser Spezies doch ein merkwürdiges Faktum, umsomehr, als sich in ihrem Schlepptau ein neuartiger Typ des Experten befindet, der Ethiker nämlich, der sich als Fachmannfrau in ethischen Grenzbezirken umtut. Genau diesem unzertrennlichen Duo hat Alexander Bogner seine soziologische Forschung gewidmet – eine Forschungsentscheidung, der die Wirklichkeit in Gestalt von diversen Gesellschaftsumbrüchen nachgefolgt ist. Wer erinnert sich nicht an die Corona-Krise, in der eine ganze Armada von Experten die Bühne betrat, stets mit dem philosophischen Schatten im Rücken, dem Ethiker nämlich, der im Namen irgendeines nationalen Ethikrates die politische Entscheidung mit der entsprechenden Weisheit garnierte? Konnte sich die Politik auf diese Weise aus der Verantwortung stehlen (und zugleich zu präzedenzlosen Selbstermächtigungsakten schreiten), ist evident, dass man es hier, aller schönen Worte zum Trotz, mit einer hochproblematischen Gemengelage zu tun hat, die nicht selten auf das hinausläuft, was man eine „organisierte Verantwortungslosigkeit“ nennen könnte. Schon aus diesem Grund ist ein Gespräch mit Alexander Bogner ein großer Gewinn. Abgesehen davon, dass man erfährt, dass die Ethik der Philosophie das Leben gerettet habe, gerät die Figur des Experten in den Blick – nicht als Lösung, sondern als Problem, das einer soziologischen Analyse bedarf. Alexander Bogner lehrte nach diversen Forschungsaufenthalten an der Universität Innsbruck. Seit 2019 ist er Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie. Von Alexander Bogner sind erschienen Verwandte Themenbereiche Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
08 Jul 2024 | Im Gespräch mit ... Andreas Schulte | 01:26:15 | |
Von Bertolt Brecht stammt die sonderbare Verszeile: »Was sind das für Zeiten, wo /Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!«. Stand dies Gedicht unter dem Titel An die Nachgeborenen, so mutet es sonderbar an, dass das Gespräch mit einem Forstwirt, genauer: einem Dr. forest., bei dem es wirklich nur um Bäume geht (vulgo: die Nachhaltigkeit), gleich ins Politische ausgreifen muss. Dass dem dennoch so ist, hat damit zu tun, dass die grüne Nachhaltigkeitsideologie sich längst in die Abgründen der politischen Romantik hinein verirrt hat – und ein zunehmend paternalistisches, autoritäres Staatsverständnis an den Tag legt. Von daher verwundert es nicht, dass Andreas Schulte, ein Urgrüner, der lange Zeit in der Entwicklungshilfe tätig war, wenig Positives zur zeitgemäßen Nachhaltigkeitsideologie zu sagen hat – nicht zuletzt, weil ihr Zeithorizont dem politischen Situationismus geopfert worden ist. Oder wie Schulte dies in ein Motto übersetzt hat: If Ideology is master, you reach disaster faster! Nach Aufenthalten in Bolivien und Indonesien, wo er die forst- und holzwirtschaftliche Fakultät an der Mulawarman University aufbaute, folgte Schulte dem Ruf der Universität Münster und übernahm ab 2003 den Lehrstuhl für Waldökologie, Forst- und Holzwirtschaft. Parallel bautet er das Start-Up Wald-Consult Ltd. auf, das internationale Anlegern dabei unterstützt, auf ähnlich nachhaltige Art und Weise zu investieren, wie es bereits Jakob Fugger im späten Mittelalter gelungen ist. Mag dessen gigantisches Vermögen im Laufe der Jahrhunderte den Zeitläuften zum Opfer gefallen sei, so erfreuen sich die Bewohner der Fuggerei noch heute der Früchte dieser Weitsicht (zum Preis einer Jahreskaltmiete von 0,88 € und täglich drei Gebeten). In diesem Sinn ist Nachhaltigkeit kein leeres Wort – geschweige denn, ein ideologischer Prügel, den man nach Belieben gegen seine politischen Feinde einsetzt. Vielmehr ist daran die Ermahnung geknüpft, dass der Wald eine hochkomplexe Kulturlandschaft ist, in der Ökonomie, Ökologie und die eigene Lebenspraxis in ein generationsübergreifendes Gleichgewicht übersetzt werden muss. Hier der Link zu Andreas Schultes Cum Tempore-Website Videos von Andreas Schulte Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
26 Jul 2024 | Im Gespräch mit ... Mathias Brodkorb | 01:23:14 | |
Es ist schon eine Weile her, dass die alte Punk-Parole (»legal, illegal, scheißegal!«) sich Laut machte, gleichwohl scheint sich auch unsere classe politique in einer großen Verwirrung zu befinden, was den Geist der Gesetze anbelangt. Anders jedenfalls ist nicht nicht zu erklären, dass man im Jahr 2021 ein Vergehen namens Verfassungsschutz-relevante Delegitimierung des Staates ersann - und zudem, anders als ehedem, da man sich auf staatsfeindliche Gruppierungen fokussiert hatte, nun auch noch Einzelpersonen zu Beobachtungsobjekten macht. Was aus derlei unscharfen Rechtbegriffen erwächst, die auch Vorfälle »unterhalb der Strafbarkeitsschwelle« erforschen, lässt dunkle Erinnerungen an Orwell’sche Gedankenverbrechen und ein obrigkeitsstaatliche Denken aufkommen. Dass nun ausgerechnet jene Institution, deren Aufgabe es doch wäre, das Vornehmste dieses Staatsgebildes, nämlich seine Verfassung zu schützen (und zwar auf die diskreteste Art und Weise), sich als Akteur ins Tagesgeschehen einmischt und munter ihre Weisheiten in die Welt hinaustweeted, ist einigermaßen irritierend – umsomehr als derlei auf den bürgerlichen Tod der Beobachtungsobjekte hinauslaufen kann. Und so zitiert Mathias Brodkorb Toqueville, der schon im 19. Jahrhundert die Logik des Cancelns als ›Vervollkommnung des Despotismus‹ begriffen hat: Du wirst dein Bürgerrecht behalten, aber es wird dir nicht mehr nützen (…). Du wirst weiter bei den Menschen wohnen, aber deine Rechte auf menschlichen Umgang verlieren. (…) Gehe hin in Frieden, ich lasse dir das Leben, aber es ist schlimmer als der Tod.‹ Die Beobachtungen, die Mathias Brodkorb (seines Zeichens Sozialdemokrat und Ex-Finanzminister der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern) in seinem Buch Gesinnungspolizei im Rechtsstaat zusammengetragen hat, sind durchaus verstörend. Dabei ist eine der großen Stärken, dass Brodkorb sich nicht nur mit den Beobachtungsobjekten des Verfassungsschutzes, rechts wie links, ausgetauscht hat, sondern auch mit Mitarbeitern des Verfassungsschutzes selbst. War letzteres nur unter konspirativen Bedingungen möglich, so bezeugen diese Innenansichten, dass auch langjährige Mitarbeiter der Entwicklung ihrer eigene Behörde höchst kritisch gegenüberstehen können. Mathias Brodkorb, studierter Philosoph und Gräzist, hat sich, bevor er im Kabinett Sellering in Mecklenburg-Vorpommern zunächst Kultur-, dann Finanzminister wurde, vor allem dem Kampf gegen Rechts verschrieben. Derzeit ist er als Kolumnist für das Magazin Cicero tätig. Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
20 Aug 2024 | Im Gespräch mit ... Matthias Riedl | 00:45:00 | |
Vielleicht ist das größte Rätsel der Gegenwart, dass die entscheidenden, lebensprägenden Dinge sich unbewusst einhausen – in einem solchen Maße, dass man nicht einmal mehr zur Kenntnis nimmt, dass die eigene Lebensführung nicht auf bewusste Entscheidungen zurückgeht, sondern den Gewohnheiten geschuldet ist. Das altgriechische díaita bezieht sich folglich nicht auf die Ernährungsweise, sondern ganz allgemein auf die Lebensführung – wovon die Diäten, die wir unseren Abgeordneten gönnen, einen Widerschein liefern. Umgekehrt läuft der Gedanke, dass man die Lebensführung von der Ernährung abkoppeln kann, ja, dass diese eine Art Sondersphäre darstellt, auf eine Form der Verdrängung hinaus. Dass die großen Lebensmittelkonzerne sich dies zunutze gemacht haben, indem sie die Konsumenten mit geschmacksverstärkten, überzuckerten, billig hergestellten und durchweg kommodifizierten Lebensmitteln beliefern, mag der Logik des Kapitalismus geschuldet sein, erstaunlicher ist, dass auch die Medizin, die mit den fatalen Auswirkungen des täglichen junk foods zu tun hat, die Lebensführung ihrer Patienten aus dem Blick verloren hat. Ein Grund dafür ist gewiss die Spezialisierung, die den Wissenschaftsphilosophen Nicholas Murray Butler zu der treffenden Beobachtung veranlasst hat: Ein Experte ist jemand, der immer mehr über immer weniger weiß, bis er alles über nichts weiß. (Nicholas Murray Butler) Weil auf diese Weise der Patient (als ganzheitliches Wesen) aus dem Blick gerät, sind die Mediziner rat- und hilflos, was die Ausbreitung der Zivilisationskrankheiten anbelangt, oder wie man vielleicht eher sagen müsste: der Konsumkrankheiten. Denn zunehmend betreffen diese nicht bloß die fortgeschrittenen Alterskohorten, sondern auch Jüngere, ist es nicht selten, dass bereits Kinder unter Rheuma, Diabetes und Bluthochdruck leiden. Um dem entgegenzuwirken, hat der Diabetologe Matthias Riedl in den 90er Jahren das medicum Hamburg gegründet und später eine Fernsehsendung ins Leben gerufen, die, in höchst populärer Form, versucht, die Konsumenten daran zu erinnern, was sie tagtäglich zu sich nehmen – und welch fatale Wirkungen dieser wohlige Konsumismus auf ihre Gesundheit hat. Hat man im Marketing die Heldenreise C.G. Jungs auf den Konsumenten übertragen, so besteht die „Küchenpsychologie“, die Matthias Riedl gemeinsam mit seinen Kollegen, den »Ernährungs-Docs« anwendet, darin, die betreffenden Personen zu ermutigen, ihr Leben wieder in die eigenen Hände zu nehmen, sich gesund und bewusst zu ernähren. Nun ist eine solche Lebensveränderung, die man neumodisch „Selbstwirksamkeit“ nennen mag und die ein Mediziner wie Matthias Riedl als „artgerechte Ernährung“ bezeichnet, schon seit Kant die Aufgabe aller Aufklärung gewesen: die Befreiung des Menschen aus seiner »selbst verschuldeten Unmündigkeit«. Und ist das wirklich so schwierig? Vielleicht, und hier mag das Missverständnis aller Volksbeglücker gewesen sein, beginnt diese Befreiung nicht damit, dass man sich in irgendwelche Ideologien versteigt, sondern dass der erste Schritt in die Mündigkeit den Betreffenden in die eigene Küche hineinführt. Also dann, guten Appetit! Matthias Riedl fokussierte sich nach anfänglicher journalistischer Arbeit auf die Medizin und leistete hier, mit der Gründung des medicum Hamburg, Pionierarbeit. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde er durch die TV-Serie “Die Ernährungs-Docs” bekannt, welche die in der praktischen Arbeit gewonnenen Einsichten in einem erfolgreichen Fernsehformat umsetzte. Von Mattias Riedl sind erschienen: Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
26 Aug 2024 | Im Gespräch mit ... Elena Esposito | 00:53:15 | |
Das stärkste Antidot, das den Einzelnen davor bewahrt, sich einem Phantasma anheimzugeben, ist zweifellos, dass man das, worüber man theoretisierend nachzudenken sich anschickt, in der Praxis kennengelernt hat. Und was die junge Soziologin Elena Esposito, die zunächst bei Umberto Eco Soziologie studierte, später bei Niklas Luhmann in Bielefeld habilitierte, davor bewahrte, eine Künstliche Intelligenz herbeizubeschwören, wo doch lediglich die Gesetze der Wahrscheinlichkeit walten, war, dass sie, um Geld zu verdienen, eine Zeitlang als Consultant für eine große Computerfirma tätig war, welche die aufblühende Games-Industrie mit neuen Werkzeugen versorgte. Diese Vertrautheit mit Programmierern, ihren Denkgewohnheiten und den Phantasien, die sich im Game-Development herausgebildet haben, hat den Blick der Soziologin herausgefordert: jene Veränderungen in den Blick zu nehmen, welche der alltägliche Umgang mit Computern für unsere Kommunikation mit sich bringt. Und genau dies war es, was das Gespräch mit Elena Esposito zu einem regelrechten Vergnügen gemacht hat: dass man sich nicht über irgendwelche Phantasmen austauscht (»Wird der Computer den Menschen ersetzen?«), sondern über das, was Sache ist. Was den coolen Blick der Soziologin zur Geltung bringt, die mit großer Sorgfalt seziert, was es für eine Gesellschaft bedeutet, mit unverständlichen Maschinen in die Kommunikation einzutreten. Elena Esposito lehrt Soziologie an der Universität Bielefeld und an der Universität Bologna. Von Elena Esposito sind erschienen: Thanks for reading Ex nihilo - Martin Burckhardt! Subscribe for free to receive new posts and support my work. Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
13 Sep 2024 | Im Gespräch mit ... Hannah Lühmann | 00:56:42 | |
Es ist wahr, die Welt ist kompliziert, und man muss sich dabei nicht einmal in die Abgründe der Sprachphilosophie oder der Quantenmechanik verirren. Es reicht schon hin, dass man einen Spielplatz besucht. Selbst hier nämlich kommt man nicht umhin, den kognitiven Dissonanzen der Gegenwart ins Auge zu sehen, kann es, aus heiterem Himmel, passieren, dass man mit den absurdesten Paradoxien konfrontiert wird. Mögen diese in der Theorie nichts weiter sein als ein Sprachspiel, ändert sich sich dies, wenn ein Kind ins Spiel kommt (eine Erfahrung, die einen guten Freund zu der fatalistischen Bemerkung veranlasst hat, ein solcher Sprössling sei doch ein trojanisches Pferd, kehrte hier eine längst überwunden geglaubte Gesellschaft zurück). Was beispielsweise macht eine überzeugte Feministin, wenn sie, mit einem Knaben gesegnet, als Komplizin toxischer Männlichkeit beargwöhnt wird, zudem von der dumpfen Gewissheit heimgesucht wird, dass der Lebensweg ihres Knaben mit einem Malus belegt ist? Dass Hannah Lühmann dieser Gedankenverlegenheit eine Stimme gegeben hat, war für mich ein Anlass, mit ihr in ein Gespräch einzutreten – und darüber in Erfahrung zu bringen, welche Richtung die Gender-Diskurse der 90er Jahre eingeschlagen haben - und wie sehr dies den Alltag bestimmt. Nun gehöre ich zwar selbst der Boomer-Generation an, gleichwohl sind mir die fraglichen Gedankenfiguren nicht unvertraut – beschäftigt man sich doch nicht ungestraft mit dem Dogma der Unbefleckten Empfängnis oder fragt sich, wie die Antike ihre Hopliten zu iron men hat zurichten können. Nun haben die Diskurse der Gegenwart derlei kulturgeschichtliche Rätselfiguren weit hinter sich gelassen. Stattdessen hat sich eine Art der moralischen Ökonomie eingebürgert, bei der Konzepte wie die genderneutrale Erziehung oder die genderkorrigierte Fassung der Kinderbuch-Klassiker zum guten Ton gehören, wenn sie nicht überhaupt das juste milieu der U-40 charakterisieren. In diesem Sinn war das Gespräch mit Hannah Lühmann eine gleichermaßen unterhaltsame wie aufschlussreiche Exkursion, der Ausflug in eine Welt, die ich vielleicht in statu nascendi erlebt haben mag, die aber Konflikte ganz neuer Schärfe und Prägung hervorgebracht hat. Gewiss fühlt sich dabei vieles fremd und ungewohnt an, aber vielleicht besteht die ganze Kunst darin, dass man den kognitiven Dissonanzen nicht ausweicht, sondern sie als das Porträt unserer Epoche begreift – jener Welt, in der man gar nichts anderes mehr sein kann als ein digital native. Oder wie Hannah Lühmann amüsiert davon erzählt, welch prominenten Platz die Sprachsteuerung in der Phantasiewelt ihres 4-jährigen Sohnes eingenommen hat: Achtung, Laserkanone! Hannah Lühmann, geboren 1987, hat Philosophie in Berlin und in Paris studiert. Sie ist stellvertretende Ressortleiterin im Feuilleton der "Welt" und "Welt am Sonntag". Von Hannah Lühmann ist erschienen Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
20 Sep 2024 | Im Gespräch mit ... Frank Engster | 00:57:36 | |
Schaut man sich um, ist augenfällig, dass das, was heutzutage als Geld gelten mag, eine tiefe Umwertung durchgemacht hat. Hat sich das Geld mit dem Ende von Bretton Woods vom Goldstandard gelöst, mag es scheinen, als ob es sich, digitalisiert, überhaupt ins Ungefähre verflüchtigt. Genau dies ist der Grund, warum sich Frank Engster, gemeinsam mit zwei Mitautoren, daran gemacht hat, eine Kleine Philosophie des Geldes im Augenblick seines Verschwindens zu schreiben. Ist der Übergang in die Postmaterialität eine Form des Gestaltwandels, kommen hier längst vergessen geglaubte Gespenster wieder ans Licht. Geld wird sichtbar als eine Form des kollektiven Glaubenssystems, mit dem sich die Gesellschaft aus den alten Schuldverhältnissen befreit hat, um den Preis jener Entfremdung allerdings, welche die Bewohner des Kapitalismus seit jeher höchst skeptisch beargwöhnt haben. Dieser Vorgeschichte nun, in der vergessene Tiefenschichten der Ökonomie lesbar werden, gilt das besondere Interesse Frank Engsters. Er begreift das Geld als Universal-Metrisierungs-Methode, mit der alles, selbst das Unvergleichliche, ein und demselben Maß unterworfen wird. Frank Engster, der über das Geld als Maß, Mittel und Methode promoviert hat, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hellen Panke e.V. – Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin. Von Frank Engster sind erschienen Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
02 Oct 2024 | Im Gespräch mit ... Heike Melzer | 01:04:56 | |
Die Welt der digital natives ist eine andere geworden – und sie kennt Reize, Verführungen und Fantasien, die in der analogen Welt undenkbar gewesen wären. Mögen die Diskurse der Wirklichkeit hinterherlaufen, so gilt dies nicht für die Psyche, die alledem schutzlos ausgesetzt ist. Schon dies ist ein Grund, sich mit Heike Melzer zu unterhalten, die, als Neurologin und Psychotherapeutin in ihrer Praxis mit Fällen konfrontiert ist, die präzedenzlose Schieflagen enthalten – und mehr noch: die diesen Fallgeschichten Bücher gewidmet hat. War das erste, Scharfstellung betitelt, der Frage gewidmet, wie sich das Wisch- und Weg des Datingmarkts, die Online-Pornographie und auch die Bereitstellung von Sexspielzeugen auf das Seelenleben der Mitteleuropäer auswirkt, so hat sich ihr Fokus nunmehr den Ködern zugewandt hat, die im Internet ausgelegt sind – und den Nutzern verheißen, dass das Glück nur einen Mausklick entfernt liegt. Indes verkehrt sich diese Verheißung nicht selten ins Gegenteil. Oder wie Heike Melzer schreibt: Einst angetreten mit dem Ziel, Freiheit und Genuss zu erlangen, endet die jahrelange Reise hedonistischer Umtriebigkeit immer öfter in den Untiefen von Abstumpfung und der Enge zwanghafter oder abhängiger Verhaltensweisen des Überkonsums. Heike Melzer ist Neurologin, ärztliche Psychotherapeutin und Business-Coach. Sie führt eine Praxis für Paar- und Sexualtherapie in München und auf Sylt. Von Heike Melzer sind erschienen: Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
09 Oct 2024 | Im Gespräch mit ... Heiner Flassbeck | 01:12:58 | |
Eine der großen Sonderbarkeiten der Moderne ist, dass sie den Nimbus des Weisen allein den Ökonomen zuerkennt – und dies ungeachtet der Tatsache, dass eine Wirtschaftskrise nach der anderen über die Gesellschaft hereingebrochen und Laien wie Wirtschaftsweise gleichermaßen überrascht hat. In diesem Konzert ist Heiner Flassbeck schon insoweit eine Ausnahme, als er die Grundannahmen seiner Zunft stets beargwöhnt, ja, als eine Form der Torheit betrachtet hat. Dass er diese Kritik nicht im ökonomischen Abseits formulierte, sondern aus einer Position heraus, die ihm ebenso viel Verantwortung wie Einsicht in globale Wirtschaftsprozesse vermittelte, macht seine Perspektive nur umso interessanter. In jedem Fall hat man es hier nicht mit einer Haltung zu tun, die sich einem akademischen Utopia oder weltvergessenen Modellen verdankt, sondern dem, was man ehedem höchst treffend politische Ökonomie genannt hat. Folglich hat das Gespräch mit ihm den Charakter einer tour de force annehmen können, welche sich nicht scheut, die großen Fragen der Ökonomie in Augenschein zu nehmen: den kreativen Zerstörer à la Schumpeter, das Scheitern der Globalisierung, die Bitcoin-Manie und warum Geld, den Modellen aller Ökonomen trotzend, noch immer eine Glaubensordnung darstellt. Nach einer langen Zeit am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung wurde Heiner Flassbeck im Jahr 1998 zum Staatssekretär im Wirtschaftsministerium berufen. Von 2003 bis zu seiner Pensionierung wirkte er als Chef-Volkswirt bei der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung ist Genf. Indes ist von einem Ruhestand bei ihm wenig zu spüren, hat er doch in den letzten Jahren einige durchaus voluminöse Bücher verfasst. Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
18 Oct 2024 | Im Gespräch mit ... Bernd Siggelkow | 00:55:14 | |
Wenn man sich mit dem Schein und den Wörtern begnügt, so ist es ein Leichtes, sich in einem Paralleluniversum einzurichten, das auf wundersame Weise frei ist von allen Widrigkeiten, die das tägliche Leben ansonsten bereithält. Und weil die classe politique nicht mehr für, sondern von der Politik lebt, hat sich ein geistiger Somnambulismus breit gemacht, bei dem man alles, was die Klarheit des eigenen Denkens trüben könnte, als „wenig hilfreich“, unbotmäßig oder skandalös brandmarkt – in guter Hegel’scher Tradition, der auf den Hinweis, dass seine Theorie sich nicht mit den Tatsachen vertrage, gesagt haben soll: „Umso schlimmer für die Tatsachen“. Was mich auf Bernd Siggelkow aufmerksam gemacht hat, war eine Pressemeldung, die vor Kurzem die Runde machte: nämlich, dass der Gründer des christlichen Kinder- und Jugendwerkes „Die Arche“ die Politik an ihre Versäumnisse erinnerte und daran, dass, bei Fortsetzung ihrer systematischen Ignoranz, die Arbeit vor Ort gänzlich unmöglich gemacht, ja, letztlich zum Scheitern verurteilt sei. Dass diese Kritik nicht von einem politischen Gegner geäußert wurde, sondern aus eine Position heraus, die sich als christlich und caritativ versteht – und dies auch so praktiziert –, wirft ein grelles Schlaglicht auf die Wirklichkeitsvergessenheit der politischen Klasse. Auf die Frage, ob seine Philippika irgendetwas bewirkt habe, musste Bernd Siggelkow jedoch einräumen, dass das Resultat ganz einfach gewesen sei: Nichts. Umso interessanter freilich jedoch war die Unterhaltung mit ihm, der die Probleme der Gegenwart in unverstellter, schärfster und bemitleidenswertester Form zu Gesicht bekommt: in Gestalt all der Kinder nämlich, die von der Welt vergessen worden sind. Womit gesagt sein sollte, dass die Tatsachen der verwalteten Welt sich nicht auf irgendwelche Kautelen, Informationen oder Ideologeme beziehen, sondern zuallererst in der bedürftigen Gestalt eines Kindes daherkommen. Von Bernd Siggelkow sind u.a. erschienen: Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
07 Nov 2024 | Im Gespräch mit ... Michael Schulte-Markwort | 00:45:39 | |
Wenn die Psyche, wie Michael Schulte-Markwort schreibt, immer auch an die Veränderungen des Zeitgeistes geknüpft ist, nimmt es nicht wunder, dass sich gesellschaftliche Umbrüche zuallererst in den Kinderseelen niederschlagen. Gleichwohl war der Verfasser dieser Zeilen doch überrascht, nach mehr als drei Dekaden in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sich einer neuartigen Problematik gegenüberzusehen: mutlosen Mädchen, die sich zunächst aus der Schule, dann aus sämtlichen sozialen Bindungen zurückgezogen hatten. Dabei hätten die Bedingungen von außen betrachtet gar nicht besser sein können, waren es doch die eigenen Mütter, welche die Verheißung eines selbstbestimmten, emanzipierten Lebens vorlebten. Dennoch war das vorherrschende Lebensgefühl der Töchter von einer nachgerade lähmenden Sinnlosigkeitsempfindung überschattet. Schaut man genauer hin, erzählen die Leidensgeschichten der mutlosen Mädchen von durchaus gegenwärtigen Problemen. Denn was tut man wohl, wenn sich das Leben zum Laufsteg verwandelt, zu einem Kunstwerk, an dem man, weil es eine beständige Selbstüberforderung mit sich bringt, nur scheitern kann? Wo es keine Vorbilder, keine Hoffnung, keinen Weg mehr gibt, zieht man sich zurück. Mag der Rückzug keinerlei Verheißung bedeuten, so erspart man sich doch die narzisstische Demütigung – dass einem in der Konfrontation mit einer als feindlich empfundenen Außenwelt noch der letzte Rest von Selbstbewusstsein ausgetrieben wird. Begreift man Michael Schulte-Markworts Bericht von den mutlosen Mädchen nicht bloß als das Problem einer neuen Generation, kann man darin die Spiegelung einer Welt entdecken, der die Zukunftsentwürfe ausgegangen sind. Michael Schulte-Markwort, der als einer der renommiertesten deutschen Kinder- und Jugendpsychiater gilt, wirkte als Professur für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universität Hamburg. In seiner ärztlichen Karriere war er, neben anderen Posten, Leitender Abteilungsarzt der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychosomatik des Altonaer Kinderkrankenhauses. Seit 2020 widmet er sich dem Aufbau der Privatpraxis Paidion-Heilkunde für Kinderseelen in Hamburg und Berlin. Von Michale Schulte-Markwort sind u.a. erschienen: Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
29 Nov 2024 | Im Gespräch mit ... Manfred Haferburg | 01:15:39 | |
Es gibt nicht viele Menschen, die davon berichten können, wie es ist, im Augenblick eines Blackouts für das Energiesystem eines Landes verantwortlich zu sein. Manfred Haferburg ist einer der wenigen, die auf ein solches Ereignis zurückschauen können. Denn zum Jahreswechsel 1978/79 war der junge Ingenieur als Schichtleiter zuständig für den Betrieb des größten Kernkraftwerks der DDR, Greifswald. Zwar absolvierte er diese Aufgabe mit Bravour, gleichwohl erwies sich der Staat ihm gegenüber als wenig großzügig: Als Nicht-Parteimitglied, das zudem nicht willens war, für die Stasi tätig zu werden, wurde Haferburg zum Objekt einer Operativen Personenkontrolle, festgenommen, verhört und misshandelt und schließlich mit verbundenen Augen aus einem Auto auf die Straße geworfen. All diese Erfahrungen verarbeitete er 2013 in seinem Roman Wohn-Haft, zu dem sein Freund Wolf Biermann ein Vorwort schrieb. Weil der gelernte DDR-Bürger eine ideologische Grundskepsis entwickelt hatte, erweckten die Verheißungen der Energiewende, mit all ihren Versprechungen, seine Skepsis - und so wurde Manfred Haferburg, neben seiner Beratertätigkeit für große Kernkraftunternehmen weltweit, auch publizistisch tätig. Allein die Vorstellung, dass man eine über einhundertzwanzig Jahre gewachsene soziale Plastik binnen kurzem umgestalten könne, mehr noch, dass die Transformation des gesellschaftlichen Energiesystems Amateuren übertragen werden sollte, widersprach dem Ethos des Ingenieurs – und brachte den Publizisten hervor, der die Absurditäten dieser Gesellschaftsentwicklung auf den Punkt bringt. Diese punktgenauen, unideologischen Analysen wiederum haben meine Aufmerksamkeit geweckt – und zu jener anregenden Unterhaltung mit ihm geführt, die hiermit öffentlich wird. Manfred Haferburg studierte an der Technischen Universität Dresden Maschinenbau mit Vertiefungsrichtung Kernenergetik. Nach seiner Arbeit als Schichtleiter für das Kernkraftwerk Greifswald war er nach der Wende für einen großen Energieversorger tätig. Nach einem Umzug nach Paris wurde Berater für große Kernkraftunternehmen - weswegen es wohl mehr Kernkaftwerke von innen gesehen hat als irgendein Politiker. Zudem sitzt er im Advisory Board der in Kanada tätigen Firma Dual Fluid, die Kernkraftwerke neuen Typs entwickelt, welche, anders als die Leichtwasserreaktoren à la Tschernobyl, frei von der Gefahr einer Kernschmelze, zudem sehr viel energieeffizienter sind – was auch zur Minimierung des radioaktiven Abfall beiträgt. Von Manfred Haferburg sind erschienen Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
20 Dec 2024 | Im Gespräch mit ... Juan Gruben | 01:53:25 | |
Wie rutscht ein komplexes, gesellschaftliches System in eine Abwärtsbewegung hinein? Die befremdliche Antwort ist vielleicht, dass die Bewohner selbst, wie die verarmenden Adligen des 19. Jahrhunderts, kein wirkliches Krisenbewusstsein entwickeln, sondern über lange Zeit ein sentimental geschöntes, zunehmend haltloses Selbstbild aufrechterhalten. Schon aus diesem Grund ist der Blick eines Außenseiters interessant, umsomehr, wenn dieser, wie Juan Gruben, an leitender Stelle, gleich mehrere Staatsbankrotte hat begleiten und beobachten können. Als der junge Deutsch-Argentinier Juan Gruben, 1954 in Buenos Aires geboren, im Jahr 1980 als Trainee nach Deutschland kam, verliebte er sich sogleich in dieses Land. Denn auf rätselhafte Weise schien im Wirtschaftswunderland alles perfekt zu funktionieren. Nicht bloß, dass die Züge auf die Minute pünktlich ankamen und wieder abfuhren, zudem konnte er Dinge gewärtigen, die ihm aus seinem von Inflation und Militärdiktatur geplagten Heimatland Argentinien gänzlich unbekannt waren: Rentner, die anstatt in die Armut und die gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit zu gleiten, ihr Leben genossen, zudem eine Nachbarschaftlichkeit, die dem zuvor nur reklamierten Begriff der gesellschaftlichen Solidarität eine Lebenswirklichkeit zuführte. Das Überraschendste aber war, dass es in dieser saturierten Gesellschaft etwas gab, was als höher noch galt als der Reichtum: nämlich der Geist, jene Reputation, die jenen Schichten entspringt, die man gemeinhin bildungsbürgerlich nennt - und all dies war Grund, Deutschland zur Wahlheimat zu machen. Freilich musste der junge Mann, der für die Dresdner Bank eine steile Bankkarriere hinlegte, der zunächst die Lissaboner Repräsentanz übernahm, dann zum Senior Country Manager in Buenos Aires aufstieg, erleben, dass mit jedem Heimaturlaub sein schönes Deutschlandbild eine weitere Beschädigung aufwies – und dass dies nicht zuletzt mit dem Aufstieg des neoliberalen Denkens zusammenhing. Zwar wurde man in den Bankenkreisen nicht müde, von Humankapital und Personalmanagement zu sprechen, gleichwohl schien es, als ob auch die Mitarbeiter nichts weiter waren als Zahlen, Passiva, die man idealiter freisetzen oder durch billigere Arbeitskräfte ersetzen konnte. Hatte man in den Anfangszeiten der Digitalisierung nur die Salden der Konten, mit Codes versehen, an ein Rechenzentrum geschickt, wurde im Verlaufe der Zeit das ganze Geschäftsmodell der Bank ausgelagert – begnügten sich die Banken damit, ihren Kunden jene Papiere und Fondsanteile zu verkaufen, die von Rating Agenturen mit einem Triple-A versehen worden waren. Mochte dies ein Spiel für risikoadverse Lemminge sein, konnte Juan Gruben gleich zweimal in Südamerika erleben, was passiert, wenn ganze Volkswirtschaften in einen Bankrott hineinschlittern. Zum Zeugen eines solchen Desasters zu werden, bei dem Geld-Volatilität und Gesellschaftschaos einander die Hand reichen, wo vor allem Kurzsichtigkeit, Sozialdarwinismus und Korruption reüssieren, ist eine Erfahrung, die nur wenigen Menschen zuteil wird – und aus diesem Grunde war der gemeinsame Rückblick darauf, wie sich im letzten halben Jahrhundert das Bankenwesen, aber auch das Modell Deutschland einer schleichenden Zerrüttung hat anheimfallen können, eine höchst anregende Unterhaltung, eine Unterhaltung, an deren Ende sich die sonderbare Einsicht einstellt, dass Argentinien nun überall ist. Dass nun auch die Bewohner seiner Wahlheimat von den Gespenstern des Zerfalls, Deindustrialisierung, Inflation, politischer Destabilisierung, heimgesucht sind, ist dem bekennenden Helmut Schmidt-Fan ein Gräuel. Und da sich die Sozialdemokratie von ihren eigenen Werten entfernt hat, hat der alte Sozialdemokrat seine Mutterpartei verlassen und engagiert sich nun in in seinem Heimatkreis Pinneberg in der Kommunalpolitik. Als weiterführende Lektüre empfohlen Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
04 Jan 2025 | Im Gespräch mit ... Aldo Haesler | 02:05:55 | |
Mag die klassische Ökonomie schnell zur Tagesordnung übergegangen sein, lässt sich das in den frühen 70er Jahren aufgekündigte Bretton Woods-Abkommen als Wendepunkt in der Geschichte des Kapitalismus begreifen. Seither nämlich ist das Kapital nicht mehr in den Kapitalen zuhause, sondern ist zum Spekulationsobjekt gesichtsloser Finanzmärkte geworden, zudem hat es sich von der Golddeckung gelöst und ist ins free floating eingetreten. Mag diese Revolution unterdessen der Vergessenheit anheimgefallen sein, hat sie in Aldo Haesler doch einen Chronisten gefunden, der den Übertritt in die Postmaterialität, in die Welt des Plastikgeldes, als eine tiefe Krise des Kapitalismus begreift, ja, als Eintritt in einen Gesellschaftszustand, den er, in der Abgrenzung zur Postmoderne, als irreflexive Moderne bezeichnet. Wenn damit ein Gesellschaftszustand gemeint ist, in dem sich Ponzischemen und clickblait-Verheißungen ausbreiten, kehren hier darüberhinaus Gespenster zurück, die zu entziffern es einen weiterem Blickes bedarf, als die klassische Ökonomie ihn zu liefern vermag. Das Gespräch mit Aldo Haesler, der sich wunderbarerweise selbst als Mäanderthaler bezeichnet, war insofern eine große Wanderung, als das Ende von Bretton Woods immer auch Anlass war, tief und tiefer in die fundamentalen Fragen des Geldes hinabzusteigen. War dies eine Frage, die bereits den Vierjährigen so sehr beschäftigt hatte, dass er, um sich in den Besitz einer Spielzeugindianer-Armada zu bringen, einen erfolgreichen Gurkenhandel aufgebaut (und sich dabei, en passant, mit der Arithmetik vertraut gemacht) hatte, so wurde eine Thematik daraus, die ihn ein ganzes Leben beschäftigen sollte. So wandte sich der Student der Wirtschaftswissenschaften, der zunächst an der St. Gallener Universität Wirtschaftswissenschaften studiert hatte, der Philosophie und der Anthropologie zu – und promovierte unter Aufsicht von Jean Baudrillard und Alfred Sohn-Rethel, einem der großen Unbekannten der Frankfurter Schule. Ziel war auch hier, jenem großen Geldrätsel auf die Spur zu kommen, das von der klassischen Ökonomie, der Soziologie, aber auch von den Humaniora niemals in seiner ganzen Gänze in den Blick genommen worden ist. Und genau das in den Angriff zu nehmen, war ein großes Vergnügen für mich, umsomehr, als mich die Problematik von Bretton Woods vor langer Zeit schon umgetrieben hat. Nach Lehrtätigkeit in St. Gallen, Montréal und Lausanne wirkte Aldo Haesler von 2001 bis zu seiner Emeritierung als Professor der Soziologie an der Universität Caen. Von Aldo Haesler sind erschienen: Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
22 Jan 2025 | Im Gespräch mit ... Sama Maani | 01:56:31 | |
Schlägt man die Zeitung auf, drängt sich der Eindruck auf, dass die Zeiten durchaus einen Psychoanalytiker gebrauchen könnten, mehr noch: einen Denker, der sich den kognitiven Dissonanzen der Gegenwart gewachsen zeigt. Sama Maani, der lange Zeit als Psychiater und Psychoanalytiker in Wien gearbeitet hat, gehört zweifellos zu jener Gattung – umsomehr, als hier der Blick des Literaten hinzukommt, der sich den Absonderlichkeiten der Gegenwart mit ebenso großer Neugierde wie Furchtlosigkeit zu stellen vermag. Maanis Blick auf die Welt hat insofern etwas Erhellendes, als sich hier unterschiedlichste Welten vermischen: Hat man es einerseits mit einer klassischen, österreichischen Prägung zu tun, kommt hinzu, dass Maanai als Bahai einer religiösen Minderheit angehörte, welcher im Iran des Ayatollah Khomeini die Verfolgung drohte. Hat dies zu einem hochdifferenzierten Blick auf die religiösen Versuchungen beigetragen, kam erschwerend hinzu, dass sich ein Bruder des Vaters in Indonesien den Ruf eines Messias erarbeitet hatte – was bei den eigenen Glaubensgenossen wenig Anklang fand. Mögen diese biografischen Prägungen irgendwann eine Bürde dargestellt haben, stellen sie einen Selbstschutz gegen die identitätspolitischen Verirrungen der Gegenwart dar. Folglich konnte Maani, der zeitweilig auch eine Kolumne im österreichischen Standard unterhielt, mit Essaybänden aufwarten, die provozierende Titel wie „Respektverweigerung“ trugen und dies im Untertitel mit der Aufforderung unterlegten: »Warum wir fremde Kulturen nicht respektieren sollten. Und die eigene auch nicht«. Das Schönste an unserer Unterhaltung jedoch war, dass sie von einer von einer großen Heiterkeit und Leichtigkeit geprägt war, weswegen das Gespräch ganz mühelos von Freuds Regressionsbegriff zu Musils Schreibblockaden und den komplizierten Problemen der Massenpsychologie übergehen konnte. Sama Maani studierte Medizin in Wien und Philosophie in Zürich. Nach einer Tätigkeit als Psychiater ließ er sich als Psychoanalytiker in Wien nieder – aber wandte sich, der Leidenschaft folgend, zunehmend der Literatur zu. Von Sama Maani sind u.a. erschienen: Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
02 Feb 2025 | Im Gespräch mit ... Gunter Dueck | 01:48:17 | |
Will man mit jemandem über den Einstieg in das digitale Zeitalter sprechen, so ist Gunter Dueck einer der kundigsten wie unterhaltsamsten Gesprächspartner. Dies hat nicht zuletzt damit zu tun, dass man hier jemandem gegenübersitzt, der im Rahmen eines Weltkonzerns – der IBM - die Rolle eines Distinguished Engineers, eines Chief Technology Officers und schließlich eines Master Inventors innehatte. Mögen all diese Titel ehrfurchtheischend anmuten, so war das Gespräch mit ihm von einer ungewohnten Leichtigkeit – was mit der omnisophischen Ausrichtung seines Lebens zu tun haben mag. War dem jungen Mann, der auf einem Bauernhof in Groß-Himstedt aufwuchs (einer Gemeinde, die 548 Einwohner hat und 5 Straßen zählt), der Beruf des Schriftstellers verwehrt, so wurde er, dahingehend begabt, zum Professor der Mathematik und ging, in Ermangelung eines entsprechenden Universitätspostens, an das Wissenschaftliche Zentrum der IBM in Heidelberg. Arbeitete er daselbst an der technologischen Ausrichtung der IBM, an Strategiefragen und der Problematik, wie sich ein kultureller Wandel einstellen kann, so führte ihm dies den tiefen Konflikt zwischen der Welt der Zahlen und der Kretativität vor Augen. Folglich konzentrierte sich Wild Duck, wie ihn einer der amerikanischen IBM-Bosse nannte, zunehmend aufs Schreiben und darauf, seine an der Philosophie gewonnenen Einsichten in eine fassliche Sprache zu übertragen – eine Tätigkeit, die sich in einer Unzahl von Büchern und Vorträgen niedergeschlagen hat. Und weil er sich dabei nicht scheut, auch unbequemste Wahrheiten auszusprechen, hat Dueck die Stupidologie eines Carlo Cipolla auf höchste Ebenen hinaufkatapultieren können. Hat mich hier eine Abstraktionshöhe erreicht, bei der die Buzzwords des Geschäftswelt dahinschmelzen wie das Eis in der Sonne, treten andererseits die blinden Flecke unserer Gegenwart umso deutlicher hervor. In jedem Fall versteht man, warum selbst das Arcanum der Computerwelt sich so bitter irren konnte, was die Entstehung der Cloud anbelangt – und warum wir uns auf eine Zukunft der autonomen Automobilität einstellen sollten. Seit seinem Abschied von der IBM lebt Gunter Dueck als Schriftsteller und weithin bekannter Keynote-Speaker. Hier seine persönliche Website. Von Gunter Dueck sind (u.a.) erschienen: Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
16 Feb 2025 | Im Gespräch mit ... Burkhard Hofmann | 00:52:47 | |
Dass sich ein Psychotherapeut nicht mit den Befindlichkeitsstörungen seiner Landsleute herumschlagen muss, sondern, wie ein Anthropologe, sich um das Seelenleben eines fremden Kulturkreises kümmert, ist eine Seltenheit ersten Ranges – allen Ermahnungen zum Trotz, die sich um das Modewort des Eurozentrismus ranken. In diesem Sinn ist der Hamburger Psychotherapeut Burkhard Hofmann eine absolute Ausnahme, ist er doch der Einladung einer Bahreiner Patientin gefolgt – und hat daselbst, aber auch in einigen anderen Staaten am Persischen Golf eine Reihe von Patienten behandelt. Die Intimität dieses Vorgangs wiederum hat ihm nicht nur Einsicht in das Seelenleben seiner Patienten geschenkt, sondern darüberhinaus den Blick für die kulturellen Besonderheiten geöffnet. Dass hier der Psychotherapeut, seiner Hilfe ungeachtet, die Rolle eines Außenseiters einnimmt, ja gelegentlich selbst in die Position eines Helfershelfer des Scheitan, also des Satans, gerückt wird, bezeugt, in welchem Maße hier noch immer eine kulturelle Kluft waltet – und dass die Psychotherapie keinesfalls eine Selbstverständlichkeit ist, geschweige denn, wie der Ödipus-Komplex, als besserer Partywitz gilt. Dies wiederum macht ein Gespräch mit Burkhard Hofmann nur umso aufregender und erkenntnisfördernder. Burkhard Hofmann, der als als Facharzt für Psychotherapeutische Medizin in eigener Praxis in Hamburg wirkt, ist mit seinem Buch Und Gott schuf die Angst. Ein Psychogramm der arabischen Seele einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden. Neben seiner therapeutischen Arbeit hat er u.a. auch für Psychologie heute geschrieben. Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
18 Nov 2022 | Philosophie der Maschine I | 00:28:51 | |
Dieses Kapitel erzählt, wie diese Befragung der Maschine im Zwielicht des Denkens begann, wo sie einen übergroßen, fast göttlichen Schatten wirft, der ihr Janusgesicht verbirgt. Ist sie ein materielles Gebilde oder eine intellektuelle Blaupause? “Je näher man ein Wort betrachtet, desto weiter blickt es zurück”. Die Philosophie der Maschine zu verstehen, heißt, das Alltägliche zu verlassen. Und hier das Buch Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
29 Nov 2022 | Philosophie der Maschine 2 | 00:35:50 | |
Philosophie der Maschine 2 Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
11 Dec 2022 | Philosophie der Maschine 3 | 00:25:58 | |
Dieses Kapitel geht zum Anfang des Maschinenkonzepts zurück, genauer: es macht deutlich, dass dem griechischen deus ex machina ein noch älteres Verständnis der Maschine zugrunde liegt, das zutiefst mit magischen Vorstellungen verwoben ist. Könnte es sein, dass in der Inszenierung der Gottheit das Numinose auf die Maschine übergeht? Und andersherum: Ist es möglich, dass die Gottheit der Maschine entspringt? Dann aber wäre die Gottheit ein Produkt der Maschine. Im Grunde ist beides ein Unding: die vergöttlichte Maschine, der verdinglichte Gott. Zum Nachhören Und hier das Buch Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
10 Dec 2022 | im Gespräch mit ... Philip Manow | 01:19:57 | |
Philip Manow, Professor der Politikwissenschaften an der Universität Bremen, hat mit “Nehmen. Teilen. Weiden” ein Buch zur politischen Ökonomie Carl Schmitts veröffentlicht, Wallstein Verlag 2022 Die bisherigen Gespräche Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
16 Dec 2022 | Im Gespräch mit ... André Thess | 00:26:03 | |
Eines schönen Tages, wenn dieser Winter des Missvergnügens Geschichte sein wird, wird ein extraterrestrischer Anthropologe sich über den deutschen Wald, die Energiewende und die politische Romantik Gedanken machen – und weil er, qua Herkunft schon, unverdächtig ist, die Welt am deutschen Wesen genesen lassen zu wollen, wird er sich unweigerlich der Frage widmen, wo bei alledem die fachliche Expertise geblieben ist. Wo war der berühmte deutsche Ingenieur? Mag sein, dass die Masse der Dokumente in der Rückschau eine alternativlose Geschichte erzählt, aber wenn man bei der Problematik der Energiespeicherung selbst ansetzt, ist sichtbar, dass dieser sich durchaus einzumischen versucht hat. 2019 schon machte der Stuttgarter Professor André Thess (der an der dortigen Universität am Institut für Gebäudeenergetik, Thermotechnik und Energiespeicherung lehrt und der zugleich am Deutschen Institut für Luft-und Raumfahrt das Institut für Technische Thermodynamik leitet) in einem offenen Brief darauf aufmerksam, dass die im Gefolge von Fukushima gebildete Ethik-Kommission Sichere Energieversorgung nicht den Regeln der Kunst entsprochen habe. Man habe versäumt, sich die nötige Fachexpertise einzuholen (eine Kritik, die er in einem kleinen Büchlein zu den Sieben Energiewundermärchen vertiefte). In den Turbulenzen des Jahres 2022 folgte die Stuttgarter Erklärung, der sich eine Reihe von hochkarätigen Professoren anschlossen. Weil diese Erklärung mehr als 66.000 Unterschriften auf sich vereinen konnte, kam es zu einer Anhörung im Bundestag, die gleichwohl folgenlos blieb. Dass die Kritik an der Energiepolitik der Bundesregierung keineswegs von einem Ewiggestrigen, sondern aus berufenem Mund erfolgte, macht deutlich, dass der politische Diskurs sich weniger der Lösung der Problematik verpflichtet sieht, als auf eine Realitätsverleugnung, ja, auf ein fast systematisches Nichtwahrhabenwollen abzielt. Weswegen André Thess auf die Frage, wie er sich persönlich die Abwesenheit der Ratio erkläre, nur auf Nietzsche verweisen kann: Der Irrsinn ist bei Einzelnen etwas Seltenes – aber bei Gruppen, Parteien, Völkern, Zeiten die Regel. Ps. Was André Thess in unserem Gespräch zur Energiewende sagt, äußert er in seiner Eigenschaft als Professor der Universität Stuttgart Hier der Link zum Buch Die bisherigen Gespräche Themenverwandt Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
26 Dec 2022 | Philosophie der Maschine 4 | 00:29:58 | |
Das Kapitel erzählt von der Herkunft des Zeus-Gottes, der ursprünglich ein Zeus metallon war, eine metallurgische Gottheit. Was die schöne Bemerkung Jacques Lacans untermauert: Die Götter sind aus dem Feld des Realen. Schwindel des Proteus. Schwindel der Kunst. Dass sich hinter jeder Realisierung ein Universum verworfener Möglichkeiten auftut: all die möglichen Welten, die sich nicht realisiert haben. Zum Nachhören Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
22 Dec 2022 | Im Gespräch mit ... Ralph Schöllhammer | 01:34:14 | |
Das Scheitern der Energiewende lässt nicht bloß eine energetische Mangellage ans Licht treten, sondern beleuchtet schlaglichtartig auch die kognitiven Dissonanzen der Gegenwart. Im Gespräch mit Ralph Schöllhammer geht es vor allem um diese unerledigten Fragen, Gedankenruinen, aus denen längst für überwunden gehaltene Gespenster hervorkriechen. Schöllhammer, der Politikwissenschaft an der Webster Vienna Private University lehrt, aber seine Analysen auch in Organen wie der Jerusalem Post, Newsweek, spiked oder der Wiener Zeitung publiziert, hat schon früh und furchtlos die Untiefen der politischen Diskurse analysiert – und so kann ein Gespräch mit ihm leichthändig zwischen den Zeiten changieren, aber läuft nicht Gefahr, sich in symbolischen Labyrinthen zu verlieren. Jede Zivilisation, das ist seine Überzeugung, beginnt damit, dass man natürliche Energien zu zähmen gelernt hat. Die bisherigen Gespräche Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
30 Dec 2022 | Im Gespräch mit ... Niko Paech | 02:06:52 | |
Niko Paech gilt als der führende Degrowth-Propagandist Deutschlands und hat den schillernden Begriff der Postwachstumsökonomie geprägt. Paech lehrt als Professor der pluralen Ökonomie an der Universität Siegen. Im Jahr 2012 veröffentlichte er die Streitschrift Befreiung vom Überfluss, dann einen Gesprächsband mit Erhard Eppler (Was Sie da vorhaben, ist eine Revolution), zuletzt, gemeinsam mit Manfred Folkers: All you need is less). Und obwohl seine Schrumpfungskur all meinen Überzeugungen zuwiderläuft, ist gleichwohl ein überaus anregendes Gespräch zustande gekommen - was ja der ganze Sinn dieser Gesprächsreihe ist. Die bisherigen Gespräche Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
14 Jan 2023 | Im Gespräch mit ... Hans von Storch | 01:02:20 | |
Zweifellos, Hans von Storch ist ein ungewöhnlicher Zeitgenosse. Warum? Weil man es hier nicht nur mit einem Klimatologen von Weltrang zu tun hat, der seit 1999 Associate Editor des „Journal of Climate“ der American Meteorological Society ist und 2006 vom amerikanischen Repräsentantenhaus zur Wahrscheinlichkeit eines anthropogenen Klimawandels befragt wurde (was er bejahte), sondern mit einem Hardcore-Wissenschaftler, der in Kooperation mit Soziologen und Kulturwissenschaftlern die Grenzen der eigenen Disziplin untersucht hat. Dies hat sich in Büchern wie Klima Wetter Mensch (gemeinsam mit Nico Stehr), oder der Publikation Die Klimafalle: Die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung niedergeschlagen. Dieser Spagat ist schon deswegen wunderbar, weil ein Gespräch mit ihm nicht in Ansätzen Gefahr läuft, sich in irgendwelche Verstiegenheiten hinein zu verlieren. Und will man ihn auf ein unbekanntes Terrain locken, gibt er einem sogleich zu verstehen, dass da bei ihm nichts, aber auch gar nichts klingelt – eine Bescheidenheit, die dem, was er sagt, nur umso mehr Gewicht verleiht. Der sonderbarste Aspekt an Hans von Storch jedoch ist, dass er sich als Pionier des deutschen Donaldismus hervorgetan hat – und mit großer Verve die intellektuellen Reize des Anavarsums studiert hat, von anas, lateinisch: die Ente. Und weil Entenhausen überall ist, beginnt unser Gespräch im Paralleluniversum des Donald Duck, dieser Ente wie du und ich. Die vorausgegangenen Gespräche Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
20 Jan 2023 | Im Gespräch mit ... Geert Lovink | 01:19:22 | |
Wie nennt man einen Avantgardisten, der in die Jahre gekommen ist? Vielleicht ist das egal, denn die Frage, die der Netzaktivist Geert Lovink an die Welt gestellt hat, hat sich bis heute heute keineswegs erledigt – ganz im Gegenteil. Tag für Tag wird klarer, dass die Welt der Internets keine künstliche Hinterwelt darstellt, sondern eine soziale Plastik, die unser tägliches Leben formatiert – auf eine Weise, die den Akteuren, auch manchem Digital Native gar nicht bewusst sein mag. Und weil dies so ist, hat sich die Fragestellung, welche den jungen Geert Lovink zum Studium der Politikwissenschaften und der Massenpsychologie bewegte, nicht erledigt – ja, kann man sie als das Leitmotiv seines Denkens und Handelns auffassen. In Geert Lovink findet sich jemand, der als Netzaktivist, als Kurator, Zeitungsmacher, als Gründer des Institute of Network Cultures an der Amsterdamer University for Applied Sciences, schließlich als Hochschullehrer selbst die Geschichte des Netzes begleitet, beobachtet und analysiert hat. Mag sein, dass hier die eine oder andere Beobachtung mit einer tiefen Ernüchterung einhergeht. In jedem Fall erzählt sein schönes Buch Sad by Design – das in der deutschen Übersetzung den Titel „Digitaler Nihilismus“ trägt – von einem großen, massenpsychologischen Feldexperiment, dem die Theorie abhanden gekommen ist. Und genau deswegen kommen wir im Gespräch immer wieder auf diese unerledigte Frage zurück: Was ist das Netz, wenn wir es nicht als Medium, sondern als soziale Plastik betrachten? Die vorausgegangenen Gespräche Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe | |||
26 Jan 2023 | Philosophie der Maschine 5 | 00:31:00 | |
Im fünften Kapitel geht es um das Paradox, dass der Gedächtniskunst (ars memoria) die Kunst des Vergessens hinzugesellt ist (ars oblivionis) - was erklären mag, warum die Anfänge der abendländischen Kultur im Dunkeln liegen oder, je nachdem, als »das griechische Wunder« deklariert werden. Die Einsicht, dass das alphabetische Zeichen nicht nur das ist, was es notiert, sondern auch das, was es vergessen macht. Zum Nachhören Get full access to Ex nihilo - Martin Burckhardt at martinburckhardt.substack.com/subscribe |